Polizei : Newsletter Nr. 287, Juli 2024

 1)   Kriminalitätsfurcht und Strafeinstellungen vor und während der Covid-19-Pandemie
 2)   Kommunikationstaktik von Streifenbeamten
 3)   Narzissmus in Führungspositionen
 4)   Super-Mario-Straßendroge ist 100 Mal stärker als Fentanyl
 5)   Verdächtigt, abgehört, falsch übersetzt
 6)   Whistleblowing in der Polizei.
 7)   Studie zu Police Bystander
 8)   Bei Notruf: Drohne kommt
 9)   Warum führt die Wahrnehmung von Unordnung zu Kriminalitätsfurcht?
10)  Sexistische Menschenfeindlichkeit und Kriminalitätsfurcht
11)  Entwicklung der Todesfälle i.V.m. Schusswaffen in den USA
12)  Folgenreiche Begegnungen mit der Polizei
13)  Massiver Rückgänge von Todesfällen. Was macht die Polizei in Boston anders?
14)  Nothing to see here? Todesfälle im Gewahrsam
15)  Warum Opfer von häuslicher Gewalt nicht die Polizei rufen
16)  Polizeikontrollen und Kriminalitätsreduktion: Eine Meta-Analyse
17)  Wahrnehmung von Unterschieden und Konflikten zwischen Ost- und Westdeutschen
18)  Mentalität der kleinen Leute – Analyse des Ost-West-Zustands
 
1) Kriminalitätsfurcht und Strafeinstellungen vor und während der Covid-19-Pandemie
Die Studie stellt Ergebnisse von Studierendenbefragungen zwischen 2017 und 2021 vor, die sich mit der Frage beschäftigen, wie sich Kriminalitätsfurcht und Strafeinstellungen vor und während der Covid-19-Pandemie entwickelt haben. Es wird unter anderem ein Anstieg der Furchtwerte im Zuge der Pandemie verzeichnet, während Strafmilde und wiedergutmachende Strafeinstellungen, die zunächst an Zustimmung gewannen, während der Pandemie deutliche Rückgänge aufwiesen. https://www.kriminologie.de/index.php/krimoj/article/view/308
 
 
2) Kommunikationstaktik von Streifenbeamten
Eine Studie untersucht den Einfluss der Kommunikationstaktik von Streifenbeamten auf die Einhaltung von Vorschriften durch Verdächtige mittels systematischer Beobachtung und Auswertung von 438 Body-Kamera- und Dashcam-Videoaufnahmen aus zwei Polizeibehörden. Die Ergebnisse zeigen, dass bei Beamten, die einen positiven Tenor/das richtige Verhalten an den Tag legten oder nur verbalen Zwang ausübten, sich die Verdächtigen mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit angepasst verhalten. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1114
 
 
3) Narzissmus in Führungspositionen
In der Literatur über strategische Führung wurden erhebliche Auswirkungen des Narzissmus auf Unternehmensergebnisse nachgewiesen, und die psychologische Forschung über Narzissmus in Gruppen unterstreicht die Bedeutung des Narzissmus für die zwischenmenschliche Dynamik. In diesem Artikel wird untersucht, wie sich der Narzissmus direkt auf die Zusammensetzung und Arbeit des Führungsgremiums auswirkt. https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/01492063241226904
 
 
4) Super-Mario-Straßendroge ist 100 Mal stärker als Fentanyl
Eine neue Straßendroge namens "Super Mario" ist in New York aufgetaucht. Sie enthält ein synthetisches Opioid, das 100-mal stärker ist als Fentanyl. Die Gesundheitsbehörde gab eine Warnung heraus nachdem auch eine Kombination von Fentanyl, einem tierärztlichen Beruhigungsmittel namens Xylazin und Spuren von Heroin und Carfentanil, einem weiteren tierärztlichen Beruhigungsmittel für Elefanten und andere große Säugetiere, festgestellt wurde. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1115
 
 
5) Verdächtigt, abgehört, falsch übersetzt
Sprachmittlerinnen helfen, wenn die Strafverfolgungsbehörde mögliche Täter und Täterinnen abhört haben, die eine andere Sprache sprechen. Ihr Einfluss auf die Untersuchungen ist grösser als gedacht, wie eine Studie aus der Schweiz zeigt. Die Sprachmittler sind keine neutralen Übersetzungsmaschinen, sondern sie filtern und bewerten. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1116
 
 
6) Whistleblowing in der Polizei.
Die Polizei ist wegen ihrer Aufgaben, Befugnisse und Strukturen eine besondere gesellschaftliche Institution. Ebenfalls besonders ist daher die Bedeutung, die eine angemessene Bearbeitung auftretender Fehler, Probleme oder Missstände hat. Eine solche Bearbeitung ist ohne die Aufdeckung und Kommunikation ihrer Anlässe aber kaum denkbar. Da dieses Offenbarwerden nicht selten nur als Whistleblowing erfolgten kann, ist es für eine Polizeiinstitution unabdingbar, solche Hinweismöglichkeiten zu bieten. Der vorliegende Band geht diesen Zusammenhängen nach und zeigt dabei auf, dass und warum die Polizei auch deshalb besonders ist, weil sie Whistleblowing de facto vielfach erschwert, und zwar mehr als in anderen Organisationen. Auf der Basis des empirischen Forschungsstandes gehen die Beiträge diesen Mitteilungshürden nach, um darüber nach Stellschrauben zu suchen, an denen sich Barrieren absenken lassen. Das Buch ist im Volltext verfügbar unter https://epub.ub.uni-muenchen.de/115696/
 
