Maria Walsh – Intensive Bewährungshilfe und junge Intensivtäter. Eine empirische Analyse des Einflusses von Intensivbewährungshilfe auf die kriminelle Karriere junger Mehrfachtäter in Bayern – Rezensiert von: Paul Reiners

Walsh, Maria; Intensive Bewährungshilfe und junge Intensivtäter. Eine empirische Analyse des Einflusses von Intensivbewährungshilfe auf die kriminelle Karriere junger Mehrfachtäter in Bayern; Schriftenreihe des Max-Plank-Institutes für ausländisches und internationales Recht. Reihe K: Kriminologische Forschungsberichte, Band 181, 210 S., ISBN 978-3-86113-269-1

Im Polizei-Newsletter Nr. 192, Januar 2016, Artikel: 3 bestand Veranlassung unter dem Stichwort Sicherheit statt Resozialisierung auf die anhaltende Kontroverse zur rückfallpräventiven Sozialarbeit in der Bewährungshilfe hinzuweisen. Seinerzeit waren die Bestrebungen in Hessen, mit Sicherheitskriterien die Intensität der Betreuung zu bestimmen, Gegenstand der Betrachtung. Inzwischen gibt es eine Vielzahl Maßnahmen, die sich am Risk-Need-Responsivity-(RNR)-Modell orientieren und denen nach dem Risikoprinzip die Überzeugung gemein ist, dass Täter mit mittlerem und hohem Risiko intensiver (und länger) betreut werden sollen als Täter mit geringem. Das zielt umso mehr auf Mehrfachauffällige.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich als Bestandteil der im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom Max-Plank-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg evaluierten Projekts RUBIKOM der Bewährungshilfe am Landgericht München I. für junge Intensiv- und Mehrfachtäter, das im Februar 2010 gestartet für eine Modellphase von 2 Jahren gestartet war.

Zu klären war die Frage, ob die Intensivbewährungshilfe sich nachweisbar auf den Karriereabbruchprozess jugendlicher und heranwachsender Mehrfachtäter auswirkt. Wobei auch der Frage nachgegangen wurde, ob sich bei denen, die im Untersuchungszeitraum strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten waren, mögliche Wendepunkte im Sinn der Kontrolltheorie von Sampson und Laub[1] feststellen lassen, die kausal mit dem Karriereabbruchprozess in Zusammenhang gebracht werden können.

Zum Begriff „intensive Bewährungshilfe“: Die Verfasserin legt dar, dass deren Grundüberlegung in der 60er Jahren in USA zunächst daraus bestanden, die ideale Fallbelastung eines Bewährungshelfers für eine optimale Resozialisierungsunterstützung zu identifizieren. Später entwickelte sich daraus eine Verstärkung von Kontrolle und Überwachung der Probanden außerhalb der Vollzugsanstalten.

Der deutsche Gesetzgeber verwendet den Begriff Bewährungshilfe nur als Bezeichnung des Rechtsinstitutes. Insofern zielt die Aufgabenstellung, die das Gesetz in 56 d STGB formuliert, immer nur auf den einzelnen Bewährungshelfer. Dem Verurteilten wird er beigeordnet, “wenn dies angezeigt ist, um ihn von Straftaten abzuhalten.“ Er soll helfen, betreuen, kontrollieren und berichten, wobei dafür im Grundsatz die drei Methoden der Sozialarbeit zur Verfügung stehen: Einzelfallhilfe, Soziale Gruppenarbeit, Netzwerkarbeit (früher: Gemeinwesenarbeit). Die Intensivprogramme innerhalb der deutschen Justiz zielen durch die Intensivierung der Unterstüzungs- und Kontrollleistung darauf ab, Probanden aus problematischen Lebenssituationen zu helfen, ihre Kompetenzentwicklung zu steigern und mit den Mitteln der sozialpädagogischen Einzelfallhilfe[2] das Ziel zu erreichen, Straftaten zu verhindern. Das fand 2006 seinen Anfang mit dem Projekt Ambulante Intensive Betreuung (AIB), das von Bewährungshelfern in Köln entwickelt und umgesetzt wurde.[3]

Wie auch beim Münchener Projekt, das Gegenstand dieses Buches ist, erfolgte für die teilnehmenden Bewährungshelfer eine Reduzierung der Fallzahl. Das sollte eine höherer Kontaktdichte gewährleisten. Die Fallzahl von 104 (!) Probanden, die 1 Bewährungshelfer zu betreuen hat, wurde für die vier Bewährungshelfer im Projekt auf 52 Probanden reduziert, wodurch jeder zusätzlich zu den „normalen“ Probanden bis zu 5 RUBIKON- Probanden übernehmen konnte. Zur Nutzung dieses Zeitgewinns waren pro Woche mehrere Kontakte der teilnehmenden Probanden vorgesehen, die nun intensiver bei Wohnungssuche, Ausbildungsfragen oder anderen unterstützungsbedürftigen Lebensbereichen betreut und beraten werden konnten.

