Maria do Mar Castro Varela, Paul Mecheril (Hg.) – Die Dämonisierung der Anderen. Rassismuskritik der Gegenwart.

Varela, Maria do Mar Castro, Mecheril, Paul (Hg.) (2016); Die Dämonisierung der Anderen. Rassismuskritik der Gegenwart.; 2016, Transcript Verlag Bielefeld, 204 Seiten.

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Die Behauptung, mittels Schweigegeboten und Tabus wie der Political Correctness, belogen und betrogen zu werden,  befördert „berechtigte Sorge“, Ressentiments und populistische Gegenbehauptungen im „Volk“. Das betrifft nicht ausschließlich konservativ bzw. recht sozialisierte Bevölkerungsgruppen, misstrauen beide Richtungen doch, wenngleich aus unterschiedlichen Perspektiven,  staatlichen Institutionen hinsichtlich ihres Umgangs mit  Migranten und Flüchtlingen.

Der vorliegende Band versucht in vierzehn Beiträgen von Wissenschafter_innen insbesondere der Sozial- und Erziehungswissenschaften, darunter ein Drittel mit persönlichem Migrationshintergrund, die historische Kontinuität, die Annahme einer gesellschaftlichen, christlich definierten Normalität sowie einem exaltierten westeuropäischen Sicherheitsbedürfnis offenzulegen, um die Herkunft des Affekts gegen Andere zur Bewahrung des vermeintlichen Vorrangs des Eigenen als einem „gefährdeten Wir“ zu analysieren. Damit scheint die Zeit von „Diversity“ vorbei zu sein, wohingegen sich eine „schleichende und schrittweise Totalisierung“ und „fortschreitende Normalisierung rassistischer Praxis“ in Europa mittels Ausgrenzung, Homogenisierung und brutaler Simplizität der Argumente Bahn bricht. Die Dämonisierungen der natio-ethno-kulturell „Anderen“ mit deren unveränderlicher, negativ besetzter Natur im Kontext von Risiko-, Gefährdungs- und Bedrohungsdiskursen, die vermeintlich europäische Werte bedrohen und Ausdruck insbesondere in Rassismus- und Sexualitätszuschreibungen finden, kolportieren koloniale Zivilisierungsideen und (für Deutschland) als überwunden angenommene faschistisches Gedankengut in einer fatalen Geschichtsvergessenheit. Insbesondere der anti-muslimische Rassismus spielt mit Überflutungs- und Überfremdungsnarrativen, die nationale Ängste bedienen und soziale Ängste dominieren, eine maßgebliche Rolle.  Tatsächlich aber scheinen sich große Teile der deutschen Bevölkerung, die sich de facto zu einer Migrationsgesellschaft transformiert hat, im Zuge der Globalisierung desintegriert zu fühlen und aus dem gesellschaftlich-politischen Fokus geraten zu sein. Die nationale Höherstellung, die die Rechtspopulisten mit den obsessiven antimuslimischen und antimigratischen Feindbildern anbieten, kompensiert das Gefühl des Abgehängt-Seins. In diesem Zusammenhang brechen sich  u.a. inkorporierte Aversionen gegenüber islamisch konnotierten Körperpraktiken Bahn, die z. B. den verhüllten Körper zum Kompaktsymbol für Unterdrückung erklärt und damit westlich-liberale Konventionen von Sichtbarkeit, Transparenz und Kontrolle des (weiblichen) Körpers als normproduzierend versteht. Insbesondere die Sexualität und Geschlechtergleichheit werden im Sinne des Rassismus instrumentalisiert. Die Autor_innen werfen die Frage auf, wofür die „muslimische Frage“ indikativ ist und welche anderen Fragen hiermit nicht mehr gestellt werden müssen bzw. vermieden werden (wie etwa strukturelle, globale soziale Ungleichheit, institutionalisierte Formen des Ausschlusses, allgemeiner Sexismus und Antifeminismus). Die Gegenüberstellung einer imaginierten Gemeinschaft („das Volk“ oder „Europa“) gegenüber den „Anderen“ transportiert Normalitäts- und Reinheitsvorstellungen, die im sogenannten Sicherheit-Terror-Dispositiv (aus einer westlichen Perspektive), das grundsätzlich von der Ausübung extrastaatlichen Terrors durch die „Anderen“ ausgeht, lieber demokratische Grundwerte zur Disposition stellt als hegemoniale Diskurse, in denen sich „die Europäer_innen nach wie vor als ethische Subjekte in der Gestalt von Rettenden der „zurückgebliebenen“ Völker und Verteiler_innen von Freiheit, Rechten und Gerechtigkeit“ verstehen.

Die Beiträge des Bandes bieten einen hinsichtlich ihrer Brandbreite der thematisierten Aspekten von der Interdependenz von Staat, Nation und Religion über Eurozentrismus und historischer Amnesie bis hin zur historischen Kontextualisierung von Sex(ualität) interessanten Einblick in die aktuelle Rassismuskritik. Auf einem anspruchsvollen akademischen Niveau geschrieben, stellen die Beiträge nicht geringe Ansprüche an den/die interessierte_n Leser_in. Zugleich bilden sie ob ihrer Aktualität eine spannende Grundlage für die Diskussion der Erfolge rechtspopulistischer Bewegungen in der globalisierten Welt und etwaige Lösungswege. Trotz des Fokus der Beiträge auf die europäische Entwicklung können viele der Aspekte auch bezogen auf den Erfolg von Trump in den USA als relevant eingestuft werden.

Rezensiert von: Katrin List