Deborah F. Hellmann (Hrsg.) – Stalking in Deutschland

Hellmann, Deborah F. (Hrsg.); Stalking in Deutschland; 2016 Baden-Baden, Nomos Vlg., 183 Seiten

stalking_in_d

Die Datenbasis des vorliegenden Bandes (Band 47) der Interdisziplinären Beiträge zur kriminologischen Forschung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen ist im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten Forschungsprojektes „Repräsentativerhebung zum sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, körperlicher und sexueller Gewalt in Paarbeziehungen sowie zum Stalking“ entstanden.  In sechs Beiträgen verschiedener Autorengruppen wird „Stalking in Deutschland“ aus gesetzgeberischer, empirischer, psychosozialer und kriminologischer Sicht betrachtet.

Zwei der Kapitel befassen sich  mit dem § 238 StGB zur Nachstellung, der seit 2007 besteht und aufgrund praxisrelevanter Probleme (hoher Aufwand, wenige „Erfolge“ zum Nachteil des Opferschutzes) nach dem Willen des Gesetzgebers zu reformieren ist („Der Straftatbestand der Nachstellung – § 238 StGB“, S. 9-32). Eine Verbesserung zugunsten der Betroffenen soll dahin gehend erzielt werden, als dass berücksichtigt wird, dass die Nachstellungshandlungen bereits dazu geeignet (und nicht mehr erforderlich) sind, eine Beeinträchtigung der Lebensgestaltung  des Opfers herbeizuführen. Ob die geringe Bekanntheit des § 238 Grund für die geringen Verurteilungszahlen sein könnte, geht das zweite Kapitel zur „Strafbarkeit von Stalking in Deutschland“ (S. 109-142) nach. Der geringen Verurteilungsrate geht  bereits die geringe Anzeigebereitschaft durch die Betroffenen voraus. Die Fragestellung aufgreifend, ob der Straftatbestand nicht ausreichend bekannt ist, zeigen die Ergebnisse, dass dies nicht der Fall ist; im Gegenteil: fast zwanzig Prozent derjenigen, die Anzeige erstatteten, taten dies, ohne von einer Strafrelevanz des Verhaltens auszugehen. Tatsächlich entsprachen auch 63 Prozent der angezeigten Fälle der gesetzgeberischen Vorgaben. Allerdings empfanden nur 42 Prozent das Erlebte als Stalking,  was bedeuten kann, dass entweder die Handlungen oder der Begriff falsch interpretiert werden. Dies wiederum kann mit einer Überrepräsentation extremer Stalkingfälle in den Medien zusammenhängen.

Zwei Kapitel befassen sich mit Ergebnissen zu Stalking:  Die „Aktuelle empirische Forschung im Bereich „Stalking“ (S. 33-61) stellt den Forschungsstand anhand deutscher und ausgewählter internationaler Literatur dar, wobei unter den herangezogenen Studien z.T. die „Klassiker“ (Tjaden/ Thoennes, Pathé/ Mullen, Bjerregaard u.a.) aus den vergangenen 90er Jahren, oder aber nicht-repräsentative Untersuchungen sind.  Da die Autorinnen feststellen, dass internationale Studienergebnisse nicht auf Deutschland zu übertragen sind, wäre es wünschenswert gewesen, dass die Ergebnisse des 2012 abgeschlossenen europäischen Forschungsprojektes zu „Gender-based Violence, Stalking and Fear of Crime“ (Feltes et al. 2012),, das u.a. etwa 12.000 deutsche Studentinnen zu ihrer Stalking-Erfahrung  und nachfolgendem Verhalten befragt hat, berücksichtigt worden wären. Auch fehlt  der Verweis auf die deutsche Prävalenzstudie zu „Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen“ von Schröttle (2008), mit der ebenfalls  umfängliche Daten zu Gewalt im Kontext von Trennung und Scheidung herangezogen werden können.  Dagegen wurden Viktimisierungsstudien mit zwei- oder dreistelligen Befragten-Quoten genannt. Mit Hilfe von  verschiedenen Tabellen wird versucht, den schwierigen Vergleich zwischen den Ergebnissen einschlägiger Studien herzustellen. Gleichwohl gelingt es nicht immer, die Ergebnisse übersichtlich zu präsentieren.  So irritieren z.T. widersprüchliche Aussagen, wonach Stalking-Betroffene „überzufällig häufig … alleinstehend“ sind, also „weibliche wie männliche Singles häufiger von Stalking betroffen waren als getrennt lebende, geschiedene, in Partnerschaft lebende, verheiratete oder verwitwete Personen“ (S. 51). Gleichwohl gilt Stalking vor allem als Nachstellung in Folge eines Beziehungsendes, wonach Stalking und (nach)partnerschaftliche Gewalt vermehrt gemeinsam auftreten. Des weiteren wird die in der Stalking-Forschung kolportierte Behauptung fortgesetzt, dass ein höherer Bildungsstand eine der Variablen für ein höheres Stalkingrisiko darstellt. Für diese Annahme besteht unbedingt Forschungsbedarf, da es für sie m.E. keine ausreichende Beweislage gibt und der größere Anteil höhergebildeter Stalking-Opfer auch andere Gründe haben kann (z.B. eine höhere Mitteilungs-/Anzeigerate). Das Kapitel „Prävalenz und Formen von Stalking in Deutschland“ (S. 77-108) stellt die im Rahmen der Dunkelfeldstudie des KFN erlangten Ergebnisse zusammen. Unter den nach repräsentativen Kriterien ausgewählten 5 779 Befragten (im Alter zwischen 16-40 Jahren) wurden 15,1 Prozent als durch nachstellendes Verhalten Betroffene ermittelt. Im Gegensatz zu der im anderen Kapitel  erhobenen Behauptung, Singles seien häufiger betroffen, kommt die KFN-Studie zu dem Ergebnis, dass Getrennt-Lebende, Geschiedene oder Verwitwete eine erhöhte Stalking-Lebenszeitprävalenz hätten (vgl. S. 82). Stalking ist daher vornehmlich als Beziehungsdelikt zu verstehen; nur 18 Prozent der Betroffenen wurden von fremden Personen gestalkt. Die Prävalenzschätzungen von Stalking variieren stark mit der zugrunde gelegten Definition, das Geschlecht ist der signifikanteste Risikofaktor, weitere sind Familienstand (s.o.) und Wohnsituation (nicht in einem Mehrpersonen-Haushalt lebend).

