Stadtpolizei statt Polizei (2017) – Lisa Tuchscherer – Rezensiert von: Karsten Lauber

Tuchscherer, Lisa; Stadtpolizei statt Polizei (2017); 185 Seiten, Duncker & Humblot, Berlin, ISBN 978-3-428-15130-1 (Print), 69,90 €

  1. Thema

Die Rückkehr zu kommunalen Polizeien in vielen Städten sowie die Einführung von freiwilligen Polizei(hilfs)diensten führt zu einer zunehmenden Fragmentierung der Sicherheitsarchitektur. Ist überall Polizei drin, wo Polizei draufsteht und ist den Bürgern und Institutionen klar, über welche Befugnisse die unterschiedlichen Ordnungshüter verfügen? Blaue Uniform, Waffen, Blaulicht … und doch ist es nicht die Polizei. Oder doch? In Hessen gibt es neben dem Polizeivollzugsdienst noch Hilfspolizeibeamte (in Frankfurt am Main als Stadtpolizei bezeichnet), die Wachpolizei sowie den freiwilligen Polizeidienst. Auch in anderen Kommunen geht seit einigen Jahren der Trend zurück zur kommunalen Polizei.So plant aktuell die Stadt Leipzig, den Stadtordnungsdienst des Ordnungsamtes künftig begrifflich als Polizei nach außen hin wirken zu lassen. Für die Autorin stellt sich insbesondere die Frage, wer oder was Polizei überhaupt ist. Haben wir es mit einer Entpolizeilichung oder einer Verpolizeilichung zu tun? Ist mit dem Ausbau der kommunalen Ordnungsdienste „eine Laisierung und Deprofessionalisierung von Polizeiarbeit“ (S. 165) verbunden? Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2016 als Dissertation angenommen (Goethe-Universität Frankfurt am Main).

  1. Inhalt

Das Inhaltsverzeichnis kann dem Katalog der Deutschen Nationalbibliothek entnommen werden. Die Autorin richtet in ihrer Arbeit den Fokus auf die unterschiedlichen Polizeien in Hessen, insbesondere die Stadtpolizei in Frankfurt am Main. Dabei untersucht sie am Beispiel der Stadtpolizei, „ob es eine Entwicklung dahingehend gibt, dass die Hilfspolizeibeamten immer häufiger vollzugspolizeiliche, gefahrenabwehrrechtliche und damit klassische polizeiliche Aufgaben übernehmen und die Vollzugspolizei so in Zukunft in den Städten und Kommunen gleichwertig ersetzen“ (S. 14). Die Autorin nimmt Bezug auf geschichtlichen Grundlagen, unterschiedliche Polizeibegriffe und Schwierigkeiten mit der richtigen Benennung der kommunalen Polizeien. Sie berücksichtigt ebenso die Außendarstellung der Behörden, die sich nicht nur auf die Uniform und die Bewaffnung bezieht, sondern auch die Frage der Akzeptanz berücksichtigt. Ein längeres Kapitel widmet sich im zweiten Teil des Buches den rechtlichen Grundlagen. Am Ende des Buches werden Vergleiche mit anderen Bundesländern und Städten sowie der Bundespolizei herangezogen.

