Polizei : Newsletter Nr. 259, Januar 2022

 1)   Covid-19 und Kriminologie: Dokumente im Überblick
 2)   Ausmaß und Entwicklung der Messerkriminalität in Deutschland: Empirische Erkenntnisse und kriminalpolitische Implikationen
 3)   Predictive Policing: Bias und diskriminierende Analysen nachgewiesen
 4)   Polizei Hamburg scannt Fingerabdrücke jetzt auch per Handy
 5)   Syrische Regierung als Drogenkartell
 6)   Polizeiliche Todesschüsse – CILIP-Übersicht aktualisiert
 7)   Weniger Polizeigewalt durch Simulationstrainings
 8)   Demokratie in der Krise?
 9)   Wirkt Abschreckung? Und wenn ja, auf wen?
10)  Polizeikontakt hat deutliche Auswirkungen auf Zukunft von jungen Menschen
11)  Handeln oder Zögern? As Problem des „Einfrierens“ (Freeze) bei Polizeibeamten
12)  Jeremy Bentham über Polizei
13)  Gründe für den Rückgang der Jugendkriminalität in den USA
14)  Trägt eine geringe Selbstkontrolle dazu bei, dass Polizeibeamte Bürger ungerecht behandeln?
15)  Antimuslimische Einstellungen in der Polizei?
16)  Denken mit Google
 
1) Covid-19 und Kriminologie: Dokumente im Überblick
Hans-Jürgen Kerner hat ein „Covid-19-Special“ zusammengestellt, in dem Nachweise zu Veröffentlichungen (open access und andere) aus dem Bereich Criminology und Criminal Justice enthalten sind, die sich mit Covid-19 beschäftigen. Der Polizei-Newsletter stellt dieses Dokument hier zur Verfügung, mit herzlichem Dank an Professor Kerner: https://polizei-newsletter.de/pdf/Kerner_Collection_Covid_Dezember_2021.pdf
 
 
2) Ausmaß und Entwicklung der Messerkriminalität in Deutschland: Empirische Erkenntnisse und kriminalpolitische Implikationen
Ausgehend von einer Erhebung des rheinland-pfälzischen Ministeriums der Justiz wurden Urteilstexte von insgesamt 519 rechtskräftig wegen schwerer Gewaltkriminalität abgeurteilten Personen ausgewertet, die sich auf Aburteilungen des Jahres 2013 und des Jahres 2018 beziehen. Die Ergebnisse zeigen, dass es keinen signifikanten Unterschied zwischen Messerkriminalität und schwerer Gewaltkriminalität insgesamt hinsichtlich der untersuchten Variablen, insbesondere der Staatsangehörigkeit, gibt. Auch ein massiver Anstieg der Messergewalt von 2013 auf 2018 konnte nicht nachgewiesen werden. https://link.springer.com/article/10.1007/s11757-021-00692-7
 
 
3) Predictive Policing: Bias und diskriminierende Analysen nachgewiesen
Zwischen 2018 und 2021 war in den USA einer von 33 US-Bürgern von Polizeipatrouillenentscheidungen betroffen, die von der Kriminalitätsvorhersagesoftware „PredPol“ geleitet wurden. Das Unternehmen hat mehr als 5,9 Millionen Kriminalitätsvorhersagen an Strafverfolgungsbehörden in den USA gesendet. Demnach waren Bewohner von Vierteln, in denen „PredPol“ nur wenige Patrouillen vorschlug, eher Weiße und eher in mittleren bis oberen Einkommensschichten. Viele dieser Gebiete blieben Jahre ohne eine einzige Kriminalitätsvorhersage. In Nachbarschaften, in denen die Software verstärkte Patrouillen vorschlug, wohnten eher Schwarze. Die übersichtliche grafische Darstellung dieser Ergebnisse findet sich hier: http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=818
 
 
4) Polizei Hamburg scannt Fingerabdrücke jetzt auch per Handy
Hamburger Polizist*innen müssen Menschen nicht mehr mit zur Wache nehmen, um Fingerabdrücke zu nehmen, sondern können direkt die Kamera ihrer Diensthandys nutzen. Diese haben noch weitere Funktionen und dürfen sogar privat genutzt werden. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=819
 
