Representative Studies on Victimisation – Dirk Baier, Christian Pfeiffer (eds.)

346) Baier, Dirk, Pfeiffer, Christian (eds.); Representative Studies on Victimisation; Research Findings from Germany; Nomos-Verlag Baden-Baden, 2016, Interdisziplinäre Beiträge zur Kriminologischen Forschung, Bd. 48, 308 S., ISBN 978-3-8487-2984-5, 79.- Euro

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Repräsentative und empirisch verlässliche Studien zur registrierten Kriminalität und deren Entwicklung sowie zum Dunkelfeld und zur Viktimisierung und Verbrechensfurcht sind in Deutschland selten, aber es gibt sie. Richtig ist (wie der Verlag auf seiner Webseite wirbt) dass ein „wesentlicher Fokus der Forschungsarbeiten des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, in dem alle hier vorgestellten Beiträge verfasst wurden, …

auf dem Thema der Viktimisierung (liegt). In den letzten Jahren wurden hier Studien zu Risikofaktoren der Viktimisierung, zur Viktimisierung verschiedener Bevölkerungsgruppen und zu Folgen der Viktimisierung durchgeführt. Alle Beiträge des Buches präsentieren Befunde empirischer Forschungsprojekte. Diese basieren einerseits auf umfangreichen standarisierten Befragungen, andererseits aber auch auf Interviewstudien mit einer kleinen Anzahl an Befragten“.

Die Beiträge verschiedener Autoren decken eine große Bandbreite relevanter Themen ab. Diese reichen von der Bewertung offizieller Kriminalstatistiken (im Teil I) über die Einschätzung der Kriminalität durch Bürger im Teil II und Ergebnisse zu speziellen Bevölkerungsgruppen (wie Polizeibeamte, Gefängnisinsassen, Kinder) im Teil III bis hin zu Beiträgen im Teil IV; die sich mit den Konsequenzen der Viktimisierung beschäftigen.

Für den deutschen Leser enthält der Band keine neuen Ergebnisse und Einsichten in die Thematik, da alle Studien anderenorts (auf Deutsch) publiziert wurden. Der Wert der Veröffentlichung liegt zweifellos darin, dass durch die englischsprachige Veröffentlichung diese Studien auch einer breiteren internationalen scientific community zur Kenntnis gebracht werden.

Gerade deshalb wäre es aber wünschenswert gewesen, wenn sich wenigstens ein Einführungsbeitrag mit der generellen Situation der Viktimisierungsforschung in Deutschland beschäftigt und einen (wenn auch nur groben) Überblick darüber gegeben hätte. Dann wäre auch der Untertitel („Research Findings from Germany“) angemessen gewesen. So aber bleibt für den unbedarften ausländischen Leser (und davon gibt es ja durchaus einige, da nur wenige deutsche Wissenschaftler die Möglichkeit haben, auf Englisch zu publizieren) der Eindruck, dass diese Forschung weitestgehend oder gar ausschließlich am KFN durchgeführt wird.

Auch fehlen Hinweise auf die Autoren, so dass man die Verbindung zum KFN auch hier nur erahnen kann. Letztlich wäre auch ein (vielleicht nicht nur für den deutschen Leser sinnvoller) Verweis auf die deutschen Veröffentlichungen zu den jeweils präsentierten Forschungsprojekten hilfreich gewesen.

Inhaltlich soll nur ein Beitrag kurz kommentiert werden: Ellrich und Baier beschreiben die KFN-Studien zur Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und –beamte (S. 141 ff., Police Officers as Victims of Violence: Findings of a Germany-wide Survey). Sie verweisen dabei (auf S. 142) darauf, dass sich (nur) 10 der 16 Bundesländer an der Studie beteiligt haben. Leider erfolgt kein Hinweis darauf, warum dies der Fall war und es wird auch nicht deutlich gemacht, dass diese Studie in enger Abstimmung mit den Polizeigewerkschaften durchgeführt wurde. Die wissenschaftliche Seriosität hätte dies m.E. jedoch geboten, da die erzielten Ergebnisse dadurch durchaus beeinflusst wurden – oder zumindest besteht diese Möglichkeit. Auch geht der Beitrag nicht auf die Frage ein, ob und ggf. in welcher Form die Interaktion zwischen Polizei und Bürgern durch eigene polizeiliche Gewalthandlungen beeinflusst wird. Aber dieser Aspekt war in der Studie offensichtlich ebenso wie Fragen zur Persönlichkeit der Beamten (Stichwort „Widerstandsbeamte“) nicht erwünscht.

Nur nebenbei sei angemerkt, dass dieser Beitrag durchaus auch die Möglichkeit gegeben hätte, dem im vergangenen Jahr im Alter von nur 53 Jahren verstorbenen Thomas Ohlemacher, der maßgeblich die erste Studie zu dem Thema am KFN durchgeführt hat (im Jahr 2000) und die auf S. 142 auch erwähnt wird, zu gedenken[1].

Der für einen Band von ca. 300 Seiten durchaus beträchtliche Preis von 79.- Euro wird leider auch nicht dazu führen, dass sich die Publikation in deutschen Bibliotheken verbreitet. Die Zielgruppe wird wohl eher dort zu finden sein, wo man ausländische Kollegen auf die Forschungen am KFN hinweisen will.

[1] S. dazu http://www.empirische-polizeiforschung.de/ohlemacher.php

Rezensiert von: Thomas Feltes