Polizei : Newsletter Nr. 295, April 2025

 1)   Der längere Beitrag: Whistleblowing in der Polizei
 2)   Fentanyl: Ein Gramm kann 500 Menschen töten
 3)   Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen. Datenbank von Strafzumessungsentscheidungen
 4)   Rückgang der KFZ-Diebstähle – Eine Erfolgsgeschichte
 5)   Zuweisung von Hotspot-Kontrollen via Handy-App erhöht die Kontrollen, senkt aber nicht die Gewaltkriminalität
 6)   Klima und Kriminalität
 7)   Dokumentation polizeilichen Fehlverhaltens
 8)   Die polizeiliche Praxis anlassunabhängiger Personenkontrollen
 9)   Menschenrechtsbildung im Polizeistudium
10)  Untersuchungshaft ist ab dem ersten Tag problematisch
11)  ÜberwachtAtlas
12)  Bochumer Masterarbeiten „Kriminologie, Kriminalistik und Polizeiwissenschaft“ an neuem Ort online verfügbar
13)  Wer glaubt an den „großen Bevölkerungsaustausch“?
14)  Vorhersage kriminellen Verhaltens
15)  Auswirkungen von Ressourcenänderungen auf das Justizsystem
16)  Sexuelle Gewalterfahrung hat Auswirkungen auf Krebs
17)  Methodische Probleme in der Kriminologie
 
1) Der längere Beitrag: Whistleblowing in der Polizei
Eine Studie der Gesellschaft für Freiheitsrechte hat auf Basis von Interviews in zwei Landespolizeien untersucht, vor welchen Herausforderungen und Problemen sowohl die Meldestellen als auch (potenziell) hinweisgebende Polizist stehen. Der längere Beitrag in diesem Monat beschäftigt sich mit der Studie und den daraus zu ziehenden Konsequenzen für Polizeiführung. Er findet sich in meinem neuen Blog PolizeiWissenschaft: https://www.thomasfeltes.de/index.php/blog
 
 
2) Fentanyl: Ein Gramm kann 500 Menschen töten
Nach Angaben der Drug Enforcement Administration der USA können bereits zwei Milligramm Fentanyl tödlich sein. Ein Gramm kann bis zu 500 Menschen töten. Im Jahr 2023 wurden in den USA mehr als 100.000 Todesfälle durch Überdosierung auf Opioide, vor allem Fentanyl, zurückgeführt. Die DEA-Labortests ergaben, dass im Jahr 2024 die Hälfte der sichergestellten Pillen potenziell tödliche Dosen von Fentanyl enthielt. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1196
 
 
3) Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen. Datenbank von Strafzumessungsentscheidungen
Eine bundesweite Rückfalluntersuchung für die Jahre 2010 bis 2019 ist vorgelegt worden. Ausgewertet wurden Daten des Bundeszentralregisters (BZR). Ein Drittel der Straftäter wird innerhalb von drei Jahren wieder verurteilt. Verlängert man den Beobachtungszeitraum auf neun Jahre, wächst die Rückfallrate nochmals beträchtlich an. Je nach Alter, Geschlecht, Strafsanktion und Vorstrafen lassen sich differenzielle Basisraten für den Rückfall bilden. Die BZR-Daten eröffnen zudem neue Möglichkeiten: Zum einen kann eine bundesweite und regional nach Oberlandesgerichtsbezirken gegliederte Datenbank für Strafzumessungsentscheidungen geschaffen werden, die als Orientierungsrahmen für die Strafrechtspraxis dienen kann. Zum anderen lassen sich mit den Diversionsentscheidungen im Jugendstrafrecht und den Unterstellungen unter Bewährungs- und Führungsaufsicht wichtige Bereiche darstellen, die in den Strafrechtspflegestatistiken fehlen. Die Studie ist gedruckt erschienen, steht aber auch online zum kostenlosen Download zur Verfügung. https://univerlag.uni-goettingen.de/handle/3/isbn-978-3-86395-652-3
 
 
4) Rückgang der KFZ-Diebstähle – Eine Erfolgsgeschichte
Die Zahl der Fahrzeugdiebstähle ist in Deutschland wie auch in den USA (dort zwischen 1990 und 2020 um 80 Prozent) zurückgegangen. In dieser Studie wird untersucht, warum dies der Fall war. darunter Berichte an den Kongress und Daten der Automobilindustrie aus dem Bundesregister. Durch Gesetzgebung wurden Anreize für Sicherheitsverbesserungen geschaffen, die ab Ende der 1980er Jahre eingebaut wurden. Die Analyse zeigt, dass der Diebstahl von Fahrzeugen mit elektronischen Wegfahrsperren im Vergleich zu einer entsprechenden Kontrollgruppe um 80 Prozent zurückging. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die elektronische Wegfahrsperre den großen Rückgang der Autokriminalität verursacht hat. Die elektronische Wegfahrsperre ist damit die wichtigste Vorrichtung zur Verbrechensverhütung der jüngeren Geschichte. https://link.springer.com/article/10.1057/s41284-024-00452-2
 
