Rolf Rainer Jäger et al. – KFB / Kriminalisten-Fachbuch Kriminalistische Kompetenz

359) Jäger, Rolf Rainer et al.[1]; „KFB / Kriminalisten-Fachbuch Kriminalistische Kompetenz“[2]; (3.596 Seiten, Verlag Schmidt-Römhild, Lübeck, Aktualisierung 2016, ab 39.90 €)

 KFB-App

Das „Kriminalisten-Fachbuch Kriminalistische Kompetenz“, das seit dem Jahr 2000, zunächst bis zum Jahr 2014 als Loseblattsammlung mit regel­mäßigem Nachtragsdienst (bis zu diesem Zeitpunkt wurde das Grundwerk neun Mal aktualisiert),dann als CD-Version für den PC, später ausschließlich als IOS- und Android-App für Tablets und Smartphones und seit Ende 2015 nun zusätzlich auch als Desktop-Version bei Schmidt-Römhild (bzw. Beleke) herausgegeben wird, erfuhr im Frühjahr 2016 seine letzte Aktualisierung.

49 Autoren haben auf inzwischen 3596 (!) Seiten ein überaus stattliches Kom­pendium „kriminalistisch-krimi­nologischer, strafrechtlicher und strafpro­zessualer Grundlagen und Experten­wissens für Studium und Praxis in der Kri­mi­minalitätsbekämpfung“ geschaffen, das man, einmal geöffnet, im (Berufs-) Alltag wie auch sonst als Nachschlagewerk nicht mehr missen mag.

Das Werk ist nach einer Einleitung in sieben Kapitel mit einer jeweils sehr feingliedrigen Unterteilung gegliedert:

  • Kapitel I – Kriminalistik (KR)
  • Kapitel II – Kriminaltechnik (KT)
  • Kapitel III – Allgemeiner Teil (AT) / Straf- und Strafprozessrecht, Organisation der Kriminalitätsbekämpfung und internationale polizeiliche Zusammenarbeit
  • Kapitel IV – Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen (VEM)
  • Kapitel V – Kriminologie (KL)
  • Kapitel VI – Rechtsmedizin (RM) und
  • Kapitel VII – Deliktsbezogene Sachbearbeitung (DSB) / Phä­no­ty­pische strafrechtliche Bewertung und kriminaltaktische Fallbear­beitung in den jeweils genannten Deliktsfeldern.

Die Autoren, Führungskräfte des Polizei- und Kriminaldienstes, (ehemalige) Do­zenten an Universitäten und polizeilichen Fachhochschulen, Rechtsmedi­ziner, (freiberufliche) Wissenschaftler in kriminalistischen Instituten, Diplom-Krimi­nalisten (z. B. der Humboldt-Universität Berlin) und zahlreiche Praktiker aus dem kriminalpolizeilichen Ermit­t­lungsdienst bieten einen sehr soliden Überblick über das kriminalistische „Handwerk“ und stellen den fa­cettenreichen, spezialisierten Alltag des Kriminalisten gut dar.

Das KFB ist schon ob seines Umfangs weit mehr als ein bloßes „Lehrbuch“ herkömmlicher Art. Es ist sowohl wegen seiner multi- bzw. interdisziplinären Aufmachung als auch hinsichtlich seines thematischen und inhaltlichen Ausmaßes und seiner kollegialen, gleichermaßen aus Praxis, Lehre und Forschung stammenden Autorenschaft eher eine „enzyklopädische“ Darlegung der „Kriminalitäts­kontrolle“ in zahlreichen ihrer alltäglichen Facetten. Vor allem vermittelt die Verknüpfung zwischen Praxis und Theorie, zwischen Empirie und (Wis­senschafts-)Dogmatik, zwischen praktischem „Kriminalisten-Handwerk“, empirisch geronnener kriminalistisch-kriminologischer Theorie­bildung, zwi­schen einem z. T. aufkeimenden, jedenfalls auf dem Gebiet der Natur­wissenschaften und der Rechtsmedizin, stellenweise „kritischen Rationa­lismus“ Popper`scher Prägung und (materieller / formeller) strafrechtlicher Rechts­­dogmatik einen ganz guten Eindruck dessen, was sich von Liszt, Dochow u. a. ausgangs des 19. Jahrhunderts (damals noch sehr vage) unter dem Begriff „Gesamte Strafrechts­wissenschaft“ als idealtypisches Konglomerat vorgestellt haben dürften.

„Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen. Wer die Gegenwart nicht versteht, kann die Zukunft nicht gestalten!“ (Friedrich Bergmann)

Schon wegen der notwendigen zeitgeschichtlichen Einordnung der ehemals „strafrechtlichen Hilfswissenschaften“, finde ich die jeweiligen sehr umfäng­lichen (historischen) Einführungen in die Kriminalistik und die Krimi­nologie hilfreich, um deren jeweils vorhandenes Potential bei der polizeilichen wie auch justiziellen (strafprozessualen) Taktik- und Strategieentwicklung bzw. Beweis­lehre und -würdigung einordnen zu können.

Polizei und Justiz sollten idealtypisch in der Lage sein, als Gesamtorganisation objektive und subjektive Sicherheit in einer gesellschaftlich akzeptablen Homöostase zu halten. Das Kompendium behandelt in diesem Zusammenhang auch angemessen und durchaus ausreichend die diesbezüglichen Problem­stellungen des Föderalismus und der internationalen polizeilichen / justiziellen Zusam­menarbeit sowie die (institutionalisierte wie auch anlassorientierte) Zu­sammenarbeit mit privaten Sicherheitsdienstleistern.

Das Konvolut ist auch deshalb für den Leser sehr hilfreich, weil es ob seines gut gegliederten Ausmaßes und seiner trefflichen thematischen Breite sehr deutlich macht, „dass die Schere zwischen dem Wissen, über das Kriminalistinnen und Kriminalisten und alle in der Kriminalitätsbekämpfung tätigen Experten heute auch wegen der immer komplexer werdenden rechtlichen (und tatsächlichen) Grundlagen für das Handeln in der Kriminalitätsbekämpfung verfügen sollten und dem polizeilich erwerbbaren Wissen immer weiter auseinandergeht.“ Verbunden ist damit schon aus standesvertretungsbezogener Sicht (das Werk wird von der Berufsvertretung der deutschen Kriminalpolizei, dem Bund Deutscher Kriminalbeamter, nicht nur tatkräftig unterstützt sondern auch intensiv beworben) der vielfache und durchwegs gut dargelegte Hinweis, dass es für diesen in großen Teilen hochspezialisierten beruflichen Qualifikationserwerb kaum ausreichend ist, an den polizeilichen Fachhochschulen weitestgehend nur für eine „polizeiliche Einheitslaufbahn“, gleichermaßen bei der Schutz- wie auch der Kriminalpolizei, auszubilden.

Das gilt im Übrigen auch für Juristen, in deren Ausbildung „ … die Kriminalistik (…) sachlich unwichtig, (…) höchstens eine bedeutungslose Orchidee im Wahlfach“ ist und bleibt, wie Bode und Artkämper an anderer Stelle treffend bemerken. Bis auf wenige Ausnahmen in der universitären Hochschullandschaft in Deutschland (und dort weit überwiegend nur im Schwerpunktbereich) kann man Kriminalistik nicht als eigenes universitäres Lehrgebiet / Fach studieren. Das ist auch weiterhin und trotz der jüngsten Angebote z. B. an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, Masterstudiengang „Kriminologie, Kriminalistik und Polizeiwissenschaft“ (seit Januar 2016 in dieser Kombination) und der privaten Steinbeis-Hochschule in Berlin bedauerlicherweise so zu konstatieren.

Kurzum, das KFB ist uneingeschränkt zu empfehlen. Das Preis-Leistungs­verhältnis ist angesichts des umfassenden, facettenreichen und hinsichtlich des bei den allermeisten Beiträge nicht lediglich an der Oberfläche schürfenden Inhalts sehr stimmig. Die Navigation innerhalb des elektronischen Werkes ist grundsätzlich gut durchdacht und funktioniert störungsfrei, ist aber durchaus noch ausbaufähig (z. B. bei der Arbeit mit den dargebotenen Texten). Sehr hilfreich ist die Zusatzfunktion „Synchronisation“. Hierfür ist allerdings eine einmalige Registrierung beim Verlag notwendig. Danach werden Anmerkungen, Lese­zeichen, Annotationen etc. gegenseitig abgeglichen und aktualisiert, d.h., sie stehen auf allen Plattformen gleichermaßen zur Verfügung, denn man erwirbt beim Kauf eine Nutzungslizenz für bis zu drei Endgeräte, was z. B. bei gleichzeitiger Nutzung von Tablet auf dem Weg zur Arbeit, bspw. im ÖPNV, und PC (zu Hause und in der Arbeit) gut funktioniert und sehr sinnvoll ist.

[1] Chefredakteur des KFB, bis Juli 2012 Leiter der Direktion Kriminalität Duisburg, Bun­desvorstandsmitglied und Chefredakteur der BDK Verbandszeitschrift „der kriminalist“

[2] Siehe Hinweis auf der  produktbezogenen Verlags-Website von Schmidt-Römhild, Lübeck

Rezensiert von: Holger Plank