Polizei : Newsletter Nr. 177, September 2014

 1)   Wann nehmen Autofahrer beim Überholen Rücksicht auf Radfahrer?
 2)   Pubertät immer früher
 3)   Migrationshintergrund erhöht nicht das Risiko für psychische Probleme
 4)   Gefühlte Armut macht krank
 5)   Jugendliche, die wenig Hoffnung für ihre Zukunft haben, begehen mehr Straftaten
 6)   Haben Trainer Einfluss auf Schiedsrichterentscheidungen?
 7)   Fußball, Macht, Korruption
 8)   Polizei von Ferguson schwer bewaffnet
 9)   Berichte über Selbstmorde – die Selbstbindung der Medien funktioniert nicht mehr
10)  Therapeuten irren sich häufiger – vor allem häufiger, als sie selbst glauben
11)  Arbeitslosigkeit und Kriminalität
12)  Niedriger Puls – hohe Kriminalität
13)  Der Föderalismus und die Struktur der Polizei
14)  “Sensorverbund” zum Aufspüren alkoholisierter Atemluft
15)  Texte von und über Jürgen Habermas zum 85. Geburtstag
16)  Warum die ‘Shock and Awe’ Politik der amerikanischen Polizei scheitert
17)  Buchbesprechung: Herausforderungen für die Politik und die Ethik
 
1) Wann nehmen Autofahrer beim Überholen Rücksicht auf Radfahrer?
Mit dieser Frage beschäftigt sich Ian Walker seit mehreren Jahren. In seiner letzten Studie fand er heraus, dass Autofahrer sich nicht rücksichtsvoller verhalten, wenn die Radfahrer Sicherheitswesten tragen. Allerdings war dies dann der Fall, wenn auf den Westen „Polizei“ stand. Der komplette Aufsatz steht unter http://opus.bath.ac.uk/37890/1/Walker_2013.pdf zur Verfügung. Ergebnisse früherer Studien des gleichen Autors sind hier zu finden: http://www.drianwalker.com/overtaking/ . Walker betreibt auch einen Blog dazu: http://bamboobadger.blogspot.de/2009/03/bicycle-overtaking-and-rebuttals.html
 
 
2) Pubertät immer früher
Der Beginn der Pubertät schiebt sich stetig nach vorne, Gründe sind eine gute Ernährung (und Übergewicht), aber auch schädliche Chemikalien und Umweltstress. Auch negative seelische Erfahrungen in der Kindheit können eine Rolle spielen. Mit Details dazu und den Konsequenzen daraus beschäftigt sich ein Beitrag in „Psychologie Heute“ Juni 2014, S.37 ff.
 
 
3) Migrationshintergrund erhöht nicht das Risiko für psychische Probleme
Türkischstämmige Kinder und Jugendliche in Deutschland haben kein erhöhtes Risiko für psychische Probleme. Zu diesem Ergebnis sind Forscher der Ruhr-Universität Bochum gekommen. Es wurden Daten zu 480 Kindern (über deren Eltern) und von über 160 Lehrern erhoben. Die Studie wurde im Journal of Child and Family Studies veröffentlicht. Jäkel, J., Leyendecker, B., & Agache, A. (2014). Family and individual factors associated with Turkish immigrant and German children’s and adolescents’ mental health. Journal of Child and Family Studies http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs10826-014-9918-3; s.a. http://aktuell.ruhr-uni-bochum.de/pm2014/pm00021.html.de
 
 
4) Gefühlte Armut macht krank
Schon länger ist nachgewiesen, dass Armut krank macht. Nun haben Forscher herausgefunden, dass auch gefühlte Armut (also das subjektive Empfinden, arm zu sein) krank machen kann. So ist die Wahrscheinlichkeit für Männer, die sich arm fühlen, früher zu sterben, um 40% erhöht. Maja Adena, Michal Myck: Poverty and Transitions in Health, Discussion Paper SP II 2013-307 (PDF) http://bibliothek.wzb.eu/pdf/2013/ii13-307.pdf
 
 
5) Jugendliche, die wenig Hoffnung für ihre Zukunft haben, begehen mehr Straftaten
Eine Studie der Univ. of Texas in Dallas hat gezeigt, dass Jugendliche, die nicht daran glauben, dass sie ein langes Leben vor sich haben, mehr und schwerere Straftaten begehen als Jugendliche, die ihrer Zukunft zuversichtlich entgegensehen. Quelle: Alex R. Piquero (2014): Take My License n’ All That Jive, I Can’t See: Little Hope for the Future Encourages Offending Over time, Justice Quarterly, http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/07418825.2014.896396#.U2CdmFdCN8E
 
 
6) Haben Trainer Einfluss auf Schiedsrichterentscheidungen?
Ja, sagt eine Studie aus dem Jahr 2007 von Maria Priebst (Urteilsverzerrungen bei Schiedsrichtern: Die Wirkung sozialer Einflüsse auf Schiedsrichterentscheidungen im Basketball. Grin Verlag München 2007). In uneindeutigen Situationen haben „soziale Hinweisreize“ einen erheblichen Einfluss auf den Entscheidungsprozess von Schiedsrichtern. Es wird vermutet, dass in solchen Situationen das Verhalten eine Art Entscheidungshilfe für den Schiedsrichter darstellt. Ob dies auch für den Fußball gilt, können wir aktuell in Brasilien überprüfen.
 
