Raphael Schwegmann – Kraft-Horte. Mobile Vergnügungstopographien europäischer Großstadtnächte

Schwegmann, Raphael; Kraft-Horte. Mobile Vergnügungstopographien europäischer Großstadtnächte; Transcript-Verlag Bielefeld 2017, ISBN 978-3-8376-3816-5; 114 S., 24,99 Euro

Wäre da nicht der Titel, dann könnte man dieses Buch rundum empfehlen. Nur: Der Titel erweckt den Eindruck, dass es um „europäische“ Großstädte geht – tatsächlich beschäftigt sich das Buch aber mit Paris, Berlin und Frankfurt, und dies auch nur eher bruchstückhaft und unter Bezug auf ganz verschiedene Zeitperioden. Und auch hier wieder, ähnlich wie in dem Buch des gleichen Autors „Nacht-Orte“ (Besprechung im polizeiwissenschaft  : newsletter http://polizei-newsletter.de/wordpress/?p=450 bleibt die Darstellung durchgängig sehr theoretisch und die Beschreibungen tatsächlicher Gegebenheiten in den genannten Städten an der Oberfläche. Hier hätte man sich mehr Details aus der Feldforschung gewünscht, die den durchweg guten analytischen Ausführungen des Autors die Plastizität gegeben und denjenigen, die mit der Wissenschaftsmaterie eher nicht vertraut sind, geholfen hätten, das Buch zu verstehen.

Was aber bleibt sind die durchaus luziden Ausgangsüberlegungen und Analysen des Autors, wie z.B. auf S. 9: „Seit dem 19. Jahrhundert erscheinen Großstadtnächte als `Kraft-Horte´: als gesellschaftliche Katalysatoren voller Energie und Ekstase, voller Emotion und Erosion. Sie sind bedeutungsschwangere Symbolreservoirs, die bei Menschen im Allgemeinen verschiedenste Konnotationen und ambivalente Gefühl hervorrufen – u.a. abhängig von der Zeit, in der sie leben, vom Ort, an dem sie leb(t)en, ihrer Herkunft, sozialen Stellung und Bildung, ihrem Beruf und ihren Interessen, ihrem Geschlecht und ihrer Religion“. Wenn Aussagen wie diese plastisch gemacht und mit Beispielen belegt wären, dann wäre das Buch ein überaus spannend zu lesendes – was es jetzt durchaus auch ist, allerdings eher für Wissenschaftler, als für Praktiker. Und gerade für Polizeipraktiker wäre es nützlich und hilfreich, solche Analysen von Großstadtnächten einmal aus einem ganz anderen Blickwinkel als dem, den sie in ihrer Arbeit erleben, zu lesen.

Die Verbindung von „Attraktion und Abscheu“ (S. 10), der „Gegensatz von Faszination und Schrecken“ (S. 11) könnte so verständlicher werden und nachvollziehbarer. Denn der wissenschaftliche Ansatz von Schwegmann geht weit über die enge Analyse von Großstadtnächten hinaus; sie betrifft unsere Gesellschaft als Ganzes und die Veränderungen, denen sie unterworfen ist.

Dann könnten diejenigen, die maßgeblich an der „Disziplinierung, Regulierung und Normalisierung“ und der „Hygienisierung“ des Raumes (S. 13), beteiligt sind, ihr eigenes Tun einordnen und besser bewerten. Denn das „nächtliche Vergnügen“ ist genau dieses nicht für Polizeibeamte, die dort Dienst tun.

Dass es sich dennoch lohnt, das Buch zu lesen, wird z.B. ab S. 46 deutlich, wenn der Autor beschreibt, dass „multikulturelle Elemente“ schon immer wesentlich für die Entwicklung der Großstädte waren. Und man lernt auch, dass Gewalt gegen Polizei kein neues Thema ist – ja sogar die Dimensionen früher andere waren als heute. So zitiert der Autor aus „Maiers Reisebücher“ aus dem Jahr 1900 „… dass die Pariser Verbrecherwelt keine Gelegenheit vorübergehen lässt, sich an der Polizei zu rächen. … Polizisten wurden in grässlicher Weise langsam zu Tode verstümmelt, ersäuft, unter Steinblöcken zerquetscht …“ (S.47). Schon damals wurden übrigens Gefahr und Schrecken der naht mit der Straße assoziiert – ein Ergebnis, das wir auch 2016 für Bochum bestätigen konnten.

Unbekannt dürfte sein, dass das (negative) Image von Berlin als „Dorado eines internationalen Gesindels“ ganz bewusst von den Behörden der Stadt gefördert wurde, um Touristen anzuziehen (S. 59). Heute dürfte es eher umgekehrt sein. Und dass die sozialen Unterschiede in Großstädten besonders deutlich werden, ist nicht neu, aber immer wieder wichtig zu analysieren (S. 72 ff.).

Insgesamt ein Buch, das für diejenigen, die sich mit der Entwicklung von Großstädten beschäftigen, lesenswert ist. Für alle anderen ist es eher eine Randnotiz.

Rezensiert von: Thomas Feltes