Andrea Lorenzo Capussela – State-Building in Kosovo: Democracy, Corruption and the EU in the Balkans; Nicasia Picciano – The European Union State-Building in Kosovo – Challenges and Lessons Learned: An Assessment of EULEX

364) Andrea Lorenzo Capussela; Andrea Lorenzo; State-Building in Kosovo: Democracy, Corruption and the EU in the Balkans; Erschienen auf Englisch bei I.B.Tauris & Co Ltd 2015, ca. 25€, ISBN 978-1780769158, 320 Seiten

Picciano, Nicasia; The European Union State-Building in Kosovo – Challenges and Lessons Learned: An Assessment of EULEX; Erschienen auf Englisch bei Verlag Dr. Kovac 2016, ca. 30€, ISBN 978-3-8300-8664-2, 470 Seiten.

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Die Causa Kosovo ist derzeit aktueller denn je. Dies nicht nur, weil im Juni die
Verlängerung der EULEX-Mission – der umfangreichsten EU Rechtstaatlichkeitsmission aller Zeiten – um weitere zwei Jahre ansteht. kosovo_02Auch sicherheitspolitisch ist der Kosovo brisant. So hat sich der junge Balkanstaat über die letzten Jahre als einer der Hotspots für organisierte Kriminalität in Europa etabliert. Ein beträchtlicher Teil des Drogen-, Menschen- und illegalen Waffenhandels in die EU wird über den Kosovo abgewickelt.
Doch noch aus einem anderen weniger offensichtlichen Grund lohnt sich eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Kosovo und dem Engagement der EU. So hat die internationale Gemeinschaft seit dem Ende des Kosovokonflikts im Jahre 1999 mit beispiellosem Aufwand den Wiederaufbau und die Entwicklung des Staates betrieben. So wurden allein an Entwicklungshilfen 4 Milliarden Euro investiert, der höchste pro-Kopf-Betrag, der jemals in ein Land geflossen ist. Seit 2006 ist zudem die EULEX-Mission vor Ort, die Unterstützung im Bereich Rechtsstaatlichkeitsentwicklung leisten soll. Die sicherheitspolitische Strategie der EU ist eindeutig: der Kosovo soll ein Exempel dafür sein, dass ‚Statebuilding’ funktionieren kann. Dass die Bilanz dieser Bemühungen bisher eher durchwachsen ausfällt, ist den kürzlich erschienenen Arbeiten von Capussela und Picciano zu entnehmen.

Capusselas Buch ist eine detaillierte Bestandsaufnahme des Engagements der internationalen Gemeinschaft im Kosovo und pointierte Anklageschrift zugleich. Dass der Autor Direktor der Wirtschaftseinheit der EULEX-Mission war schadet seiner kritischen Haltung nicht. Im Gegenteil, die Enttäuschung über eine Mission, die gut geplant, gut ausgestattet und wohl auch gut gemeint war, aber nach Capusselas Ansicht nur wenig bewirken konnte, durchzieht sämtliche Kapitel des Buches. Bisweilen werden dabei die Grenzen zwischen fundierter Kritik und Polemik überschritten. Doch stets sind die Argumente gut belegt mit Zahlen, Literatur oder sonstigem Datenmaterial. So wird sogar eines der Kapitel durch eine Internetseite ergänzt, auf der zahlreiche Originaldokumente für den Leser einsehbar sind. Das lesenswerte Buch ist jedem zu empfehlen, der eine kritische Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Verfehlungen der EU-Sicherheitsstrategie sucht und sich überdies für die bisweilen desillusionierende Realität von Auslandsmissionen interessiert. Fundierte Kenntnisse des Balkans und eine Einordnung in den ökonomischen und gesellschaftspolitischen Kontext machen Capusselas Buch zu einer umfassenden wenn auch nicht immer ausgewogenen populärwissenschaftlichen Untersuchung, die sich an manchen Stellen so spannend wie ein Krimi liest.

Einen anderen thematischen Schwerpunkt legt Piccianos Untersuchung. Die fast 500 Seiten und mit weit über 1200 Fußnoten versehene Arbeit ist eine umfassende Bestandsaufnahme der EULEX-Mission. Neben der historischen Entwicklung des internationalen Engagements in dem kleinen Balkanstaat stehen vor allem die juristische Komponente sowie institutionelle und politische Herausforderungen im Vordergrund der Analyse. Dass die Autorin sich dabei ab und an in einer Fülle von Details verliert, deren Relevanz nicht immer nachvollziehbar ist, ist einer in erster Linie wissenschaftlichen Arbeit noch zu verzeihen. Weniger verzeihlich ist hingegen, dass die Autorin augenscheinlich eine Aversion gegen Überschriften hegt und die ohnehin komplizierte Materie in bisweilen vierzig-seitigen (!) Passagen erläutert, ohne eine einzige Überschrift zu setzen. Ein Lesevergnügen ist die Arbeit daher nicht. Für den wissenschaftlichen Gebrauch ist sie allerdings vor allem wegen der Fülle an Quellenmaterial gut geeignet.

Rezensiert von: Robin Hofmann