 
7) Fußball, Macht, Korruption
Die Machtstrukturen in der Fußballwelt sind undurchsichtig und ohne demokratische Kontrolle. Detlev Claussen zeigt in seinem Beitrag (Jogo bonito, das schöne Spiel: Fußball als Utopie) die Hintergründe auf und kommt u.a. zu dem Ergebnis, dass nicht der Fußball Gewalt produziert, sondern sportliche Weltereignisse in einem Meer von Korruption, Benachteiligung und sozialer Ungleichheit eine Unzufriedenheit freisetzen, die sich nur schwer beruhigen lässt. An Fußballweltmeisterschaften verdienen die Netzwerke der FIFA, die skrupellos ihre Sponsoren bevorzugen, die Stadionbau- und die Sicherheitsindustrie sowie im Falle Brasiliens auch die lokalen Transportunternehmer. Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik, 6, 2014, S. 101 ff.
 
 
8) Polizei von Ferguson schwer bewaffnet
Die Polizei von Ferguson ist dank eines Bundesprogramms schwer bewaffnet. Polizeistationen können sich kostenlos schwere militärische Ausrüstung zulegen. Das sogenannte 1033-Programm ermöglicht den kostenfreien Transfer überschüssigen Materials vom Pentagon an die Polizei in Gemeinden und Bundesstaaten. Darunter sind schwere Waffen wie Granatwerfer und gepanzerte, gegen Landminen geschützte Fahrzeuge, die auch in Ferguson zum Einsatz kamen. Seit Beginn des Programms im Jahr 1997 war laut Pentagon Ausrüstung im Wert von mehr als 4,3 Milliarden Dollar (3,2 Milliarden Euro) abgegeben worden. Quelle: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-08/ferguson-usa-polizei-militarisierung
 
 
9) Berichte über Selbstmorde – die Selbstbindung der Medien funktioniert nicht mehr
Medienberichte über den Suizid prominenter Personen sind mit einem Folgeanstieg der populationsbezogenen Suizidrate assoziiert. Am Beispiel des Suizids von Robert Enke wurde untersucht, inwieweit entsprechende Empfehlungen, über Suizide nicht oder sehr zurückhaltend zu berichten, in Deutschland umgesetzt wurden. Im Ergebnis wurde gezeigt, dass solche Empfehlungen hier nur unzureichend berücksichtigt wurden: 77,5 % der Artikel wiesen mindestens ein Merkmal unangemessener Berichterstattung auf. Berichte in der Boulevardpresse unterschieden sich nur geringfügig von Artikeln in anderen Zeitungen. Tobias Teismann u.a.: Mediale Berichterstattung über den Suizid von Robert Enke. In: Zeitschrift für Gesundheitspsychologie 21, 3, 2013, S. 113 ff. http://psycontent.metapress.com/content/h1832t0712h51878/?genre=article&id=doi%3a10.1026%2f0943-8149%2fa000096
 
 
10) Therapeuten irren sich häufiger – vor allem häufiger, als sie selbst glauben
Bis zu 90% der Psychotherapeuten halten sich für besser als ihre Kollegen. Dabei sind unter ihnen mindestens 20%, die in ihrer Therapie praktisch nichts erreichen. Schlechte Therapeuten versagen vor allem in schweren Fällen, und einige verschlimmern die Probleme noch, statt dem Patienten zu helfen. Diese und andere Hintergründe finden sich in einem Überblicksartikel in „Psychologie Heute“, Mai 2014, S. 44 ff.
 
 
11) Arbeitslosigkeit und Kriminalität
Immer wieder wird kontrovers diskutiert, ob vor allem bei Karrierekriminellen Arbeitslosigkeit für Kriminalität verantwortlich ist und ob die Aufnahme einer Berufstätigkeit kriminalpräventiv wirkt. Eine empirische Studie in den USA konnte letzteres nachweisen, allerdings ist der empirische Zusammenhang schwach. Die Autoren folgern, dass die Aufnahme einer Arbeit eher die Konsequenz als die Folge des Ablassens von Kriminalität ist. Changes in criminal offending around the time of job entry: A study of employment and desistance. Autoren: Torbjörn Skardhamar and Jukka Savolainen. In: Criminology 52, 2, S. 263 ff.; http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1745-9125.12037/pdf S.a. die frühere Veröffentlichung http://www.ssb.no/a/publikasjoner/pdf/DP/dp597.pdf
 