Das Kapitel „Die KFN-Befragung 2011“ (S. 63-75) beschreibt primär das Erhebungsdesign  des Forschungsprojektes, die Stichprobe und den Ablauf der Befragung. Sie thematisiert die eingeschränkte Aussagekraft der Ergebnisse hinsichtlich einer verzerrten Viktimisierungsrealität vor dem Hintergrund, dass besonders vulnerable Personenkreise wie Wohnungslose, Prostituierte, Drogenabhängige und Menschen mit Behinderungen nicht mit der Umfrage erreicht werden konnten. Daher wären die Ergebnisse als Untergrenze zu verstehen. Das Kapitel „Psychische, soziale und verhaltensrelevante Konsequenzen von Stalking“ (S. 143-182) thematisiert Änderungen des Empfindens und Verhaltens nach Stalkingerfahrungen. Neben Ärger ist es vor allem Angst, die Betroffene von Stalking beeinträchtigt. Dabei hängen Angsterleben mit Betroffenengeschlecht und Vorbeziehung zur stalkenden Person zusammen: Betroffene, die von Ex-PartnerInnen gestalkt wurden, erleben stärkere physische und soziale Belastungen. Zwar sind weibliche Betroffene insgesamt stärker von Viktimisierungsfolgen betroffen, zugleich holen sie sich auch eher Hilfe. Besonders hartnäckig hielten sich Verhaltensänderungen, wie z.B. das Vermeiden bestimmter Orte und die Verstärkung von Sicherheitsvorkehrungen. Interessant ist das Ergebnis, dass verstärkt wahrgenommene soziale Unterstützung im sozialen Nahbereich auch für die Beendigung von Stalking relevant zu sein scheint. Die Erkenntnis, dass auch „gewaltfreies“ Stalking psychisch beeinträchtigend wirkt, sollte dahingehend in die Gesetzgebung einfliessen, dass  auch Betroffene solcher Formen entschädigt werden können.

Insgesamt bietet der Band eine gelungene Übersicht über die unterschiedlichen Aspekte des Stalkings in Deutschland.  Mit dem Teilbereichs des Stalkings, die das KFN-Forschungsprojekt unter 5.779 Befragten ermittelt hat, konnten bekannte Begleitumstände des Nachstellens bestätigt und bislang wenig erforschte im Ansatz erhellt werden. Dazu zählt das Viktimisierungsrisiko für Personen mit ethnischen bzw. Migrationshintergründen. Eine vertiefende Forschung hierzu wäre wünschenswert. Als nachteilig anzumerken sind Redundanzen zwischen den einzelnen Artikeln u.a. zu Begriffserklärungen des Stalking oder dessen Strafbarkeit. Diese Wiederholungen hätten durch ein besseres Redigieren vermieden werden können.

Rezensiert von: Katrin List