Auch der Begriff des Intensivtäters bedarf zunächst einer Definition. Die Verfasserin führt an, dass der Begriff strafrechtlich nicht festgelegt ist und länderübergreifend polizeilich durchaus nicht einheitlich verwendet wird. Die Untersuchung folgt der ersten Definition der bayerischen Polizei, wonach unter Intensivtätern Kinder, Jugendliche  und Heranwachsende von 8 bis einschließlich 20 Jahren gesehen werden, für die unter Berücksichtigung von Tatbeteiligungen, persönlichem Umfeld (Gruppenzugehörigkeit), besonderen Lebensbedingungen, Suchtverhalten, schulischem und beruflichem Werdegang und bereits erfolgten jugendrichterlichen Sanktionen eine Negativprognose erstellt wurde.[4] Gleichwohl wich die Zielgruppe des Modellprojekts RUBIKON von dieser polizeilichen Definition etwas ab und bestand aus nach dem JGG verurteilten Probanden mit primärer oder sekundärer Bewährungsaufsicht, oder die gem. § 61 StGB unter Führungsaufsicht standen und die zudem in 4 von 7 Lebensbereichen – die ein wenig der Aufteilung der Karten bei MIVEA ähneln – Auffälligkeiten gezeigt hatten. Dann erst waren die grundlegenden Voraussetzungen der mehrfachen Straffälligkeit und/oder eines erheblichen Aggressionspotenzials gegeben, an die eine Projektteilnahme geknüpft war.

So wurde eine Projektgruppe von 91 Teilnehmern gebildet. Der wurden drei aus der Grundgesamtheit der bayerischen Intensivtäter gebildeten Kontrollgruppen gegenübergestellt, die insgesamt 246 Personen umfassten. Die Legalbewährungsuntersuchung erfolgte durch regelmäßige Auszüge aus Bundeszentral- und Erziehungsregister und ergänzende Erhebungsbogen zur selbstberichteten Delinquenz. Die Befragung der Teilnehmer erfolgte durch leidfadengestützte Interviews, wobei zur Prozessevaluation auch die Projektbewährungshelfer zum pädagogischen Konzept, zu durchgeführten Maßnahmen und zum Umgang mit Motivationsproblemen und Verstößen vonseiten der Projektteilnehmer befragt wurden. Zur Untersuchung der Existenz und Bedeutung von etwaigen, für den Karriereabbruch kausal wirkenden Wendepunkten wurde eine qualitativ längsschnittliche Untersuchung der Lebensentwicklung der Probanden und Forschungsdesign aufgenommen und die transkribierten Interviewinhalte einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen.

Fazit

Die Projekteilnehmer zeigten im Vergleich zur Kontrollgruppe weder bezüglich der Rückfallquote, noch -anzahl,-schwere oder -geschwindigkeit signifikant positive Abweichungen. Ein positiver Einfluss des Intensivbewährungshilfeprojektes auf die Karriereabbrüche ließ sich nicht feststellen. Der Überblick der Evaluationsstudien im Bereich Intensivbewährungshilfe, die vor allem im angelsächsischen Raum durchgeführt wurden, zeigt, dass der Nachweis eines signifikanten Unterschieds zwischen Kontroll- und Experimentalgruppe im Hinblick auf die Legalbewährung bislang nicht erbracht werden konnte. Die Verfasserin weist aber darauf hin, dass die Evaluationsergebnisse aus anderen Ländern wegen Unterschiede der rechtlichen Rahmenbedingungen und wegen der Unterschiede der Zielgruppen und der Betreuungs- und Behandlungsansätze nicht auf Deutschland übertragbar sind. Umso wertvoller sind die nun vorliegenden Evaluationsergebnisse des Münchener Projektes.

Betreuen meint laut wiktionary; jemanden versorgen, beaufsichtigen und sich um dessen Belange kümmern, da diese Person dies selbst nicht (mehr) kann, oder : für etwas oder jemanden verantwortlich sein. So bieten sich also als Gegenstand intensiveren Bemühens des einzelnen Bewährungshelfers die Bereiche Helfen und Betreuen an, die das übergeordnete Ziel verfolgen, den Verurteilten von Straftaten abzuhalten. Aber auch hier gilt, dass der Erfolg der Bemühungen sehr davon abhängt, inwieweit ein Straftäter bereit ist, sich als hilfsbedürftig zu sehen und sich in der Folge helfen zu lassen.

Der Verfasserin verweist darauf, dass frühere Untersuchungen (Farral 2002) nur einen geringen Einfluß von Strafaussetzungen zur Bewährung auf den Karriereabbruch nachgewiesen haben und es sehr davon abhänge, inwieweit ein Straftäter bereit sei, seine Lebensführung zu ändern. Erst dann könne Bewährungshilfe überhaupt erst ihre unterstützende Wirkung entfalten.

Das gilt wohl auch für die Turningpoints. Deren Auswirkung auf das Legalverhalten, so die Verfasserin, liegt weniger in der Situation an sich, sondern in der Bedeutung, die ihnen der Betreffende beimisst.

Das Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Evaluation der sog. Intensivbewährungshilfe und ihrer Bedeutung im Hinblick für die Abbrüche krimineller Karrieren junger Straftäter.

[1] Sampson& Laub, 1993

[2] Die Münchener Bewährungshelfer verwendeten mit dem Ziel der Verbesserung der Empathiefähigkeit und Sozialkompetenz ihrer Probanden zusätzlich auch die Methode der Sozialen Gruppenarbeit.

[3] Nach Mitteilung der Verfasserin findet seit 2011eine extern Evaluation des Projektes statt, deren Ergebnisse noch nicht vorliegen.

[4] Die Intensivtäter der zweiten Definition sind dann im Alter von 20 bis 70 Jahren, und unterliegen noch andern Kriterien.

Rezensiert von: Paul Reiners