Zygmunt Bauman – Die Angst vor den anderen. Ein Essay über Migration und Panikmache.

Bauman, Zygmunt (2016); Die Angst vor den anderen. Ein Essay über Migration und Panikmache; 125 Seiten, edition suhrkamp, ISBN 978-3-518-07258-5, 125 Seiten, 12 € (E-Book 11,99 €)

Wenn Zygmunt Bauman über Flucht und Wanderung berichtet, dann ist es immer auch eine Geschichte seiner eigenen Biografie. Geboren im polnischen Posen flüchtete er zunächst vor den Nationalsozialisten in die UdSSR und verließ – wie viele andere Polen jüdischer Herkunft – sein Heimatland 1968 aus politischen Gründen in Richtung Israel. Und auch dort war die Ausreise nach Großbritannien nicht konfliktfrei, stand sie doch im Zusammenhang mit der Palästina-Politik Israels[1].

Flucht und Wanderung sind keine neuen Phänomene in der Geschichte der Menschheit und doch scheint nun etwas anderes zu passieren. Bauman weist auf die Instabilitäten hin, welche die Industrienationen insbesondere in Afghanistan und im Irak hinterlassen haben. Es wäre zu kurz gedacht, die sog. Flüchtlingskrise als Krise des Kapitalismus zu bewerten, denn Profiteure gibt es noch mehr als genug. Es ist vor allem eine Krise der Mittelschicht, also derjenigen, die noch daran glauben, dass sich die Gesellschaft mittelstandsbequem in oben, mitte und unten kategorisieren lässt und dabei nicht merken, dass die Einteilung bereits durch die sich weiter spreizenden Schere zwischen arm und reich verläuft. Das ist die Welt, in der ein Fußballspieler 721.000 € Gehalt pro Woche, also rund 37,5 Mio. € pro Jahr[2], verdient, während sich viele Menschen nicht einmal mehr die Eintrittskarte[3] für ein normales Fußballspiel leisten können.

Neu ist zudem, dass die schlechten Nachrichten nicht mehr via Tagesschau oder Twitter in die europäischen Haushalte transportiert werden, sondern direkt vor unserer Haustür stehen. Es sei denn, man lebt in einer foucaultschen Heterotopie[4], also einer gated community. Anschaulich erklärt Bauman das allzu menschliche Phänomen, nicht den Verursacher der schlechten Nachrichten zur Verantwortung zu ziehen, sondern den Überbringer der Botschaft. Fast schon in Anlehnung an Karl Valentin („Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“) ergänzt Bauman dieses Phänomen mit der europäischen Angst vor dem Fremden, weil er eben fremd ist. Nur sind die Ängste vor dem Fremden ebenfalls nicht neu, wie Georg Simmel[5] oder Elias/Scotson[6] schon längst beschrieben haben. Unsicherheiten und Ängste scheinen tief in der kapitalistischen DNA der Konsumenten verankert zu sein, die sich vor dem Verlust ihres erworbenen Wohlstands fürchten. Möglicherweise wird deshalb das Bankschließfach[7] zur gated community der Mittelschicht.

Bauman entlarvt die „Versicherheitlichung“ von Politik und Wirtschaft als „Taschenspielertrick“; nicht nur, dass das immer mehr von allem (mehr Polizei, mehr Gesetze, mehr Befugnisse …) von den Ursachen der Misere ablenkt. Angst ist ein hervorragendes Politikfeld, obwohl es nicht nur die von Bauman genannten Regierungen sind, die „kein Interesse daran [haben], die Ängste ihrer Bürger zu besänftigen.“ Vor diesem Hintergrund scheint die menschliche Tragödie vorrangig ein europäisches Sicherheitsproblem darzustellen. Dies, so Bauman, fördert jedoch die Ziele des IS oder der al-Qaida.

