Thomas Piketty – Ökonomie der Ungleichheit – Eine Einführung

Thomas Piketty; Ökonomie der Ungleichheit – Eine Einführung; Aus dem Französischen übersetzt von Stefan Lorenzer; Verlag C.H.Beck; 2016 München; 144 Seiten; 8,95 €; ISBN 978-3-406-69846-0

„2016 war das Jahr der Wahrheit. Wir haben etwas über unsere Eliten gelernt. Seit Trump, Brexit, der AfD und Konsorten fürchten sie um die liberale Gesellschaft. Aber nicht weil sie liberal sind. Sondern weil sie Angst haben. Das ist ein Unterschied. Auf einmal wird deutlich: Wenn es ihnen um das Recht ging, dann war ihr Recht gemeint. Und wenn sie für Gleichberechtigung kämpften, dann war ihnen Gerechtigkeit gleichgültig. Es macht keinen Spaß, es zuzugeben: dass jetzt überhaupt über Gerechtigkeit geredet wird, verdanken wir den Rechten. […] Und auch wenn jetzt viel über die kulturellen Wurzeln der rechten Revolution gerätselt wird – zu viel Political Correctness? – in Wahrheit weiß jeder, dass die Ursachen auch ökonomische sind. Wie sollte es auch anders sein angesichts solcher Zahlen: Die deutsche Wirtschaftsleistung stieg zwischen 1991 und 2013 pro Kopf um 29 Prozent – aber das reale Nettoeinkommen für einen mittleren Haushalt nur um zwölf Prozent. Die unteren 30 Prozent der Haushalte verdienten 2013 netto nicht mehr als 1991. Peter Bofinger, Ökonomieprofessor und einer der sogenannten Wirtschaftsweisen sagt, die Anhänger der AfD fühlten sich besonders stark von der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung abgekoppelt: ‚Die wachsende Ungleichheit facht den Populismus an und bedroht die Welt, wie wir sie kennen.‘“[1]

Deutlicher als Jakob Augstein in seiner am 29. Dezember 2016 unter Spiegel Online veröffentlichten Kolumne „Liberale Lügen“ kann man das Kind nicht beim Namen nennen. Das Thema Ungleichheit ist aus der aktuellen Diskussion nicht mehr wegzugedenken. Wer mitdiskutieren will, was mit Blick auf das weltweite Erstarken des Rechtspopulismus mehr als nur geboten erscheint, dem sei Thomas Pikettys „Ökonomie der Ungleichheit“ empfohlen. Das Werk, das in Frankreich im Original unter dem Titel „L’économie des inégalités“ bereits in zahlreichen Auflagen erschienen ist, liegt nunmehr auch in deutscher Übersetzung vor. Piketty, Professor an der Pariser École d’ Économie, ist vor allem durch die englischsprachige Ausgabe seines Weltbestsellers „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ aus dem Jahr 2014 bekannt geworden. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Einkommensverteilung, die Vermögensverteilung sowie die soziale Ungleichheit.

In den ersten drei Kapiteln seiner Einführung in die Ökonomie der Ungleichheit zeigt Piketty, wie Einkommensungleichheit entsteht, wie Ökonomen sie messen, in welchem Missverhältnis Arbeitseinkommen stehen und was zu der ungleichen Verteilung der Arbeitseinkommen führt. Besondere Aufmerksamkeit aber verdient das vierte und zugleich letzte Kapitel, in dem Piktetty die möglichen Instrumente der Umverteilung analysiert. Ausgangspunkt seiner Darstellung ist dabei die Frage, ob man den Markt und dessen Preissystem gewähren lassen und sich auf Umverteilung durch Steuern und Transferleistungen beschränken soll, oder, ob es eines strukturellen Eingriffs in die die Ungleichheit hervorbringenden Funktionsweisen des Marktes bedarf. Piketty spricht damit den ökonomischen Gegensatz von reiner und effizienter Umverteilung an. Und er bleibt keine Antwort schuldig. So heißt es in seiner Ökonomie der Ungleichheit abschließend:

„[Es ist] ebenso illusorisch wir kontraproduktiv, jede Ungleichverteilung von Humankapital auf Diskriminierung zurückzuführen oder zu behaupten, zu niedrige Löhne seien stets die Folge einer Monopsonmacht der Arbeitgeber. Natürlich müssen Möglichkeiten effizienter Umverteilung identifiziert werden, wo immer es sie gibt. Wer aber in jeder Ungleichheit den Ausdruck einer groben Marktineffizienz ausmachen will, um ihr mit irgendeinem mythischen Gewaltstreich ein Ende zu setzen, vergisst darüber, dass die notwenigen Steuern gezahlt werden müssen, um Fiskaltransfers zu finanzieren, die vielleicht nicht jede Ungleichheit aus der Welt schaffen, aber doch in der Lage sind, die ganz reale Ungleichheit der Lebensumstände zu mildern.“

Ganz gleich, ob man Pikettys Ansichten teilt oder nicht: Wer Piketty gelesen hat, wird keine Diskussionen im luftleeren Raum führen.

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/ungleichheit-das-thema-macht-der-elite-angst-kolumne-a-1127877.html.

Rezensiert von: Jörn Olhöft