Thomas Scheffer, Christiane Howe, Eva Kiefer, Dörte Negnal, Yannik Porsché – Polizeilicher Kommunitarismus – Eine Praxisforschung urbaner Kriminalprävention

Scheffer, Thomas; Howe, Christiane; Kiefer, Eva; Negnal, Dörte; Porsché, Yannik; Polizeilicher Kommunitarismus – Eine Praxisforschung urbaner Kriminalprävention; ISBN 978-3-593-50573-2, Campus-Verlag, Frankfurt/New York, 283 S., 34,95 Euro

Das hier vorgelegte Buch basiert auf ethnografischen Feldforschungen in Kontexten großstädtischer präventiver, von den Autoren genannter „kommunikativer Polizeiarbeit“. Sie bieten „die Grundlagen für unsere Schilderungen von Arbeitsepisoden, der Systematisierung ihrer vielfältigen Formen und der Analyse ihrer Voraussetzungen, Verkettungen und Effekte sowie der sozialen Interaktionen in Kontexten dieser institutionellen Arbeit. Die regelmäßigen Verwicklungen ihrer Arbeit, die Anforderungen, Leistungen und Risiken sowie eingehandelten Problematiken stehen dabei im Fokus“ (Vorwort).

Die vorgelegten Analysen zeigen, dass polizeiliche Prävention sehr Unterschiedliches bezeichnet. „Mal geht es um Kontakte ins Milieu, mal um ein Jugend-Projekt, mal um Anti-Gewalt-Schulungsreihen. Die Unterschiede betreffen Gestalt oder Form der präventiven Arbeiten: das Zusammenspiel aus Angelegenheit, Handlungsfeld, Bündnis und eingebrachten Ressourcen und Techniken. Unsere Analysen zeigen aber auch: die präventive Arbeit ist jenseits dieser unterschiedlichen Ausformungen gleich gerichtet“ (S. 13). Spätestens hier und bei der Annahme, dass etwas „gleichgerichtet“ ist, hätten bei den Forschern doch eigentlich die Alarmglocken klingeln müssen. Leider tun sie dies nicht.

Die Autoren gehen nämlich von einer durchaus zu hinterfragenden Prämisse aus. Angesichts von „Vielgestaltigkeit und Gleichgerichtetheit der Kriminalprävention“ sollen die Praxisstudien eine Hypothese „generieren“ – also zuerst Praxisstudien und dann Hypothesen?

Vor allem aber gehen die Autoren davon aus, dass die polizeiliche Prävention sich aus einer Bündnisorientierung speist; sie vollziehe sich entsprechend „als eine Art angewandter Kommunitarismus“. Präventionsbeamte seien demnach in ihrer alltäglichen Arbeit vor Ort geneigt, sich – neben allerlei formalen und rechtlichen Verpflichtungen als Organisationsmitglieder bzw. dem Staat Dienende und damit als Kommunitaristen zu betätigen. Diese Form der „kollektiven Problembearbeitung“ soll als „angewandter Kommunitarismus“ lokale Aushandlungen, gemeinschaftliches Engagement und Sachorientierung präferieren (S. 14).

Die Autoren betonen dabei, dass diese Haltung dem community policing durchaus verwandt sei und verweisen dabei auf den Band von Dölling et al. 1993. Dabei handelt es sich um den von Dieter Dölling und dem Rezensenten herausgegebene Band „Community Policing, Comparative Aspects of Community Oriented Police Work” (Felix-Verlag Holzkirchen, 1993[1]) auf. Warum gerade dieser und warum praktisch keine anderen kriminologischen Werke zum Thema „Community Policing“ oder „Kommunale Kriminalprävention“ verarbeitet sind, bleibt offen. So hätte man zumindest auf den von Dölling und anderen zehn Jahre später (2003) herausgegebenen Band „Kommunale Kriminalprävention – Analysen und Perspektiven“ (Felix-Verlag Holzkirchen) eingehen können, denn während der erstgenannte Band sich primär mit Entwicklungen im Ausland beschäftigt, sind wir in dem 2003 herausgegebenen Sammelband intensiv auf die Situation in Deutschland eingegangen und haben eigene Forschungen dazu vorgestellt.

Community Policing bzw. Kommunale Kriminalprävention (was nicht das gleiche ist!) sei allerdings in einem wesentlichen Punkt vom Kommunitarismus zu unterscheiden: Der polizeiliche Kommunitarismus setze keine Gemeinschaften voraus. Hier werde nicht die Polizei von der Gemeinde beauftragt. Ja, tatsächlich: Die Polizei ist wohl gerade keine „Bürgerpolizei“, wie der Begriff „community policing“ durchaus interpretiert werden kann (und nach Auffassung des Rezensenten auch muss), sondern sie hat ihre eigene Agenda, legt eigene Schwerpunkte und damit auch Ziele fest. Der Präventionsbeamte beziehe sich nicht auf eine „festgefügte, etablierte Community, wie sie vielleicht in ländlichen Regionen oder Kleinstädten manifest werden. Vielmehr beteiligen sie sich an der Schaffung derselben. Die Polizei ist dann selbst Teil einer Vergemeinschaftung, die sich gerade im urbanen Raum aus verschiedensten Gruppierungen, Institutionen und Milieus speist“. Polizeilich geschaffene Gemeinschaften also. Wer eigentlich gibt der Polizei den Auftrag dazu? Im Polizeigesetz ist dazu jedenfalls nichts zu finden.