Der rote Faden, der sich durch die Arbeit zieht, ist das Auftreten städtischer Behörden (i. d. R. das Ordnungsamt) als Polizei bzw. die Etablierung freiwilliger Polizei(hilfs)dienste. Damit ist nicht nur die Bezeichnung als Polizei gemeint, sondern auch die vergleichbare Uniformierung und Bewaffnung. Für Dritte ist nicht immer zu erkennen, mit welcher Behörde sie es zu tun haben und auf welche Aufgaben und Befugnisse die ihnen gegenüberstehenden Polizeiangehörigen zurückgreifen können. Dieses Phänomen ist nicht neu und bereits in der Abgrenzung zwischen Bundespolizei und Landespolizei für Außenstehende schwierig. Problemtisch sind für Tuchscherer die eklatanten Unterschiede in der Aus- und Fortbildung zwischen der kommunalen und der staatlichen Polizei. Die Autorin weist zurecht darauf hin, dass sich der Begriff Polizei bzw. Polizeibehörde akzeptanz- und imagefördernd auswirken kann. Demgegenüber kann sich die Erkenntnis, dass nicht jeder Uniformierte über umfängliche Befugnisse verfügt, auch vertrauensstörend auswirken (vgl. S. 74). Die Ausbildung der kommunalen Polizei liegt der Autorin sehr am Herzen, so dass das Thema mehrmals in der Arbeit aufgegriffen wird. Einen Schwerpunkt legt sie dabei zurecht auf die Waffenausbildung, da die alternativen Polizeien nach einer oft nur kurzen Einweisung bereits befugt werden, Schusswaffen zu tragen (zum Beispiel auch die staatliche Wachpolizei in Sachsen nach 12-wöchiger Ausbildung). Unter der Überschrift „Pleiten, Pech und Pannen“ widmet sich ein Unterkapitel den bereits aufgetretenen Problemen, wie verlorengegangene Schusswaffen oder Suizide unter Verwendung von Schusswaffen. Probleme und Konflikte, die im Übrigen auch bei der staatlichen Polizei hinlänglich bekannt sind. Darauf weist die Autorin im Zusammenhang mit den Suiziden bei der staatlichen Polizei auch hin. Doch auch beim sorglosen Umgang mit den Schusswaffen steht diese den noch wenigen bekanntgewordenen Fällen der kommunalen Polizei in nichts nach, wie der Verlust einer Maschinenpistole durch einen Angehörigen der Polizeidirektion Leipzig im August 2016 in Erinnerung ruft. Bei aller berechtigten Kritik an der Kurzausbildung und der Befugnis zum Führen von Waffen wäre an dieser Stelle eine differenziertere Betrachtung wünschenswert gewesen sowie eine weniger polemische Überschrift.

Bereits zu Beginn weist Tuchscherer auf das Einheits- und Trennprinzip der Polizei hin, wobei hier eine ausführlichere Darstellung wünschenswert gewesen wäre. Unklar ist, wie die Autorin zu der Auffassung gelangt, dass es in Bayern ein einheitliches Gesetz für die Polizei und Ordnungsbehörden gibt (vgl. S. 17 f), zumal sie auf S. 156 richtigerweise auf das Landestraf- und Verordnungsgesetz (LStVG)[1] hinweist, das Aufgaben und Befugnisse der Sicherheitsbehörden (Gemeinden u. a.) regelt. Demgegenüber gilt das von Tuchscherer wohl gemeinte bayerische Polizeiaufgabengesetz nur für „die im Vollzugsdienst tätigen Dienstkräfte der Polizei des Freistaates Bayern“[2].

In Frankfurt am Main wurde die kommunale Polizei zunächst als Ordnungspolizei bezeichnet, ohne ausreichend zu berücksichtigen, dass dieser Begriff NS-belastet ist. Folglich kam es zügig zu einer Umbenennung. Diesen informativen Aspekt sollten die Kommunen, die an der Einführung einer kommunalen Polizei arbeiten, berücksichtigen. Die Autorin bezieht sich bei dieser Information auf eine Arbeit von Behr und beweist hier ihre akribische Recherche, da sich der Hinweis dort in einer Fußnote befindet (vgl. Behr 2006, 60). Auch an einigen anderen Stellen der Arbeit finden sich gute Ideen und Hinweise der Autorin. Beispielsweise problematisiert Tuchscherer an anderer Stelle die Geeignetheit des sog. Jedermannsrechts als regelfallbezogenes Eingriffsrecht, insbesondere für private Sicherheitsunternehmen (S. 38). Ausführlich geht die Autorin auf die rechtlichen Grundlagen ein. Unter anderem diskutiert sie dort, dass Aspekte der kommunalen Polizei in Frankfurt am Main nur in Verordnungen und Verwaltungsvorschriften geregelt sind.

