Accountability of Policing – Stuart Lister, Michael Rowe

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Lister, Stuart & Rowe, Michael; Accountability of Policing; Taylor & Francis, London und New York 2015, 238 S., ISBN 978-0-415-71533-1

Accountability

Der Begriff „accountability“ im Zusammenhang mit Polizeiarbeit lässt sich nur bedingt in die deutsche Sprache übertragen. Am besten lässt er sich noch mit Verantwortung, Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht übersetzen. Inhaltlich geht es dabei um die Frage, ob und inwieweit die Polizei als Institution und einzelne Polizeibeamte als Person für ihr Handeln (oder Unterlassen) zur Rechenschaft gezogen werden können, und zwar nicht primär straf- oder zivilrechtlich, sondern im Rahmen von zivilgesellschaftlichen und/oder polizeiinternen Mechanismen.

Denn auch wenn Joachim Kersten meint, dass die „Nichtübersetzbarkeit“ von police accountability sich aus dem Unterschied zwischen „den Common Law Rechtskulturen in der englischsprachigen Welt und den Civil Law Rechtssystemen kontinentaleuropäischer Provenienz, die auf kodifiziertem Recht beruhen und einen anderen Rechtsstatus der Bürger gegenüber dem Staat und seiner Polizei mit einschließen“ beruht[1], so geht es in der Sache doch darum, Strategien und Mechanismen zu finden, wie sich die Polizei intern so aufstellen kann, dass die Verantwortlichkeiten für ihr Handeln nachvollziehbar, überprüfbar und transparent darstellbar sind. Auf der anderen Seite gehört hierzu auch der schon lange schwelende Streit, ob Instrumente zur Polizeikontrolle (wie Polizeikommissionen, Polizei-Ombudsleute, Bürgerbeschwerdestellen etc.) sinnvoll und notwendig sind. Die Verbindung von „accountability“ und „integrity“ wird dabei international schon sehr lange diskutiert[2].

Der von den beiden Polizeiwissenschaftlern Lister und Rowe herausgegebene Band versammelt insgesamt 11 Einzelbeiträge, die sich alle mit der Problematik der „accountability of policing“ beschäftigen. Das Buch gibt daher – wenn auch mit Perspektive auf Großbritannien – einen guten Überblick auf die aktuelle Diskussion in diesem Bereich. Hervorzuheben sind dabei – neben dem Überblicksbeitrag der Herausgeber selbst (S. 1 ff.) – vor allem die folgenden Beiträge:

  • Richard Young (The rise and fall of „stop and account“, S. 18 ff.) thematisiert die Problematik, dass polizeiliche Kontrollmaßnahmen oftmals als unverhältnismäßig empfunden oder am Aussehen der Person orientiert durchgeführt werden. Das Thema des „racial profiling“ wird in Deutschland leider noch immer negiert, auch wenn nicht nur Gerichte (wie zuletzt das VG Köln[3]) sich mit dem Thema befassen mussten, sondern regelmäßig Betroffene und NGOs sich über solche Maßnahmen beklagen. Ein Antrag des Bochumer Lehrstuhls, eine wissenschaftliche Studie zum Thema der Verdachtsgewinnung bei Polizeibeamten durchzuführen (um herauszufinden, welche Kriterien Polizeibeamte für die Auswahl der zu Kontrollierenden anlegen) wurde 2015 leider vom Innenministerium NRW abgelehnt; allerdings wird eine vergleichbare Studie demnächst in Berlin durchgeführt werden können.[4]
  • Prenzler und Porter thematisieren in ihrem Beitrag (Improving police behaviour and police-community relations through innovative resonses to complaints, S. 49 ff.) die Möglichkeit, durch transparenten und interaktiven Umgang mit Bürgerbeschwerden die Zufriedenheit der Bürger mit der Polizei und (wichtig auch für die Polizei selbst) die Zusammenarbeit zwischen Bürgern und Polizei zu verbessern (dazu auch der Beitrag von Davids und Boyce, Integrity, accountability and public trust, S. 86 ff.). Sie bezeichnen Beschwerden als „key learning tool“ für polizeiliche Führung und Fortbildung und weisen auch auf sog. „problem officers“ hin, also auf das, was wir z.B. unter dem Stichwort „Widerstandsbeamte“ diskutieren.
  • Rowe u.a. stellen in ihrem Beitrag (Getting behind the blue curtain, S. 69 ff.) u.a. die Ergebnisse einer Befragung vor, in der sie die Wahrscheinlichkeit der Meldung von „problematischem Verhalten“ bei Polizeibeamten erfragt haben, und zwar im Vergleich von Selbsteinschätzung und Einschätzung von Kollegen – mit überaus spannenden Ergebnissen.
  • Rob Reiner, wohl einer der bekanntesten Polizeiwissenschaftler weltweit, geht in seinem Beitrag (Power to the people?, S. 132 ff.) der Grundsatzfrage nach, wer denn eigentlich die Polizei kontrollieren soll und kann – da sie es ja schließlich nicht selbst tun kann (Quis custodiet ipsos custodes?).
  • Mit dem Thema „Private security and the politics of accountability“, das nicht nur aufgrund der Ereignisse Ende 2015 in Asylbewerber- und Flüchtlingsunterkünften auch für uns relevant ist, beschäftigt sich Adam White (S. 172 ff.) und hebt hervor, dass es nicht nur für die staatliche Polizei, sondern auch für private Sicherheitsunternehmen entsprechende Kontrollmechanismen geben muss.
  • Spannend zu lesen ist aber vor allem der Beitrag von Bowling und Sheptycki (Reflections on legal and political accountability for global policing, S. 214 ff.), wo es u.a. um „tribal affinity“ innerhalb der Polizei und „symbolic paraphernalia“ auf Polizeirevieren geht.

Unterm Strich (und vor der „blue line“) haben Lister und Rowe einen Band vorgelegt, der in jede Polizeihochschul-Bibliothek gehört. Schön wäre es, wenn sich ein deutscher Verleger finden würde, der die Beiträge ins Deutsche übersetzen lässt – denn vielleicht würde ein solches Buch dann weiter verbreitet werden und der doch sehr deutschen, bürokratischen Diskussion um die Verantwortlichkeit von Polizei und ihrem Handeln neuen Aufwind geben.

[1] http://www.bmi.gv.at/cms/bmi_siak/4/2/1/2012/ausgabe_1/files/kersten_1_2012.pdf S. 8

[2] Vgl. meine Beiträge von 1999/2000: Police Integrity and the Police Organisation – L´intégrité dans l´organisation de la police. In : La Deontologie Policiere, instrument de consolidation des droits de l´homme. Paris (Ministere de l´Interieure 2000, S. 10-21 (französisch), S. 86-95 (englisch) und S. 234-255 (arabisch) (Kurzfassung von Police Integrity and the Police Organization. Florenz 1999.

[3] http://rsw.beck.de/cms/main?docid=374847

[4] Über die wahren Gründe für die Ablehnung unseres Antrages kann man nur spekulieren. Offiziell wurde uns mitgeteilt, dass unser Vorgehen „nicht repräsentativ“ sei, u.a., weil wir in einem Pre-Test (!) nur NRW-Beamte befragen wollten, bevor das bundesweite roll-out geplant war. Solche Versuche, auf Inhalt und Methodik von Forschungen Einfluss zu nehmen, nehmen leider zurzeit wieder überhand. Offensichtlich ist die politische Angst in diesem Bereich groß.

Rezensiert von: Thomas Feltes