 
5) Syrische Regierung als Drogenkartell
In Syrien hat sich eine illegale Drogenindustrie zu einer Multimilliarden-Dollar-Operation entwickelt. Sie wird von mächtigen Mitarbeitern und Verwandten von Präsident Bashar al-Assad betrieben. Sein Hauptprodukt ist Captagon, ein illegales, süchtig machendes Amphetamin, das in arabischen Staaten beliebt ist. Eine Untersuchung der New York Times ergab, dass ein Großteil der Produktion und des Vertriebs von der syrischen Armee überwacht wird, konkret von einer Eliteeinheit unter dem Kommando von Maher al-Assad, dem jüngeren Bruder des Präsidenten. Zu den Hauptakteuren zählen regierungsnahe Geschäftsleute und weitere Mitglieder der Großfamilie des Präsidenten. Dem Bericht zugrunde liegen Informationen von Strafverfolgungsbehörden aus zehn Ländern und Interviews mit Drogenexperten, Syrern sowie US-Beamten. Mehr als 250 Millionen Captagon-Pillen wurden in diesem Jahr weltweit beschlagnahmt, das 18-fache der vor vier Jahren beschlagnahmten Menge. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=820
 
 
6) Polizeiliche Todesschüsse – CILIP-Übersicht aktualisiert
Das größte Risiko, in Deutschland von einer Polizeikugel tödlich getroffen zu werden, besteht in Hamburg und Hessen. Am häufigsten betroffen sind 25-jährige Männer, gefährlichster Monat ist der Dezember. Die jährlichen Statistiken, auf jahrzehntelangen Recherchen beruhend finden sich unter https://polizeischuesse.cilip.de
 
 
7) Weniger Polizeigewalt durch Simulationstrainings
In Kalifornien wenden Polizisten neue Trainingstaktiken an, um den Einsatz von Gewalt zu reduzieren. Simulationstrainings helfen, nach alternativen Lösungen zu suchen. Es werden Trainingssimulationen eingesetzt, um den Schusswaffeneinsatz zu reduzieren. Der Schlüssel bestehe, so die Forscher, darin, dass die Beamten Situationen durchspielen, bis sie zur zweiten Natur werden. Das Training verzeichnete einen Rückgang der Gewaltanwendung um 28 Prozent und der Verletzungen von Polizisten um 36 Prozent. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=821
 
 
8) Demokratie in der Krise?
Wie gehen die Deutschen mit Krisen wie der Corona-Pandemie um? Welche Gefahren bedrohen derzeit die Demokratie? Die Körber-Stiftung hat eine Studie des Philosophen und Staatsministers a. D. Julian Nida-Rümelin veröffentlicht. Zeitgleich bestätigt eine repräsentative Erhebung, dass lediglich 50 Prozent der Befragten, Vertrauen in die Demokratie in Deutschland haben. https://www.koerber-stiftung.de/publikationen/koerber-topics
 
 
9) Wirkt Abschreckung? Und wenn ja, auf wen?
Die Abschreckungsdoktrin setzt auf Sanktionsfurcht als Mittel zur Eindämmung von Kriminalität. So plausibel die Hypothese, Furcht vor staatlicher Strafe würde Delinquenz verhindern, auch klingt: Empirische Forschung zeichnet ein eher ernüchterndes Bild von den kriminalpräventiven Erträgen angedrohter gerichtlicher Bestrafung. Eine Sichtung des gesammelten Forschungsstandes zeigt, dass Sanktionsrisikoeffekte über Personen, Situationen und Delikte hinweg variieren. Individuen mit geringer Normakzeptanz, niedriger Selbstkontrolle und zahlreichen Freundschaftskontakten zu delinquenzaffinen Gleichaltrigen können als in einem gehobenen Maße durch ihre Sanktionsrisikowahrnehmung beeinflussbar identifiziert werden. https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/mks-2020-2051/html
 
 
10) Polizeikontakt hat deutliche Auswirkungen auf Zukunft von jungen Menschen
Eine aktuelle Studie in den USA hat untersucht, ob polizeilicher Kontakt Auswirkungen auf die Zukunftsorientierung von Jugendlichen hat. Die Ergebnisse: Erstens sind persönliche (direkte) und indirekte Polizeikontakte negativ mit einer Veränderung der Zukunftsorientierung bei Jugendlichen verbunden. Zweitens ist jede Kontaktaufnahme mit der Polizei, unabhängig davon, wie gerecht oder ungerecht der Kontakt wahrgenommen wird, negativ mit der Zukunftsorientierung verbunden. Die Ergebnisse zeigen wieder einmal, dass der Polizeikontakt bei Jugendlichen Auswirkungen auf das spätere Leben hat. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=822
 
