Polizei : Newsletter Nr. 260, Februar 2022

 1)   Perspektiven der Polizeiforschung – Band online
 2)   Todesfälle nach Taser-Einsatz in Deutschland
 3)   Pharmaunternehmen wird für Opioid-Krise in den USA haftbar gemacht
 4)   Desistance from Crime
 5)   „Bystander“ können positiv wirken
 6)   Covid-19 und Organisierte Kriminalität
 7)   Polizei in Los Angeles werten soziale Medien aus
 8)   Die „schmutzige Arbeit“ der digitalen Ermittler?
 9)   Polizei und Twitter während Covid-19
10)  „Meine Schweine erkenn ich am Gang – reloaded für Präventionsmaßnahmen
11)  Die Zukunft der Überwachung
12)  Mehr Kriminalität in Städten?
13)  „Cornern“ – lokale Sicherheitsproduktion in Dresden
14)  Policing Insight
15)  Neuroimaging-Studien
16)  Diskriminierung von Roma und „Rechtszynismus“
 
1) Perspektiven der Polizeiforschung – Band online
Die Beiträge der ersten Nachwuchstagung Empirische Polizeiforschung, die im März 2021 online stattfand, stehen nun in einem Sammelband zum kostenlosen download zur Verfügung. An der Tagung hatten 53 Referent*innen und 250 Wissenschaftler*innen und Polizeipraktiker*innen teilgenommen. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=877
 
 
2) Todesfälle nach Taser-Einsatz in Deutschland
In den vergangenen drei Jahren sind in Deutschland sechs Personen nach Einsätzen einer Distanzelektroimpulswaffe gestorben. Alle tödlichen Einsätze erfolgten in Wohnhäusern, fast immer befanden sich die Betroffenen in einer psychischen Ausnahmesituation, in mindestens einem Fall stand die getaserte Person vermutlich unter Drogeneinfluss. Der Tod erfolgte unter anderem durch einen Kreislaufstillstand oder Herzinfarkt, in einem Fall starb das Opfer durch eine Lungenentzündung und Blutvergiftung nachdem er sich bewusstlos erbrochen hat. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=878
 
 
3) Pharmaunternehmen wird für Opioid-Krise in den USA haftbar gemacht
Ein Gericht in New York stellte Ende 2021 fest, dass ein Opioid-Hersteller und -Vertreiber zur tödlichen Opioid-Krise in New York beigetragen hat und den Staat mit verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln überschwemmt hat, die zu Tausenden von Todesfällen geführt haben. https://www.nytimes.com/2021/12/30/nyregion/teva-opioid-trial-verdict.html
 
 
4) Desistance from Crime
Das Wort „desistance“ kann man nur schlecht übersetzen. Gemeint ist das „Ablassen“ von Kriminalität, also die Frage, was jemanden dazu veranlasst, keine Straftaten mehr zu begehen. Das National Institute of Justice in den USA hat einen kostenlosen Reader mit Beiträgen zu diesem Thema veröffentlicht. Direkter download unter  https://www.ojp.gov/pdffiles1/nij/301497.pdf
 
 
5) „Bystander“ können positiv wirken
Basierend auf Analysen von 131 Videoclips, die mit Mobiltelefonen aufgenommen wurden, zeigen die Autor*innen, dass Zuschauern situative Gruppen von „Bystandern“ schaffen können, die deeskalierende Maßnahmen fördern. Diese Bystander können, im Gegensatz zu populären, aber veralteten Vorstellungen über den gefährlichen Einfluss von Gruppen auf individuelles Verhalten selbstregulierende und entschärfende Aspekte haben. https://academic.oup.com/bjc/article/62/1/18/6299950
 
