Carlo Strenger – Abenteuer Freiheit

Strenger, Carlo; Abenteuer Freiheit; Suhrkamp Verlag; 4. Auflage; Berlin 2017; 123 Seiten; 14,00 €; ISBN 978-3-518-07144-1

„Die größte Leistung der westlichen Moderne besteht darin, es den Individuen ermöglicht zu haben, ihr Leben frei nach bestem Wissen und Gewissen zu gestalten, und ihnen ein breites Spektrum von Lebensformen und -stilen zur Verfügung zu stellen. […] [Doch v]iele Menschen in der westlichen Wohlstandsgesellschaft scheinen mit ihrer Freiheit nichts Sinnvolles anfangen zu können. Sie sind vor allem damit beschäftigt, das Bewusstsein von dieser Freiheit durch permanente Ablenkung so gut es geht zu betäuben.“

Nach der Veröffentlichung seines viel beachteten Essays „Zivilisierte Verachtung – Eine Anleitung zur Verteidigung unserer Freiheit“ im Frühjahr 2015 legt Carlo Strenger – schweizerisch-israelischer Professor für Psychologie und Philosophie an der Universität Tel Aviv, Existenzialanalytiker und Publizist – nunmehr mit seinem Essay „Abenteuer Freiheit“ nach. Strenger, der in dem erstgenannten Werk zunächst der Frage nachgegangen ist, wie westliche Gesellschaften ihre Werte gegen Populisten, Fundamentalisten und sonstige Eiferer verteidigen können, setzt sich in seinem neuesten Werk kritisch mit einer „Verwöhn- und Konsummentalität“ westlicher Nachkriegsgenerationen auseinander, die Glück und Freiheit als Grundrechte betrachtet.

Diese Mentalität fußt nach Strenger auf einem unter anderem auf Rousseau zurückgehenden Mythos, wonach Freiheit ein Geburtsrecht sei und in jedem von uns ein unverdorbenes, wahres Selbst schlummere. Diesem Mythos setzt der Autor ein klassisches Freiheitskonzept entgegen, das von Freud über Spinoza und Montaigne bis zur griechischen Philosophie der Antike zurückreicht. Ein Konzept, das Freiheit als etwas begreift, für das es fortwährend hart zu arbeiten gilt und das immer wieder aufs Neue errungen werden will.

Es zählt zu den großen Stärken des Buches, dass Strenger stets den philosophischen, kulturellen, geschichtlichen und/oder gesellschaftspolitischen Hintergrund seiner tiefgreifenden, bisweilen aber auch kurzweiligen Ausführungen darstellt, ohne dabei den Bezug zu den Herausforderungen der Gegenwart zu verlieren. Hervorzuheben sind zudem die weiterführenden Anmerkungen und Literaturhinweise im Anhang des Essays, die auf Grund ihrer Vielschichtigkeit nicht wenige Leser dazu bewegen dürften, sich in die Materie zu vertiefen.

Das Werk scheint in Zeiten von Brexit, Fake News und Überflussgesellschaft einen Nerv getroffen zu haben, zumal es seit seinem erstmaligen Erscheinen im Januar dieses Jahres bereits in der vierten Auflage vorliegt. Mögen noch zahlreiche weitere Auflagen hinzukommen, damit sich künftig wieder „mehr westliche Bürger […] in der Lage sehen, die freiheitliche Ordnung mit anderen Argumenten zu begründen und zu verteidigen als mit dem schnöden Hinweis auf ihre ökonomische Effizienz“.

Rezensiert von: Jörn Olhöft