Klaus Jost – Der Fall Alexander C. Konfrontation mit der Staatsgewalt.

347) Jost, Klaus; Der Fall Alexander C. Konfrontation mit der Staatsgewalt.; Lehmann media, Berlin 2015, 127 Seiten, € 12,95. ISBN 978‐3‐86541‐740‐4

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Der Klappentext des Buches beginnt mit dem Satz: „Wir wollen als Eltern doch nur die Wahrheit wissen“. Dies sagt die Mutter des 28‐jährigen Jurastudenten, der von zwei Polizisten im Einsatz misshandelt und erschossen wurde. Die Frage, warum die Umstände nie wirklich aufgeklärt wurden, wird sie (wie viele Hinterbliebene oder auch Opfer von Polizeigewalt) noch lange, wahrscheinlich ein Leben lang beschäftigen. Und für sie wie für die meisten Opfer ist die Beantwortung der Frage, warum nicht mehr zur Aufklärung getan wurde, oftmals wichtiger und schmerzhafter, als etwaige polizeiliche Übergriffe selbst.

Wir werden dies, in zugegeben anderem Kontext, demnächst im Strafverfahren im Zusammenhang mit dem „Loveparade“‐ „Unglück“ wieder erleben und dürfen gespannt sein, wie das Gericht damit umgeht. Denn rechtlich betrachtet hat das Strafverfahren einzig und allein das Ziel, die Schuld eines (oder mehrerer) Angeklagten festzustellen. Eine wirkliche Aufklärung von Ereignissen lässt sich in diesem, durch prozessuale Maßnahmen eng begrenzten Rahmen nur selten leisten – wie auch das aktuelle NSU‐Verfahren leider zeigt.

Der Rechtspsychologe Klaus Jost fragt in seinem Buch, wie es sein kann, dass in diesem Fall wie auch in so vielen anderen Fällen mutmaßlich unverhältnismäßiger Polizeigewalt Ermittlungen der Justiz mit Verfahrenseinstellungen enden – ohne gerichtliche Aufklärung!

Das Buch muss man lesen. Auch und gerade, wenn man angeblichen Verschwörungstheorien nicht glaubt und meint, die Polizei mache immer alles richtig und keine Fehler. Denn eines ist sicher: Eine wirkliche Fehlerkultur gibt es bei der Institution Polizei noch immer nicht. Daran ändert auch im aktuellen Fall der Übergriffe gegen Asylbewerber durch einen Bundespolizisten in Hannover die hektische Einführung eines (einzigen!) Polizeibeauftragten bei der Bundespolizei nichts. Für eine solche Art von Nebelkerzen‐Werfen sollte sich eigentlich die Führung der Bundespolizei zu schade sein. Besser ist das schon die Forderung des BdK nach Beauftragten in allen Ländern und auf Bundesebene [1].

Was war eigentlich passiert damals? „Am Morgen des 26.1.2010 gegen 4.36 Uhr wurden die beschuldigten Polizeibeamten A. und B. per Funk zum Bürgerhospital in Frankfurt am Main gerufen, weil dort im Hof ein Mann eine Frau bedrohe. Bei diesen Personen handelte es sich um den 28‐jährigen Alexander C. und dessen Bekannte. Kurze Zeit später wurde den Beamten ‐ wiederum per Funk ‐ mitgeteilt, dass der Mann mit einem Messer bewaffnet sei. Als die Beamten eintrafen, lief Alexander C. schnellen Schrittes und mit erhobenem Messer auf die Beamten zu. Die Beamten forderten ihn mehrfach unter vorgehaltener Waffe zum Stehenbleiben auf, worauf dieser ‐ was seine Eltern jedoch in Abrede stellen ‐ nicht reagierte und sich weiter auf die Beamten zubewegte. Als Alexander C. noch etwa zwei bis drei Meter von dem Beamten A. entfernt war, schoss dieser in Richtung des Oberkörpers von Alexander C. und traf ihn. Im weiteren Verlauf gab der Polizeibeamte B. mehrere Schüsse auf die Unterschenkel des Alexander C. ab. Allein ursächlich für den später trotz sofort eingeleiteter Notfallversorgung eingetretenen Tod von Alexander C. war die durch den ersten Schuss herbeigeführte innere Blutung durch eine Verletzung der Leber. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat das gegen die Polizeibeamten eingeleitete Ermittlungsverfahren im November 2011 eingestellt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Eltern des Alexander C. bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main hatte keinen Erfolg“ [2].