 
7) Studie zu Police Bystander
Studien zum Verhalten von Unbeteiligten haben gezeigt, dass sie bei Konflikten und Straftaten in der Öffentlichkeit oftmals deeskalierend eingreifen. Diese Studien konzentrieren sich jedoch ausschließlich auf Bürger. Umstehende sind jedoch auch Polizeibeamte, die nicht unmittelbar selbst am Einsatz beteiligt sind. Auf der Grundlage von Interviews und teilnehmender Beobachtung in den Niederlanden liefert diese Studie Einblicke in die Art und Weise, wie Polizisten Unbeteiligte wahrnehmen und ihre Handlungen erleben. Polizeibeamte beschreiben ein Dilemma: Sie wollen ein positives und faires Bild von sich selbst gegenüber Unbeteiligten vermitteln, wollen aber auch die Situation kontrollieren und ihre Autorität zeigen. Das Phänomen der police bystander müsste gründlicher untersucht werden. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/15614263.2024.2363335
 
 
8) Bei Notruf: Drohne kommt
In den USA wird damit experimentiert, nach einem Notruf bei der Polizei automatisch eine Drohne starten zu lassen, die zu dem Standort des Anrufers fliegt, um die Situation zu überprüfen. Die Drohne soll nicht länger als 70 Sekunden dafür benötigen. Somit könnte die Polizei besser und schneller entscheiden, ob und wen sie als Reaktion auf den Notruf losschickt – natürlich nur, wenn sich der Anrufer oder die Einsatzsituation sichtbar und nicht in Häusern sind. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1117
 
 
9) Warum führt die Wahrnehmung von Unordnung zu Kriminalitätsfurcht?
Großstädte haben zunehmend ein Problem mit illegal abgestelltem Müll im öffentlichen Raum. Ein Zusammenhang zwischen dem Zustand öffentlicher Ordnung und Kriminalitätsfurcht wird in den Theorien sozialer Desorganisation, insbesondere der Broken-Windows-Theorie, angenommen. Eine Untersuchung aus Leipzig prüft anhand von Sekundärdaten die Annahme, ob eine Präferenz für Ordnung ein Moderator für den Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung von Incivilities und Kriminalitätsfurcht sein könnte. Während Befragte mit einer geringen oder mittleren Präferenz für Ordnung kaum eine Veränderung der Kriminalitätsfurcht bei Zunahme der Wahrnehmung von Incivilities aufweisen, reagieren diejenigen Befragten mit einer hohen Präferenz mit einem deutlichen Anstieg der Kriminalitätsfurcht. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1118
 
 
10) Sexistische Menschenfeindlichkeit und Kriminalitätsfurcht
In einer Bevölkerungsumfrage aus Mannheim erfolgte 2023 die Erfassung der sexistischen Menschenfeindlichkeit. Es zeigte sich, dass diese erhebliche und signifikante Auswirkungen auf die Kriminalitätsfurcht sowie auf das institutionelle Vertrauen hat, wobei insbesondere junge Frauen und LSBTI Menschen von sexistischer Menschenfeindlichkeit betroffen sind. https://www.kriminologie.de/index.php/krimoj/article/view/309
 
 
11) Entwicklung der Todesfälle i.V.m. Schusswaffen in den USA
Im Jahr 2020 erlebten die USA den größten Anstieg der Tötungsdelikte seit 1960. Der Anstieg beschleunigte sich während der COVID-19-Pandemie, nach dem Mord an George Floyd und der darauffolgenden sozialen Proteste. Von den fast 20.000 Opfern waren 61 % Schwarze, sie wurden 14-Mal so häufig Opfer wie Weiße. Dieser Unterschied besteht bei anderen Arten von Gewalt nicht. Die Todesfälle durch Schusswaffentötungen konzentrierten sich vor, während und nach der COVID-19-Pandemie auf Schwarze im Alter von 15 bis 24 Jahren, was bedeutet, dass es wahrscheinlich soziale und strukturelle Bedingungen gibt, die zu diesen Ungleichheiten beitragen. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1119
 
 
12) Folgenreiche Begegnungen mit der Polizei
Mit dem Untertitel „Rassistische Verhältnisse raumtheoretisch untersucht“ ist eine Studie erschienen, die Erfahrungen von Schwarzen Personen, Personen of Colour und migrantisch gelesenen Personen mit der Polizei in Frankfurt am Main untersucht. Die Studie erörtert, wie rassistische Differenzierungen im Moment der Begegnung mit der Polizei vermittelt werden und wie dadurch gesellschaftliche Ausschlüsse und Ungleichheitsverhältnisse (re-)produziert werden. Kostenloser download hier: http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1120
 