An verschiedenen Stellen der Arbeit erscheint das Sicherheitsgefühl (vgl. exemplarisch S. 25, 54, 59), ab S. 92 ff auch in einem eigenen Kapitel. Das Literaturverzeichnis verrät bereits, dass hier die wesentlichen Quellen fehlen. In der Folge werden Aspekte wie die bloße Polizeipräsenz oder Sauberkeit in Verbindung mit der Kriminalitätsfurcht gestellt. Zur Wirkung der Häufigkeit der Wahrnehmung von Ordnungskräften gibt es allerdings gegensätzliche Einschätzungen (vgl. Reuband 2008, 241 f mit weiteren Nachweisen) und der Zusammenhang zwischen Sauberkeit und Sicherheitsgefühl entspringt einer zu unkritischen Übernahme der Broken Windows-These. Die Aussage, wonach sich die „gefühlte Sicherheit der Bürger […] aus der tatsächlichen und damit objektiven Sicherheitslage und aus dem subjektiven Sicherheitsgefühl zusammen[setzt]“ (S. 92) gehört ebenfalls zu den weniger gelungenen Behauptungen. Darüber hinaus gibt es weitere kleine Unschärfen, wie beispielsweise die Verwechslung von Sonder- und Wegerechten (vgl. S. 76) oder der Hinweis, dass die Polizei den Ordnungsämtern die Kleinkriminalität überlassen würde (vgl. S. 89). Überlassen werden jedoch im Wesentlichen Ordnungsstörungen, die i. d. R. als Ordnungswidrigkeiten normiert sind. Richtigerweise weist die Autorin später darauf hin, dass sich die Polizei aus den Aufgabenbereichen zurückzieht, die ihr weniger Anerkennung verspricht.

  1. Fazit

Die Autorin befasst sich mit der Wiederentdeckung der kommunalen Polizei mit einem Thema von großer Aktualität und Brisanz und beleuchtet dieses von unterschiedlichen Seiten. Insofern ist die Arbeit gut geeignet, sich einen Überblick darüber zu verschaffen. Einige Aspekte wie der wichtige Polizeibegriff, die Notwendigkeit einer angepassten Ausbildung oder das Sicherheitsgefühl tauchen an mehreren Stellen im Buch auf. Hier wäre eine andere inhaltliche Struktur zu empfehlen gewesen, um diese Redundanzen zu vermeiden. Gerade zu Beginn wäre eine intensivere Analyse der historischen Entwicklung des Polizeibegriffs (gute Policey) förderlich für das Verständnis der nun auftretenden Probleme. Möglicherweise hätte das Fazit dann auch etwas anders ausfallen können, denn Polizei war schon immer mehr als ein grün- bzw. blaugestreifter Streifenwagen. Bei den Ausflügen in die Kriminologie weist das Buch Unschärfen auf. Für Polizeiwissenschaftler gibt es hilfreiche Denkanstöße für künftige Forschungsvorhaben.

Verwendete Literatur

Behr, R. Polizeikultur. Routinen – Rituale – Reflexionen.
Bausteine zu einer Theorie der Praxis der Polizei, Wiesbaden, 2006
Reuband, K.-H. Kriminalitätsfurcht. Erscheinungsformen, Trends und soziale Determinanten, in: Auf der Suche nach neuer Sicherheit. Fakten, Theorien und Folgen, hrsg. v. Hans- Jürgen Lange et. al., Wiesbaden, 2008, S. 233 – 251

[1] Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) in der in der Bayerischen Rechtssammlung (BayRS 2011-2-I) veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch § 3 des Gesetzes vom 24. Juli 2017 (GVBl. S. 388) geändert worden ist.

[2] Vgl. Artikel 1 Polizeiaufgabengesetz (PAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. September 1990 (GVBl. S. 397, BayRS 2012-1-1-I), das zuletzt durch § 1 des Gesetzes vom 24. Juli 2017 (GVBl. S. 388) geändert worden ist.

Rezensiert von: Karsten Lauber