 
12) Niedriger Puls – hohe Kriminalität
Forscher aus Pennsylvania und Pittsburg haben Zusammenhänge zwischen niedrigem Puls (low heart rate) und Kriminalität festgestellt und die Ursache dafür diskutiert. Sie nennen Sensationssucht und Furchtlosigkeit. Quelle: Portnoy, Jill u.a.: Heart Rate and antisocial behavior: The mediating role of impulsive sensation seeking. In: Criminology, 52, 2, S. 292 ff. Abstract: http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1745-9125.12038/abstract
 
 
13) Der Föderalismus und die Struktur der Polizei
Die 2006 in Kraft getretene Föderalismus-Reform hat auch Auswirkungen auf die Struktur der Polizei in Deutschland. Mit diesen Auswirkungen und deren Folgen beschäftigt sich der Autor. Dabei zeigt er insbesondere auf, inwiefern sich die hiermit verbundene Verschiebung der Organisations- und Personalhoheit auf den Berufsstand auswirkt. Quelle: Christian Hoffmeister, Durcheinander im Laufbahn- und Versorgungsrecht“. In: Deutsche Polizei 6, 2014, S. 21-29.
 
 
14) “Sensorverbund” zum Aufspüren alkoholisierter Atemluft
Vor zwei Jahren wurde beim Spiel der Champions League in München ein sogenannter “Sensorverbund” getestet. http://www.dlr.de/dlr/desktopdefault.aspx/tabid-10213/335_read-3773#gallery/6070 Dabei ging es vor allem um Aufklärung aus der Luft: Es kamen zwei hochauflösende optische Satellitensysteme, ein Motorsegelflugzeug, eine fliegende Kamera und bodengestützte Sensoren zum Einsatz. Die im Internet verfügbaren Bilder verdeutlichen die Möglichkeiten der Lageerkundung von oben. Besonders begeistert waren die Sicherheitsstrategen vom eingesetzten ferngesteuerten Oktokopter, einer Mikrodrohne mit acht Rotoren. Das Gerät filmte aus einer Höhe von bis zu 80 Metern. Doch auch GPS-Daten von Taxifahrern wurden eingebunden. Deren Geschwindigkeit soll Rückschlüsse auf die Verkehrslage ermöglichen. s.a. https://netzpolitik.org/2014/wie-funktioniert-eigentlich-stadionsicherheit-das-beispiel-siemens-in-brasilien/
 
 
15) Texte von und über Jürgen Habermas zum 85. Geburtstag
Jürgen Habermas zählt zu den bedeutendsten Intellektuellen der Gegenwart. Anlässlich seines 85. Geburtstages am 18. Juni haben die „Blätter für deutsche und internationale Politik“ sämtliche Texte, die in den »Blättern« von und zu ihm erschienen sind, zusammengestellt. Das 220-Seiten starke und gut aufgemachte Buch kann in verschiedenen Formaten (pdf, mobi und ePub) kostenlos heruntergeladen werden unter: https://www.blaetter.de/ebook-habermas
 
 
16) Warum die ‘Shock and Awe’ Politik der amerikanischen Polizei scheitert
Die Strafverfolgungsorgane müssen die Bürgerrechte wahren, auch und gerade bei Demonstrationen. Vor dem Hintergrund der Ereignisse in Ferguson hat der ehemalige Direktor des National Institute of Justice (NIJ), James Steward in einem Interview betont, dass die Gewalteskalation dort hätte verhindert werden können, wenn andere Maßnahmen ergriffen worden wäre. Er beklagt auch die Militarisierung der amerikanischen Polizei nach 9/11 und bezeichnet die Aufrüstung der Polizei mit schweren Waffen als „Krebsgeschwür in unserer Gesellschaft. Shock and Awe (Schrecken und Ehrfurcht) bezeichnet eine (ursprünglich im Irakkrieg entwickelte)Taktik, deren Ziel es ist, durch eine oder mehrere auf Schockwirkung ausgelegte militärische Maßnahme(n) den Gegner so zu verunsichern, dass es zu keinen nennenswerten Verteidigungsmaßnahmen kommt. Quelle http://www.thecrimereport.org/news/inside-criminal-justice/2014-08-why-shock-and-awe-policing-fails.
 
 
17) Buchbesprechung: Herausforderungen für die Politik und die Ethik
Mit den Themen Moral, Terror, Globalisierung und Politik und ihren Wirkungen aufeinander beschäftigt sich der Sammelband einer Ringvorlesung des Zentrums für Ethik und Nachhaltigkeit, wobei die Autoren erörtern, welche Auswirkungen diese auf Politik und Ethik verursachen. Nach Rezensent Jörn Öhlhöft erhebt das Buch „nicht den Anspruch, die genannten Themenbereiche erschöpfend zu behandeln … Es regt den Leser vielmehr an, selber zu denken.“ Sh. http://www.polizei-newsletter.de/books/2014_Politik_und_Ethik_Rezension_JO.pdf