 
13) Massiver Rückgänge von Todesfällen. Was macht die Polizei in Boston anders?
82% weniger Tötungsdelikte im vergangenen Jahr in Boston – der größte Rückgang in allen US-amerikanischen Großstädten. Was läuft dort anders? Boston ist offensichtlich ein Paradebeispiel dafür, was in der Polizeiarbeit richtig läuft. Die Stadt ist seit den 1990er Jahren ein Pionier bei Polizeistrategien, die die Gemeinden als Partner sehen. Vertrauen wird nur durch nachhaltige, gemeinsam erzielte Erfolge aufgebaut. Das geht nur mit viel Engagement und Zeit. Ein neues Denken bei der Bostoner Polizei beschreibt der Beitrag. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1121
 
 
14) Nothing to see here? Todesfälle im Gewahrsam
Unter diesem Titel wird von Scottish Center for Crime and Justice Research jedes Jahr ein Bericht erstellt, der Todesfälle in Gewahrsam in Schottland untersucht. 2023 sind Todesfälle in allen Formen des staatlichen Gewahrsams einbezogen. Die Autorinnen untersuchen auch Merkmale des öffentlichen Systems in Schottland. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1122
 
 
15) Warum Opfer von häuslicher Gewalt nicht die Polizei rufen
Eine Studie in den USA hat gezeigt, dass Opfer von häuslicher Gewalt befürchten, dass eine Kontaktaufnahme mit der Polizei die Situation verschlimmert, zu ihrer Verhaftung oder zum Verlust des Sorgerechts für die Kinder führen könnte. Deshalb rufen viele Opfer nicht die Polizei. Die ausführlichen Ergebnisse der Studie finden sich hier http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1123
 
 
16) Polizeikontrollen und Kriminalitätsreduktion: Eine Meta-Analyse
In der Metastudie wurden 40 Studien, die 20.876 Orte repräsentierten, ausgewertet. Die von der Polizei initiierten Maßnahmen zum Anhalten von Fußgängern waren mit einer statistisch signifikanten Verringerung der Kriminalität um 13 % im Vergleich zu den Kontrollgebieten verbunden. Fußgängerkontrollen waren jedoch auch mit einer breiten Palette negativer Auswirkungen auf individueller Ebene verbunden. Bei Personen, die von der Polizei angehalten wurden, stieg die Wahrscheinlichkeit eines psychischen Gesundheitsproblems statistisch signifikant um 46 % und die Wahrscheinlichkeit eines körperlichen Gesundheitsproblems um 36 %. Personen, die von Polizeikontrollen betroffen waren, berichteten auch über eine signifikant negativere Einstellung gegenüber der Polizei und ein signifikant höheres Maß an selbstberichteter Kriminalität/Delinquenz. Analysen deuteten auch darauf hin, dass die negativen Auswirkungen von Fußgängerkontrollen auf individueller Ebene bei Jugendlichen ausgeprägter sein könnten. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/cl2.1302
 
 
17) Wahrnehmung von Unterschieden und Konflikten zwischen Ost- und Westdeutschen
Die Unterschiede und Ungleichheiten zwischen Ost- und Westdeutschland wurden nach der Deutschen Einheit als Übergangsstadium verstanden, insbesondere Mentalitätsunterschiede sollten sich im Laufe der Jahre angleichen. Der Beitrag analysiert, wie Ost- und Westdeutsche das Verhältnis zueinander wahrnehmen und inwiefern sich hier Kohortenunterschiede zeigen. Mit neuen Daten aus dem Jahr 2022 wird gezeigt, dass die deutsch-deutschen Trennlinien bei jungen Westdeutschen verblassen, bei den jungen Ostdeutschen dagegen ein Fortwirken von Unterschieds- und Konfliktwahrnehmungen erkennbar ist. https://link.springer.com/article/10.1007/s11577-024-00949-z?s=09
 
 
18) Mentalität der kleinen Leute – Analyse des Ost-West-Zustands
Der Soziologe Steffen Mau plädiert gegenüber einer erkennbaren „Mentalität der kleinen Leute“ für Bürgerräte als Instrument demokratischen Lernens. Er stellt fest, dass es keine kollektive Identifizierung als „westdeutsch“ gibt. Es sei ein typisches Muster in sozialen Verhältnissen, dass die größere Gruppe für die kleinere zur eigenen Identitätsgewinnung viel elementarer ist als umgekehrt. Westdeutschland bleibt für viele Ostdeutsche eine zentrale Referenz-Gesellschaft. Schon bei der Wiedervereinigung hatten viele Ostdeutsche eine stereotype, statische Vorstellung „vom Westen“ als Gesellschaft. Zu diesen Imaginationen und Projektionen kam es sicherlich auch, weil Ostdeutschland eine kulturell und sozial sehr viel homogenere Gesellschaft war: mit wenig Zuwanderung und einer stark ausgeprägten Mentalität der „kleinen Leute“. Das vollständige Interview findet sich hier: https://taz.de/!6015104/