In seinem noch vor der US-Wahl veröffentlichten Essay bezeichnet Bauman auch Donald Trump als „Taschenspieler“ und er zitiert dabei den US-Politikwissenschaftler Joseph M. Schwartz mit der Frage, ob die „Angehörigen der abwärtsmobilen weißen Mittel- und Arbeiterschicht der nationalistischen und rassistischen Politik Trumps und der Tea Party folgen“ werden. Diese Frage ist zwischenzeitlich von den Wählern und der Wall Street[8] beantwortet worden. Bauman stellt hier zwei grundsätzliche politische Optionen zur Auswahl: „Die eine zählt auf einen starken Mann, die andere auf ein starkes Volk.“ Doch was tun? Bauman fordert im Geiste Kants die Solidarität der Menschen ein und es überrascht dabei nicht, dass das wohl längste Zitat in dem Essay von Papst Franziskus stammt, als dieser im Jahr 2013 Lampedusa besuchte. Solidarität, Verstehen und Gespräche sollen nach Bauman die „Horizontverschmelzung“ und die „Lebensweltverschmelzung“ ermöglichen. Und hierfür bedarf es, und dabei zitiert Bauman den verstorbenen Ulrich Beck, eines kosmopolitischen Bewusstseins, das auf der Grundlage eines Verständnisses universeller Interpendenzen entstehen kann.

Doch mit dem Verstehen und den Gesprächen ist das nun mal eine Sache. Der scheidende Leiter der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung musste 2015 harsche Kritik aus dem Bundesgebiet einstecken, als er in den Dialog mit Vertretern der Pegida-Bewegung trat. In der Leipziger Volkszeitung[9] äußerte er nun zum Umgang mit politischen Gegnern – denn auch um diese geht es in der sog. Flüchtlingskrise: Kommunikation kann schiefgehen, Nicht-Kommunikation wird schiefgehen.“

Zygmunt Bauman legte mit seinem Aufsatz eine treffende Analyse vor, die uneingeschränkt empfohlen werden kann. Das Buch sollte man durchaus ein zweites Mal lesen und es eignet sich vorzüglich für eine anregende Diskussion. Der 2016 veröffentlichte „Essay über Migration und Panikmache“ erschien als Sonderdruck in der edition Suhrkamp; leider nicht in dem von Willy Fleckhaus gestalteten und bekannten Format und ohne Nummerierung innerhalb der edition. Kenner des Werkes von Bauman werden in dem Band viel bekanntes, aber auch etliche neue Gedanken entdecken. Für einen dann doch längeren Leseabend wird ergänzend die Laudatio von Ulrich Beck[10] auf Zygmunt Bauman empfohlen und ein gelegentlicher Blick auf die „Stimme des Papstes“[11].

[1] Vgl. Ulrich Beck: Sinn und Wahnsinn der Moderne, in: taz.de vom 14.10.2014. Verfügbar unter: http://www.taz.de/Soziologe-Zygmunt-Bauman/!5031155/. Abgerufen am: 08.01.2017.

[2] Vgl. http://sportbild.bild.de/fussball/international/international/hammer-deal-perfekt-carlos-tevez-shanghai-shenhua-millionen-china-49517478.sport.html

[3] Vgl. http://www.focus.de/sport/experten/nufer/fussball-im-stadion-viel-zu-teuer-fan-aerger-wegen-ticket-wucher-wieso-uli-hoeness-schon-2007-richtig-lag_id_5281227.html

[4] Vgl. Foucault, M.: Andere Räume, in: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, hrsg. von Karlheinz Barck, 4. Auflage, Leipzig, 1992, S. 34 – 46

[5] Vgl. Simmel, G.: Die Großstädte und das Geistesleben, in: Indivi- dualismus der modernen Zeit und andere soziologische Abhandlungen, Frankfurt am Main, 2008b, S. 319 – 333

[6] Vgl. Elias, N.; Scotson, J. L.: Etablierte und Außenseiter, Frankfurt am Main, 1990

[7] Vgl. http://www.faz.net/aktuell/finanzen/meine-finanzen/sparen-und-geld-anlegen/nachfrage-auf-bank-schliessfaecher-aus-angst-vor-einbruechen-gestiegen-14606946.html

[8] Vgl. http://www.faz.net/aktuell/finanzen/aktien/wall-street-profitiert-von-us-wahlsieg-von-donald-trump-14540187.html

[9] Vgl. Leipziger Volkszeitung vom 30.12.2016, Seite 6

[10] Vgl. http://www.taz.de/Soziologe-Zygmunt-Bauman/!5031155/

[11] Vgl. http://de.radiovaticana.va/news/themen/religionen

Rezensiert von: Karsten Lauber