 
6) Covid-19 und Organisierte Kriminalität
Ein Beitrag im CEPOL-Bulletin geht der Frage nach, ob und wie sich die Organisierte Kriminalität die durch die Krise ausgelöste Situation zunutze gemacht hat, einschließlich der hohen Nachfrage nach bestimmten Gütern, der verringerten Mobilität in die und in der EU sowie der gestiegenen sozialen Angst und der Abhängigkeit zu digitalen Lösungen. Die Autor*innen stellen fest, dass Kriminelle von diesen Veränderungen profitiert haben, indem sie ihren Fokus verlagert und ihre illegalen Aktivitäten angepasst haben. https://bulletin.cepol.europa.eu/index.php/bulletin/article/view/485
 
 
7) Polizei in Los Angeles werten soziale Medien aus
Interne Dokumente zeigen, dass eine polnische Firma ohne Erfahrung mit Strafverfolgungsbehörden dem Los Angeles Police Department (LAPD) geholfen hat, Zehntausende von Tweets im Zusammenhang mit Black Lives Matter und Protesten gegen Rassengerechtigkeit zu sammeln. Ziel der LAPD war es, auf sog. „negative Narrative“ entsprechend zu reagieren. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=879
 
 
8) Die „schmutzige Arbeit“ der digitalen Ermittler?
Mehr als 80 Prozent der Arbeit in der digitalen Forensik beschäftigt sich mit Bildern von sexuellem Missbrauch von Kindern. Während eine wachsende Menge an Literatur die emotionalen Dimensionen des Umgangs mit solchem Material und die Notwendigkeit analysiert, den Kontakt damit zu minimieren, wurde den alltäglichen organisatorischen Aspekten, in denen solche Bilder verarbeitet werden, weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Anhand ethnographischer Beobachtungen und Interviews mit Praktikern in vier Polizeirevieren in England untersucht dieser Artikel den polizeilichen Umgang mit diesen Bildern. https://academic.oup.com/bjc/article/62/1/106/6307117
 
 
9) Polizei und Twitter während Covid-19
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Nutzung von Twitter zur Eindämmung und Reduzierung der Kriminalität durch die britische Polizei und anderen Behörden in den frühen Stadien der Covid-19-Pandemie. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die meisten Tweets Themen betrafen, die sich nicht speziell auf Kriminalität bezogen. Insbesondere während der ersten Phasen der Pandemie gab es jedoch einen erheblichen Anstieg der Tweets über Betrug, Cyberkriminalität und häusliche Gewalt. Die Autor*innen fordern systematischere Ansätze zur Entwicklung von Kommunikationsstrategien in den sozialen Medien zum Zwecke der Eindämmung und Reduzierung der Kriminalität bei Störungen und Veränderungen im Allgemeinen. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=880
 
 
10) „Meine Schweine erkenn ich am Gang – reloaded für Präventionsmaßnahmen
Die Studie von Jo Reichertz mit diesem Titel ist legendär – und hier verfügbar: https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/5523 . Nun wurde anhand empirischen Datenmaterials erkundet, wie die Polizei präventiv arbeitet. In diesem Zusammenhang wird das Vorgehen bei proaktiven Streifenfahrten und insbesondere Verkehrskontrollen in den Blick genommen, um polizeiliche Praktiken im Kontext proaktiver Polizeiarbeit entschlüsseln zu können. Die Studie gibt Einblicke in unterschiedliche polizeiliche Handlungspraktiken und konzentriert sich dann darauf, wie diese umgesetzt werden. Es wird deutlich, dass proaktive, anlassunabhängige Polizeiarbeit noch viel stärker von bestimmten Verdachtskonstruktionen und stereotypisierten Verallgemeinerungen gegenüber verschiedenen Personengruppen abhängig ist als reaktive Polizeiarbeit. https://www.kriminologie.de/index.php/krimoj/article/view/164
 
 
11) Die Zukunft der Überwachung
Eine Sonderausgabe von Surveillance & Society zum Thema „Imagining Surveillance Futures“ untersucht, wie Überwachung in naher Zukunft aussehen könnte – und welche Welten sie hervorbringen könnte. Die Essays tauchen in dystopische und utopische Szenarien ein, die eine neue Perspektive auf die Herausforderungen der Überwachung in der Gesellschaft bieten. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=881
 
