Ann-Kathrin Richter und Henry Haac – 110 GRÜNDE, POLIZIST ZU SEIN

352) Ann-Kathrin Richter und Henry Haac; 110 GRÜNDE, POLIZIST ZU SEIN; Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag Berlin, 9,99 Euro,  ISBN 978-3-86265-385-0, 273 S.

110_gruende

„Waren Sie nicht auch schon einmal vom Beruf des Polizisten fasziniert, der ständig Gefahren ausgesetzt ist? Fragen Sie sich jedes Mal, wenn ein Polizeiauto mit Blaulicht und Tatütata über die Kreuzung fegt, wohin die Polizisten wohl unterwegs sind? Und wer sind eigentlich diese Leute in Uniform, die sich als Ihr »Freund und Helfer« bezeichnen?“

Mit diesen Sätzen wirbt der Verlag für den am 1. April 2016 erschienen kleinen Band – ein Aprilscherz soll es dennoch nicht sein, denn die Reihe „110 Gründe, (Feuerwehrmann, Arzt …… ) zu sein“ scheint in dem Berliner Verlag ein Renner zu sein.

Und weiter der Verlag: „Bei den jungen Polizeikommissaren Ann-Kathrin Richter und Henry Haack werden Sie zum Beifahrer und Arbeitskollegen im Streifenwagen. In ihrem Buch beschreiben die Autoren humorvoll, selbstironisch und spannend, was für Kuriositäten Polizisten in ihrem täglichen Einsatzgeschehen erwarten – angefangen von faulen Ausreden der Verkehrssünder bis hin zu Festnahmen, Verfolgungsjagden und dem Räuber Hotzenplotz, für jeden ist etwas dabei.“

Die Gründe, die dann (auf der website und im Buch) genannt werden, sprechen wohl für sich: „Weil Polizisten (eventuell) keine Stripper sind. Weil auch mal der Mond geklaut wird. Weil man anderen ein Knöllchen schreiben kann. Weil das Verbrechen niemals schläft. Weil täglich Märchenstunde ist. Weil ein Schusswaffengebrauch im Notfall dazugehört. Weil Polizisten die besseren Verbrecher sind. Weil man seine Traumfrau im Streifenwagen kennenlernt. Weil Polizisten auch bei völliger Ahnungslosigkeit sicher auftreten müssen. Weil ein Kinderlächeln die größte Belohnung ist. Weil Polizisten immer ein Affenkotelett dabeihaben sollten. Weil man andere beim In-der-Nase-Bohren beobachten kann. Weil Polizisten eine Waffe als »Lebensversicherung« tragen. Weil Polizisten Verbrecher fangen. Weil das Beamtentum ein Segen ist. Weil Polizisten die »besseren« Autofahrer sind. Weil Verfolgungsfahrten der pure Adrenalinkick sind. Weil jeder eine Leiche im Keller hat. Weil Polizisten eine »Bauchweg-Weste« tragen. Weil Kaffee zum Hauptnahrungsmittel wird. Weil auch ein Stau die Polizei nicht aufhalten kann.“

Also ein Buch, das man getrost übersehen kann? Nicht unbedingt. Denn zum einen dürfte die Auflage (und damit Verbreitung) beträchtlich sein – und damit der „Aufklärungswert“ des immerhin über 270 Seiten starken Buches nicht unerheblich. Zum anderen ist es in einer Sprache geschrieben, die jeder (aber auch wirklich jeder) lesen kann…

Dass damit der Inhalt hier und da Schaden leidet, wird nur der erkennen, der sich genauer auskennt. Um zwei Beispiele zu nennen: Auf S. 220 ff. wir als „93. Grund“, Polizist zu werden, genannt. „Weil Verfolgungsfahrten der pure Adrenalinkick sind“. Ja, tatsächlich haben wir dies ebenso wie den dort auch genannten „Jagdtrieb“ auch wissenschaftlich belegt. Allerdings kritisch und analytisch, und nicht effektheischend: „Es gibt kaum einen Kollegen, der nicht mit leuchtenden Augen von solchen Erlebnissen erzählen könnte“ (S. 223). Auch die, die den Tod von drei Personen verschuldet haben, nach einer Verfolgungsfahrt in Filderstadt am 22.03.2016[1]? Der Anlass war – wie die Autoren in ihrem Buch selbst schreiben – wie so oft eine „Lappalie“, sprich die Verweigerung einer Verkehrskontrolle. Auf die Tatsache, dass Verfolgungsfahrten rechtlich problematisch sind und längst hätten gesetzlich eingeschränkt werden müssen[2], gehen die Autoren natürlich nicht ein.

Dennoch bleibt am Ende ein versöhnliches Fazit, denn die Autoren halten auch den Polizisten selbst einen Spiegel vor – vor allem denjenigen, die so gerne und so häufig jammern, weil es ihnen so schlecht geht[3]. Da wird auf die Vorzüge (ja, Vorzüge!) des Schichtdienstes hingewiesen und ebenso auf die Tatsache, dass Polizisten ihre Ausbildung bezahlt bekommen, umsonst Bahn fahren können und deutlich niedrigere Sozialabgaben haben als „normale“ Menschen. Auf die eher der Werbung für den Band dienenden, persiflierenden Themen soll hier nicht eingegangen werden. Ob die Autoren dabei gut beraten waren?

Insofern tatsächlich eine Werbebroschüre für den Polizeidienst. Wurde sie denn auch von der Polizei NRW subventioniert?

[1] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/filderstadt-drei-tote-bei-verfolgungsjagd-in-baden-wuerttemberg-a-1083533.html

[2] S. Thomas Feltes, Polizeiliche Verfolgungsfahrten und der Jagdinstinkt. Kriminologisch-polizeiwissenschaftliche Anmerkungen zu einem wenig beachteten Phänomen. In: Polizei & Wissenschaft 2011, 1, S. 11-23

[3] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/gewalt-gegen-polizisten-heule-heule-gaenschen-12092159.html

Rezensiert von: Thomas Feltes