Zudem problematisieren die Autoren gerade einen Aspekt überhaupt nicht, den wir im Rahmen unserer Forschungen zur kommunalen Kriminalprävention und der Veröffentlichungen zum Community Policing immer wieder betont haben: Die Polizei soll nicht die Federführung in diesen Projekten haben, sondern sie kann initiieren und mitwirken, die Leitung dieser Form von Kriminalprävention muss bei der Gemeinde (konkret: beim Bürgermeister) liegen, da gerade nicht nur polizeiliche Aspekte einbezogen werden sollen, sondern Aspekte des allgemeinen sozialen Zusammenlebens in der Gemeinde. Und vor allem: Die Gemeinde und damit die Bürger müssen „das Sagen“ haben und entscheiden, was sie präventiv erledigt haben wollen.

Der „polizeiliche Kommunitarismus“ präferiere, so die Autoren, „die Vermittlung, Involvierung und Mobilisierung lokaler Kräfte gegenüber der technischen und formalen Erledigung“ – was auch immer damit gemeint sei. Daraus erwachse zwar für alle Beteiligten und insbesondere für die Polizei ein Maß an „Unkalkulierbarkeit (von Involvierungen), ein Kontrollverlust (gegenüber Inszenierungen) und eine gefährliche Nähe (zu Randgruppen)“ und die Präventionsarbeit gerate zuweilen ins soziale Zwielicht, in rechtliche Grauzonen, in interne organisationspolitische Kämpfe – und entsprechend in die Kritik (S. 15).

Hier wird deutlich, dass die Autoren dieses Bandes ein sehr besonderes Verständnis von Polizei, deren Rolle im Gemeinwesen und ihrer (ja gesetzlich definierten) Aufgabe haben. Das geht fast schon ein wenig in Richtung Polizeistaat: Die Polizei bestimmt und initiiert, was gemacht werden soll. Dass dies dann tatsächlich nicht mehr kalkulierbar wird, stimmt, allerdings wohl in anderem Sinne, als die Autoren befürchten. Und was eine „gefährliche Nähe zu Randgruppen“ bedeuten soll (bzw. warum und für wen diese Nähe „gefährlich“ sein soll) bleibt an dieser Stelle zumindest offen. Entsprechend wird zwar konstatiert, dass sich Präventionsbeamte durch die sozialen und kulturellen Kontexte oft am Rande eines »sich Verlierens« bewegen – problematisiert wird diese Form von überschießender Polizeiarbeit aber nicht, eher im Gegenteil.

Man hat den Eindruck, dass die Autoren jegliche kritische Distanz der Institution Polizei, den Akteuren dort und den Maßnahmen, die ergriffen werden, vermissen lassen. Daher auch ihre Leitthese: im Grunde handele es sich bei der Präventionsarbeit der Polizei um einen angewandten Kommunitarismus. Solche Präventionsformen schaffen ein „problemorientiertes, gegenstandsbezogenes Zusammentun. Vollzogen wird eine kollektivistische Strategie, Problembearbeitungskapazitäten jenseits von Markt und Staat zu schöpfen. Maßgeblich ist hier der Bündnischarakter der Prävention. In den Bündnissen begegnen die Präventionsbeamt*innen nicht Opfern, Verdächtigen oder Verbrechern; die Arbeit folgt hier nicht mehr den gängigen Polizei-Kategorisierungen“. Polizeiarbeit fern aller Polizeiaufgaben? Polizeiarbeit als politische Arbeit?

Und dann wäre da noch diese Form von Methodenfetischismus, die dann auf den folgenden Seiten folgt. Die überaus fragwürdigen Grundlagen und Grundannahmen werden im weiteren Verlauf der „Studie“ überhaupt nicht mehr thematisiert, der Blick ist fokussiert auf das, was man (was der „Praxisforscher“) sieht und was man in „seine“ Theorie des Kommunitarismus einordnen kann. Die Betroffenen sind dabei eher Schauspieler, die man beobachtet. Eine eigene Subjektrolle kommt ihnen nicht zu. Solche Form von „Praxisforschung“ braucht zumindest die Kriminologie und die kritische Polizeiwissenschaft nicht, um Gegenteil!

[1] Kostenloser download unter http://www.felix-verlag.de/index.php?option=com_content&view=article&id=165&Itemid=2&lang=de

Rezensiert von: Thomas Feltes