 
5) Zuweisung von Hotspot-Kontrollen via Handy-App erhöht die Kontrollen, senkt aber nicht die Gewaltkriminalität
In einem Experiment in England wurden sog. Hotspots nach dem Zufallsprinzip mit Hilfe einer Handy-basierten Tasking-Anwendung den Streifenbeamten zugewiesen. Die Auswirkungen auf das Niveau der Patrouillen und der Gewaltkriminalität wurden untersucht. Die Aufgabenzuteilung über die App führte zu einer drastischen Erhöhung der Zeit, die die Beamten an den Hotspots verbrachten. Es wurde ein Rückgang der Gewaltkriminalität um 8,74 % festgestellt, der jedoch nicht signifikant war und geringere Auswirkungen hatte, als andernorts festgestellt wurde. https://link.springer.com/article/10.1007/s41887-024-00096-7#Abs1
 
 
6) Klima und Kriminalität
Studien deuten darauf hin, dass Mikro- und Makroklima das kriminelle Verhalten beeinflussen. Eine aktuelle Untersuchung zeigt eine positive Korrelation zwischen der langfristigen Temperatur, der Kriminalität, der Bevölkerungsdichte und dem grünen Blätterdach hin. Klimavariablen (z. B. kurz- bis langfristige klimabedingte Stressfaktoren) und Verbrechensarten zeigen ebenfalls einen nicht linearen Zusammenhang. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1197
 
 
7) Dokumentation polizeilichen Fehlverhaltens
Der Bericht „Polizeigewalt in Sachsen“ wurde im März 2025 veröffentlicht. Darin werden 71 Fälle polizeilichen Fehlverhaltens aus den Jahren 2023 und 2024 dokumentiert. Die Vorwürfe reichen von rassistischen Personenkontrollen über diskriminierende Beleidigungen bis hin zu schwerer körperlicher Gewalt. Der Schwerpunkt der Meldungen liegt in Leipzig, Dresden und Chemnitz. https://www.copwatchleipzig.org/polizeigewalt-in-sachsen-bericht-2023-und-2024/
 
 
8) Die polizeiliche Praxis anlassunabhängiger Personenkontrollen
Unter dem Titel "Verdacht und Kontrolle“ ist eine Studie im transcript-Verlag erschienen. Der Autor analysiert anlassunabhängige Kontrollen vor dem Hintergrund praxistheoretischer und ethnomethodologischer Überlegungen als Interaktionsrituale, die auf eine Stigmatisierung der Betroffenen hinauslaufen. Dabei zeigt sich: Die soziale Identität der Betroffenen wird im Zuge der Kontrolle beschädigt. Open Access unter http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1198
 
 
9) Menschenrechtsbildung im Polizeistudium
Mitte November 2025 führt die Hessische Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit (HöMS) gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte zwei Veranstaltungen zum Thema Menschenrechte im Polizeistudium durch. Einer Fachkonferenz zur wissenschaftlichen Bewertung der Menschenrechtsbildung im Polizeistudium (12.-13.11.2025) folgt ein Workshop zur Methodik und Didaktik der Menschenrechtsbildung im Polizeistudium (13.-14.11.2025). Veranstaltungsort ist jeweils der Campus Mühlheim, Senefelderallee 1, 63165 Mühlheim am Main. https://fhoed.iliasnet.de/ilias.php?baseClass=ilrepositorygui&ref_id=5690703
 
 
10) Untersuchungshaft ist ab dem ersten Tag problematisch
Das Strafrechtssystem betrachtet die Untersuchungshaft als notwendig. Sie ist jedoch nachweislich ineffektiv, da sie vom ersten Tag an negative Auswirkungen hat, wie ein „Research Roundup“ zeigt. Sie ist mit hohen Kosten verbunden, da die Inhaftierung auch die Arbeitsfähigkeit einer Person unmittelbar beeinträchtigt und ihr Sterberisiko erhöht. Auf einer grundlegenderen Ebene tragen die störenden und stigmatisierenden Auswirkungen der Untersuchungshaft dazu bei, dass sie nicht hält, was sie verspricht. https://www.prisonpolicy.org/blog/2024/08/06/short_jail_stays/
 
 
11) ÜberwachtAtlas
An sogenannten "gefährlichen Orten" darf die Polizei Menschen ohne konkreten Verdacht kontrollieren und durchsuchen. Der ÜberwachtAtlas macht diese Orte in Deutschland sichtbar und dokumentiert, wo solche erweiterten Polizeibefugnisse heute gelten und in der Vergangenheit gegolten haben. https://ueberwacht-atlas.netlify.app/
 