 
12) Mehr Kriminalität in Städten?
Die Kriminalitätsraten pro Kopf werden praktisch überall verwendet, um die Kriminalitätsbelastung in Städten zu vergleichen. Ihre Verwendung beruht jedoch auf der Annahme, dass die Kriminalität im gleichen Maße zunimmt wie die Zahl der Menschen in einer Region. Eine Auswertung von Daten aus 12 Ländern zeigt, dass die Verwendung von Pro-Kopf-Raten zu erheblich anderen Rankings führen kann als Rankings, die an die Bevölkerungsgröße angepasst sind. In den meisten Ländern nehmen Diebstähle superlinear mit der Bevölkerungszahl zu, während Einbrüche linear ansteigen. Pro-Kopf-Rankings unterscheiden sich bevölkerungsbereinigten Rankings, sodass in etwa der Hälfte der zehn am meisten mit Kriminalität belasteten Städte die Daten nicht übereinstimmen. Die Autoren raten daher zur Vorsicht bei der Verwendung von Kriminalitätsraten pro Kopf für das Ranking von Städten und empfehlen, vorher die lineare Plausibilität zu prüfen. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=882
 
 
13) „Cornern“ – lokale Sicherheitsproduktion in Dresden
In dem Beitrag wird ein Pilotprojekt vorgestellt, das eine Neustrukturierung der kommunalen Präventionsarbeit in Dresden zum Ziel hat. Die darin entwickelten Prozessabläufe einer empirisch geleiteten Maßnahmenplanung und einer Professionalisierung der organisationalen Zusammenarbeit werden auf ihre Wirksamkeit in der Praxis getestet und kritisch reflektiert. Als Anwendungsbeispiel dient das soziale Phänomen des „Cornerns“ im Dresdner Kneipenviertel Neustadt. https://www.kriminologie.de/index.php/krimoj/article/view/163
 
 
14) Policing Insight
Auf dieser website finden sich ständig aktualisierte Informationen über polizeilich relevante Themen. Unter den Herausgebern sind führende Polizeiwissenschaftler. Die dahinterstehende unabhängige Organisation wurde 2012 gegründet, um die polizeiliche Führung in England und Wales zu überwachen. Leider ist nur ein Teil der Beiträge frei zugänglich, andere sind nur für Organisationen in England und Wales freigeschaltet. Auf der website findet sich auch ein im Sekundentakt aktualisierter Newsticker mit Polizeibezogenen Nachrichten. Wer sich registriert, bekommt einen wöchentlichen Newsletter. https://policinginsight.com/
 
 
15) Neuroimaging-Studien
Die Erforschung der neurofunktionellen Mechanismen der Psychopathie hat in den letzten Jahren an Dynamik gewonnen. Frühere Neuroimaging-Studien haben allgemeine Veränderungen der Gehirnaktivität von Psychopathen festgestellt. In einer explorativen Metaanalyse wurden die neuronalen Korrelate der gestörten moralischen Kognition bei Psychopathen untersucht. Die Ergebnisse legen nahe, dass Veränderungen in bestimmten Gehirnregionen spezifische funktionelle Veränderungen im Zusammenhang mit (veränderter) moralischer Kognition bei Psychopathen darstellen können. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/bsl.2539?campaign=wolearlyview
 
 
16) Diskriminierung von Roma und „Rechtszynismus“
Die Roma sind Europas größte Minderheitengruppe und werden auf dem gesamten Kontinent umfassend diskriminiert. Anhand einer Befragung von Roma- und Nicht-Roma-Haushalten in zwölf mittel- und osteuropäischen Ländern analysiert die Studie, inwieweit Rechtszynismus als kognitiver Rahmen mit der Vermeidung sozialer Institutionen verbunden ist. Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass das Zusammenspiel von Rechtszynismus und Systemvermeidung tiefe Einblicke in die Reproduktion struktureller Benachteiligung und in die Ursachen von Ungleichheit und Minderheitenbenachteiligung in Städten in Mittel- und Osteuropa ermöglicht. https://academic.oup.com/sf/advance-article/doi/10.1093/sf/soab125/6425238