Jan Brenz – „Das Polizeirecht als ein durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bestimmtes System von Abwägungsentscheidungen“ – Rezensiert von: Holger Plank

Dr. Brenz, Jan[1], LL.M.; „Das Polizeirecht als ein durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bestimmtes System von Abwägungsentscheidungen“[2]; ISBN: 978-3-428-15273-5, 142 Seiten, Verlag Duncker & Humblot, Berlin, Reihe „Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht, Band 100, Erscheinungsjahr 2018, 59,90 €

Schon der Titel des Bandes, zugleich Diss. iur. des Autors, angenommen im Som­mersemester 2017 an der Jur. Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen, verspricht angesichts zahlreicher sehr dynamischer  legislativer Aktivitäten zur Mo­di­fizierung von Polizeiaufgabengesetzen im Bund (z. B. BKA-Gesetz, in Kraft getreten am 25.05.2018) und auch in vielen Bundesländern[3] (vgl. bspw. zu­letzt Bayern, wo das neue PAG durch den Landtag am 15.05.2018 verab­schie­det wurde und am 25.05.2018  in Kraft trat) eine interessante Lektüre. Nicht alle legislativen Aktivi­täten auf diesem Feld sind ausschließlich der Notwen­digkeit geschuldet, die weit­reichenden datenschutzrechtlichen Verpflichtungen der rele­vanten EU-RiLi zeit­gerecht in die Gesetze einzuarbeiten. An vielen Stellen hat der Gesetzgeber zudem zielgerichtet „nachjustiert“, zumeist mit der Begründung der notwendigen Ab­wehr nach wie vor virulenter terroristischer Bedrohung. Kom­ple­mentär hierzu nutzte er aber auch das Argument, der Staat müsse mit denen, die ihn durch schwere Kriminalität substanziell bedrohen, gefahren­abwehrrechtlich wieder „auf Augenhöhe“ kommen und brauche demnach diese neuen, weit­reichenden und auch an das digitale Zeitalter angepassten Instrumente.

Kritiker hingegen, wie bspw. der ehemalige Richter am Bun­desverwal­tungsgericht Prof. Dr. Kurt Graulich (im Übrigen auch einer der Gutachter während der Anhörung zum neuen bayerischen Polizeirecht) u. a. , warnen insbe­sondere vor der „inflationären Verwendung“ der neuen, in das Gefahren­vorfeld verlagerten Eingriffsschwelle der „drohenden Gefahr“ und sehen insgesamt durch die Fülle neuer und weitreichender Befugnisse den Gefahrenabwehrauftrag der Polizei überdehnt, mitunter deklarieren sie gar eine „Ver­nachrichtendienst­lichung“ der Polizei, die schon wegen des Trennungsgebotes beider Behörden­zweige verfas­sungsrechtlich bedenkliche Ausmaße annehme. Inzwischen sind gegen das im Mai verabschiedete bayerische Polizeiaufgabengesetz zahlreiche Verfassungsbeschwerden und Popularklagen anhängig. Dort, wo sich die Erwei­terung bestehender Gefahrenabwehrgesetze derzeit in den parla­mentarischen Beratungen befindet (bspw. in NRW und Nds.) bestehen ebenfalls massive Be­denken der Oppostitionsparteien und es formiert sich z. T. massiver öffentlicher Protest gegen die Vorhaben.

Doch zurück zum Autor des vorliegenden Werkes, Dr. Jan Brenz, der – zwar insgesamt passend zum kritischen Zeitgeist hinsichtlich der Entwicklungen im Polizeirecht – jedoch aus einer ganz anderen Richtung ansetzend dennoch grund­legende Kritik am mitunter zu „vagen Begriffsdenken“ im Gefahrenabwehrrecht übt. Er zielt u. a. Dezidiert auf den „Bestimmtheitsgrundsatz“ v. a. auch i. Z. m. dem kategorialen „Gefah­renbegriff“ und die „Ermessensausübung“ ab. Dazu wählt er, sicher seiner Alma Mater in Tübingen geschuldet, beispielhaft das Polizeigesetz Baden-Württemberg und dessen sich im Vergleich mit anderen Länderpolizeigesetzen kaum wesent­lich unter­schei­dender Dogmatik als Untersuchungsobjekt. Seine Ausführungen sind demnach trotz des gewählten Samples durchaus grds. verallgemeinerungsfähig.