Soweit die sachliche Presseerklärung des OLG Frankfurt vom 14.11.2012. Dazu wird weiterhin mitgeteilt, dass das Gericht den Klageerzwingungsantrag in Bezug auf beide beschuldigten Polizeibeamten für unzulässig hält. Hinsichtlich des Polizeibeamten B. sei dies bereits deshalb der Fall, weil Angehörige eines Getöteten wegen einer gefährlichen Körperverletzung nicht berechtigt sind, ein Klageerzwingungsverfahren zu betreiben. Diese Möglichkeit bestehe nur dann, soweit durch die Tat der Tod eingetreten sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen, da die Schüsse des Polizeibeamten B. nicht ursächlich für den Tod von Alexander C. gewesen seien. Den Klageerzwingungsantrag betreffend den Polizeibeamten A. hat das OLG ebenfalls als unzulässig verworfen. Voraussetzung für die Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahrens sei, dass der Antragsteller einen in sich geschlossenen Sachverhalt vortrage, der ‐ wenn man ihn als richtig unterstelle ‐ die Erhebung einer Anklage rechtfertigen würde. Dies sei indes nicht der Fall.

Begründet wird die Entscheidung damit, dass der von den Eltern behauptete Sachverhalt, wonach Alexander C. nach der Ansprache durch die Polizeibeamten stehen geblieben sei und sich auf der Stelle hin und her bewegt habe ‐ seinen Angriff also beendet habe ‐ nicht belegt. Dabei ging es hier (noch) nicht um eine Verurteilung, sondern „nur“ um die Frage, ob überhaupt im Rahmen einer strafrechtlichen Hauptverhandlung geklärt werden soll, was sich tatsächlich ereignet hat. Insofern ist diese Entscheidung beispielhaft für viele andere, in denen es um Polizeigewalt ging und in denen ein Strafverfahren erst gar nicht eröffnet wurde.

Das Gericht behauptet zudem, dass die von den Eltern erhobenen Vorwürfe, Beweismittel seien manipuliert worden bzw. verschwunden, spekulativ und ebenfalls durch keine Tatsachen belegt seien. Das Gericht meint offensichtlich, dass die Eltern die Beweise für ein Strafverfahren vorzulegen haben

– eine drastische Verkennung der Aufgaben der Staatsanwaltschaft, die offensichtlich hier wie in vielen anderen Fällen versagt hat. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Polizeibeamten in Notwehr gehandelt hätten. Angesichts der Dynamik des Geschehens hätten die Polizeibeamten keine Zeit mehr gehabt, den Messerangriff von Alexander C. zunächst durch einen Schuss in seine Beine sofort und endgültig zu beenden, ohne sich selbst einer Lebensgefahr auszusetzen.

Und dann kommt noch ein Satz, der aufhorchen lässt: Für die Beamten sei schließlich auch nicht erkennbar gewesen, dass Alexander C. unter einer psychischen Erkrankung gelitten habe. In den letzten Jahren waren 8 von 10 Opfern von tödlicher Polizeigewalt psychisch krank [3]. Es wird Zeit, darüber intensiver nachzudenken.

Zu und über diesen Fall ist nun ein Buch erschienen. Es ist leider selten, dass Fälle von Polizeigewalt nachträglich noch einmal unabhängig aufgearbeitet und dokumentiert werden. Schon deshalb ist dieses Buch wichtig.

[1] http://www.deutschlandfunk.de/bund‐deutscher‐kriminalbeamter‐beauftragter‐fuer.1818.de.html?dram:article_id=320828

[2] https://olg‐frankfurt‐justiz.hessen.de/irj/OLG_Frankfurt_am_Main_Internet?rid=HMdJ_15/OLG_Frankfurt_am_Main_Internet/nav/855/8556f168‐2180‐411a‐eb6d‐f144e9169fcc,,,,11111111‐2222‐3333‐4444‐100000005003.htm

[3] S. dazu meine Besprechung: http://www.polizei‐newsletter.de/books/2015_Pschyrembel_Feltes.pdf

Rezensiert von: Thomas Feltes