OVG Münster hat jüngst ein erstinstanzliches Urteil wegen der nunmehr mehr als 4 Dekaden währenden Überwachung eines Rechtsanwaltes und Publizisten wie auch Menschenrechtsaktivisten in der zweiten Instanz für rechtswidrig erklärt

Die Causa mutet schon fast kafkaesk an, ist es aber leider nur bedingt. Das OVG Münster hat jüngst ein erstinstanzliches Urteil wegen der nunmehr mehr als 4 Dekaden währenden Überwachung eines Rechtsanwaltes und  Publizisten wie auch Menschenrechtsaktivisten in der zweiten Instanz für rechtswidrig erklärt. Auch wenn es hier um eine nachrichtendienstliche Überwachung ging, sind doch viele Ausführungen auch mit Blick auf polizeiliche Maßnahmen interessant. In Kürze:

(1) Das OVG NRW hat mit seiner Entscheidung vom 13.03.2018 die Berufung des beklagten Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln zurückgewiesen. Das Gericht stellt ausdrücklich fest, dass der Kläger weder selbst verfassungsfeindliche Positionen vertreten habe, noch habe er „linksextremistische“ Parteien oder Organisationen in deren verfassungsfeindlichen Zielen unterstützt. Der Kläger fordere, so das Gericht, in vielen seiner publizistischen Beiträge gerade die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards und grundrechtlicher Freiheiten. Somit lagen auch nach Ansicht des OVG im gesamten Beobachtungszeitraum keine „ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Beobachtung des Klägers“ vor. Die zielgerichtete Beobachtung des Klägers und die damit verbundene Führung einer über 2.000seitigen Personenakte über ihn seien deshalb von Anfang an rechtswidrig und unverhältnismäßig.

(2) Die Richterinnen und Richter des OVG stellen fest, dass auch scharfe, provokante oder polemische Kritik an staatlicher Sicherheitspolitik und Sicherheitsorganen wie Polizei, Geheimdiensten oder Justiz kein Grund für eine geheimdienstliche Überwachung sein darf, genauso wenig wie des Klägers substantiierte Kritik etwa am KPD-Verbot, an Berufsverboten, an der Polizeientwicklung oder am „Verfassungsschutz“ selbst. Dies gehöre zu der von Art. 5 GG geschützten „Machtkritik“ und zum politischen Meinungskampf in einer Demokratie.

(3) Das OVG hat deutlich gemacht und anerkannt, dass die jahrzehntelange geheimdienstliche Überwachung des Klägers mehrere grundrechtlich geschützte Freiheiten schwer beeinträchtigte: das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, die Meinungs-, Presse-, Wissenschafts- und Lehrfreiheit sowie die Berufsfreiheit. Wegen der mit einer Überwachung verbundenen Stigmatisierung („Extremistenstempel“) seien besonders seine beruflichen Tätigkeiten als Publizist und Rechtsanwalt betroffen. So sei er immer der Gefahr ausgesetzt gewesen, dass ihm aus der staatlichen Beobachtung berufliche und existentielle Nachteile erwachsen. Außerdem waren Berufsgeheimnisse wie Mandatsgeheimnis und Informantenschutz unter den Bedingungen der gezielten Überwachung nicht zu gewährleisten, die verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensverhältnisse zwischen Anwalt und Mandant sowie zwischen Journalist und Informant also mehr als erschüttert.

(4) Das OVG befasst sich ausdrücklich auch mit dem von fremdem Geheimwissen (des Verfassungsschutzes) ausgehenden Effekt, sich dadurch einschüchtern und von der Ausübung seiner Grundrechte abschrecken zu lassen. Dieser Effekt müsse nicht nur im Interesse des betroffenen Einzelnen vermieden werden, sondern auch im Interesse der Allgemeinheit: „Auch das Gemeinwohl wird hierdurch beeinträchtigt, weil die informationelle Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.“

Gössner-BVfs, Urteil OVG NRW 16 A 906.11 (Das Urteil, eine nicht anonymisierte Versendung erfolgt mit Zustimmung des Klägers.)

Eine spannende Lektüre wünscht

Ihr

Prof. Dr. Clemens Arzt