Seine inhaltliche Kritik entwickelt er, selektiv begriffsbezogen, insbe­sondere an der Dogmatik eines sich sowohl im normativen Kontext wie auch in Abhängigkeit von tatsächlichen Situationen unterscheidenden und im Übrigen höchst heterogenen Gefahrenbegriffs im allgemeinen Polizeirecht, an dem Begriffs­denken bei der Bestimmung und Auswahl von „Störern“ (Handlungs- / Zustands­störer, Zweck­ver­anlasser) und anhand des systematisierten Regelwerks der „Ermessens­ausübung“ (Entschließungsermessen, Auswahlermessen, Ermessens­reduzierung etc.). Dieses dogmatisch fragwürdige allgemeine gefahrenab­wehrrechtliche Begriffsdenken hält Brenz schon deshalb für bedenklich, weil bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer bestimmten Maßnahme parallel zur Subsumtion der tatbestandlichen Voraus­setzungen der Ermächtigungsgrundlage das Vorliegen einer spezifischen Situation, die mit diesen z. T. vagen Begriff­lichkeiten eingegrenzt werden kann, gefordert ist (S. 19 f.). Deshalb erachtet er einige dieser üblicherweise verwendeten Termini, Fallgruppen und Regeln für grds. entbehrlich.

Anhand einiger unbestimmter Wertungsbeispiele des Gefahrenbegriffs (z. B. der Begriffspaare der abstrakten und konkreten Gefahr und der Anscheins- und Putativgefahr – aktuell würde er wohl auch den neuen Begriff der „drohenden Gefahr“ in seine Bewertung aufnehmen), die er zunächst tiefergehend normativ ergründet (S. 24 – 42), versucht er schließlich darzulegen, dass sich deren Inhalt alleine aus dem dargelegten normativen Kontext hinreichend erschließen lässt. Die sachgerechte Ausfüllung der begrifflichen Wertungsspielräume bei der Beur­teilung der Rechtmäßigkeit könne dabei insbesondere durch den Verhältnis­mäßig­­­keitsgrundsatz ohne Hinzutreten wertender Attribute vorgenommen wer­den. Dieser überstrahlt im Übrigen das ausgeprägte polizeirechtlich-kasu­istische Begriffsdenken, sowohl als überragendes rechtsstaatliches Prinzip als auch in seiner subsumtiven dogmatischen Unterteilung ohnehin. Das Verhältnis­mäßig­keitsprinzip sei ja bereits implizit in den unterschiedlichen Verdachtsgraden erkennbar aber auch bei den Grundsätzen der gefahrenabwehrrechtlichen Adressatenauswahl und bei der sachgerechten Ermessens­ausübung implizit enthalten. Diese Annahme prüft der Verfasser intensiv und unterzieht dabei den multilateralen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dessen Bezüge zum Polizei­recht einer sehr gründlichen und aus verschiedenen (u. a. historischer, inhaltlich-normativer) Perspektiven vorgenommenen Prüfung.

Die Arbeit erscheint zum richtigen Zeitpunkt, denn sie beleuchtet begleitend zum aktuellen öffentlichen Diskurs rund um den Auftrag der IMK zur Erarbeitung eines einheitlichen Musterentwurfs eines Polizeigesetzes[4] (MEPolG) einige wesentliche Teilaspekte gefahrenrechtlicher Dogmatik grundlegend. Insoweit leistet sie sicher einen signifikanten Beitrag zur aktuellen Diskussion.

[1] Wiss. Hilfskraft am Lehrstuhl von Prof. Dr. Remmert, Juristische Fakultät der Universität Tübingen. Hier geht es zu seinem Autoren-Verlagsprofil.

[2] Inhaltsverzeichnis auf der Verlags-Website von Duncker & Humblot, Berlin.

[3] Vgl. hierzu bspw. die Aufstellung von H. Busch, Polizeigesetzgebung der Länder“, ent­nom­men aus dem Heft Nr. 116 (Juli 2018) des Instituts für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit e. V. (cilip.de).

[4] IMK, 206. Sitzung  am 12. – 14 Juni 2017 in Dresden, TOP 52, Ziff. 4; aus Gründen einheitlicher Rechtsanwendung bei der Gefahrenabwehr und Risikovorsorge in Deutschland wäre es durchaus wünschenswert, den nach 1976 und 1986 (Änderungen im Vergleich zum MEPolG 1976 sind dort ab S. 74 dokumentiert) erneut beauftragten Prozess der Entwicklung hin zu einem einheitlichen MEPolG, der im Auftrag des AK II als Projekt bei der DHPol, Departement III.4, „Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Polizeirecht“, von Hr. Prof. Dr. Dr. Markus Thiel ko­­­­­or­diniert wird, zu einem erfolg­reicheren Abschluss zu führen, als dies be­kanntermaßen den ersten beiden engagierten Projekten nach Vorliegen der Entwürfe in der Umsetzung Ende der 1970er und 1980er Jahre beschieden war.

Rezensiert von: Holger Plank