 
12) Bochumer Masterarbeiten „Kriminologie, Kriminalistik und Polizeiwissenschaft“ an neuem Ort online verfügbar
Nachdem der Felix-Verlag seine Tätigkeit eingestellt hat und die Website des Verlages deaktiviert wurde, sind die Bochumer Masterarbeiten auf der Website des Masterstudienganges verfügbar. Beginnend mit dem Jahr 2007 sind dort fast alle Arbeiten, die mit mind. 2,0 (ab 2024 1,7) bewertet wurden, verfügbar. Die Jahrgänge 2023 und 2024 werden demnächst nachgetragen. https://www.makrim.de/index.php/masterarbeiten
 
 
13) Wer glaubt an den „großen Bevölkerungsaustausch“?
Eine Studie liefert Belege dafür, dass die wachsende Unterstützung für die europaweite Verschwörungstheorie des „Great Replacement“ (GRM) mit einer abnehmenden Zufriedenheit mit der Demokratie und dem politischen Vertrauen sowie mit zunehmenden populistischen Stimmungen, einwanderungsfeindlichen Einstellungen und einer größeren Akzeptanz von Gewalt als Mittel der Politik einhergeht. Sie zeigt aber auch, dass die Mehrheit der Befürworter in soziokultureller Hinsicht eher liberale als konservative Positionen zu Themen wie transnationale Integration, Gleichstellung der Geschlechter und Rechte von Randgruppen vertritt, wobei jeder Zehnte sogar eine Pro-Immigrations-Haltung einnimmt. Diejenigen, die an die GRM glauben, politisch sehr viel vielfältiger sind als erwartet und dass ihre Befürwortung dieses Narrativs nicht einfach als Produkt einer extremen politischen Ideologie verstanden werden kann. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/ssqu.13481?campaign=woletoc
 
 
14) Vorhersage kriminellen Verhaltens
Eine Studie zeigt, dass verschiedene Wege für aggressives, delinquentes, impulsives und anderes externalisierendes Verhalten bereits in der frühen Kindheit beginnen. Die Verhaltensstabilität (hohe vs. niedrige Probleme) wurde gut vorhergesagt durch Merkmale des Kindes und der Familie, aber es gab auch plausible Befunde zu den Verläufen von Verhaltensänderungen. Insgesamt unterstreichen die Ergebnisse die Notwendigkeit einer frühen entwicklungsbezogenen Prävention. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/cbm.2370
 
 
15) Auswirkungen von Ressourcenänderungen auf das Justizsystem
Viele der meistdiskutierten und einflussreichsten strafrechtlichen Reformvorschläge der letzten Jahre sind sog. „Ressourcenangriffe“. Sie schaffen ein Ungleichgewicht zwischen den zur Verfügung stehenden Ressourcen und den Ressourcen, die es braucht, um den Status quo aufrechtzuerhalten. Institutionen wie Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafgerichte müssen dann ihre Arbeit konzentrieren. Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass so die Zahl der Inhaftierungen und Strafverfolgungen deutlich gesenkt wurde. Reduzierte Ressourcen können zu geringen politischen Kosten führen, Steigerungen der Finanzmittel bewirken das Gegenteil. https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=5136917
 
 
16) Sexuelle Gewalterfahrung hat Auswirkungen auf Krebs
Sexuelle Gewalt wird mit einer Reihe negativer Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit in Verbindung gebracht. Eine Studie aus den USA zeigt erhöhte Raten von Gebärmutterhalskrebs bei Opfern von sexueller Gewalt. Opfer berichten über eine geringere Teilnahme an präventiven Gesundheitsmaßnahmen, die das Risiko für reproduktive Erkrankungen wie Krebs verringern können. Die Exposition gegenüber sexueller Gewalt wird auch mit verstärkten Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) und einer verminderten Selbstwirksamkeit bei der Traumabewältigung (TCSE) in Verbindung gebracht, zwei Faktoren, die sich auf das Ausmaß der Vermeidung von Gebärmutterhalskrebsuntersuchungen bei traumatisierten Personen auswirken können. https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/08862605241265431
 
 
17) Methodische Probleme in der Kriminologie
Kriminologen sind sich oftmals nicht über die Grenzen bestimmter Methoden zur Messung von Effekten oder Veränderungen bewusst. Die Konstruktion von Messgrößen basiert oftmals nicht auf modernen systematischen Methoden. Infolgedessen ist das Ausmaß, in dem bestehende Messgrößen methodische Grenzen haben, unbekannt. Diese Studie will diese versteckte Krise aufdecken und zeigt, wie man ein Maß für ein bekanntes kriminologischen Konstrukts durch moderne systematische psychometrische Methoden finden kann. Es geht um die Item-Response-Theorie zur Messung der Verfahrensgerechtigkeit in der Polizeiarbeit. Die Studie ist Open Access verfügbar: http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1199