 
11) Handeln oder Zögern? As Problem des „Einfrierens“ (Freeze) bei Polizeibeamten
Bei gewalttätigen Vorfällen wird von Polizeibeamten erwartet, dass sie in der jeweiligen Situation schnell handeln. Eine Studie untersucht den kritischen Moment des Nicht-Handelns, also des „Einfrierens“. Aufbauend auf neurologischen Erkenntnissen und Theorien zu emotional-körperlichen Transformationen zeigt dieser Artikel, dass „Freezing“ eine sich selbst einschließende Transformation ist, bei der Beamt*innen die Fähigkeit zu zielgerichtetem Handeln verlieren. Die Analyse zeigt außerdem, dass das „Einfrieren“ nicht nur durch körperliches Aufhören, sondern auch durch richtungsloses Verhalten gekennzeichnet ist und auftritt, wenn Polizisten auf unerwartete Umstände stoßen. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/10439463.2021.2003359
 
 
12) Jeremy Bentham über Polizei
Das Buch „Jeremy Bentham on Police“, herausgegeben von Scott Jacques und Philip Schofield, ist als Open Access verfügbar. Die Ideen von Jeremy Bentham zur Bestrafung sind berühmt. Der Diskurs betrifft die Vorstellungen von Bestrafung auch in Bezug auf Gesetzgebung und Polizei. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=823
 
 
13) Gründe für den Rückgang der Jugendkriminalität in den USA
Der deutliche Rückgang der Jugendkriminalität seit 1990 ist einer Studie zufolge nicht mit Veränderungen im schulischen Bereich, dem Engagement der Gemeinschaft oder der elterlichen Aufsicht nach der Schule verbunden. Vielmehr geht die signifikante Verringerung der Prävalenz jugendlicher Straftaten mit einer Abnahme von unstrukturiertem Sozialveralten und Alkoholkonsums sowie in geringerem Maße mit einer Abnahme der Präferenzen von Jugendlichen für riskante Aktivitäten einher. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=824
 
 
14) Trägt eine geringe Selbstkontrolle dazu bei, dass Polizeibeamte Bürger ungerecht behandeln?
Um dieser Frage nachzugehen, wurden Daten aus einer Stichprobe von Beamten einer Polizeibehörde des Mittleren Westens des USA analysiert. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine geringe Selbstkontrolle zunächst mit ungerechten Verhalten der Beamten zusammenhängt, die Beziehung jedoch in einem multivariaten Kontext verschwindet. Stattdessen sind organisatorische Gerechtigkeit und Zynismus einflussreicher. https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/15614263.2020.1821679
 
 
15) Antimuslimische Einstellungen in der Polizei?
In diesem Beitrag werden Ergebnisse einer Befragung von Kommissaranwärter*innen vorgestellt, die 2016 und 2017 an der Hochschule der Akademie der Polizei Hamburg durchgeführt wurde. https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/mks-2020-2048/html
 
 
16) Denken mit Google
Menschen suchen häufig im Internet nach Informationen. Acht Experimente (n = 1.917) belegen, dass Menschen beim „Googlen“ nach Online-Informationen nicht genau zwischen intern – in ihren eigenen Erinnerungen – und extern gespeichertem Wissen im Internet unterscheiden können. Im Vergleich zu denen, die nur ihr eigenes Wissen verwenden, sind Personen, die Google verwenden, um allgemeine Wissensfragen zu beantworten, nicht nur zuversichtlicher, auf externe Informationen zuzugreifen; sie sind auch sicherer in ihrer eigenen Denk- und Erinnerungsfähigkeit. Darüber hinaus prognostizieren die Nutzer von Google, dass sie in Zukunft ohne die Hilfe des Internets mehr wissen werden, ein Irrglaube, der sowohl auf eine Fehlzuordnung von Vorwissen hinweist als auch eine praktisch wichtige Folge dieser Fehlzuordnung hervorhebt: Selbstüberschätzung, wenn das Internet nicht mehr verfügbar ist. Das Denken mit Google kann dazu führen, dass die Leute das Wissen des Internets mit ihrem eigenen verwechseln. https://www.pnas.org/node/1008179.abstract?collection