Walter Gropp; Bernd Hecker; Arthur Kreuzer; Christoph Ringelmann; Lars Wittek; Gabriele Wolfslast (Hrsg.); Strafrecht als ultima ratio, Gießener Gedächtnisschrift für Günter Heine

Gropp, Walter; Hecker, Bernd; Kreuzer, Arthur; Ringelmann, Christoph; Wittek, Lars; Wolfslast, Gabriele (Hrsg.);  Strafrecht als ultima ratio.[1], Gießener Gedächtnisschrift für Günter Heine.[2]; ISBN 978-3-16-154565-8, 412 Seiten, Tübingen (Mohr Siebeck) 2016, 109.- Euro

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Mit der Gedächtnisschrift, die im Andenken an Günter Heine von seinen „Gießener Weggefährten“ herausgegeben wurde, wird in 25 Beiträgen auf 412 Seiten an einen (Straf-)Rechts­wissenschaftler erinnert, „dessen reichhaltiges wissenschaftliches Œuvre, welches durch das Leitmotiv, das Strafrecht ernst zu nehmen, es gerade deswegen auf das Durchsetzbare und auf das Wesentliche zu begrenzen, es eben als ultima ratio zu verstehen, geprägt erscheint.“ Eine kritisch-reflexive Grundhaltung, die angesichts immer häufigerer gesetz­geberischer „Parforceritte“, verbunden mit einer zunehmenden Verlagerung der Strafbarkeit vom Kern- hin zu einem Präventionsstrafrecht, heute allzu oft schmerzlich vermisst wird.[3]

In Deutschland war Günter Heine spätestens mit seinen Gutachten zum Deutschen Juristentag 1988 und seinen späteren rechtsvergleichenden Arbeiten im europäischen Kontext als Experte für Umweltstrafrecht anerkannt.[4] Lange Zeit gehörte er deshalb auch zum Redaktionsbeirat der Zeitschrift für Umweltrecht.[5] Diesen besonderen umweltstrafrechtlichen Bezug im wissen­schaftlichen Wirken des Geehrten stellen u. a. Michel Faure[6], der unter anderem auch den ersten „Nachruf“ auf den 2011 verstorbenen Heine veröffentlichte (vgl. Fn. 4), mit seinem Beitrag „Günter Heine und das Umweltstrafrecht in Europa“, Mauro Catenacci[7] mit seinem Beitrag „Die Straftaten gegen die Umwelt im italienischen StGB“ und Marianne Hilf[8] et al. mit deren Beitrag zur „Reform des schweizerischen Umweltstrafrechts“ her. Gleichzeitig wird hier schon der Bezug zur Rechtsvergleichung und der Kriminologie im Kontext einer „Gesamten Strafrechtswissenschaft“ deutlich, den Heine am Freiburger Max-Planck-Institut kennen und schätzen lernte. Er fühlte sich der Einrichtung und zugleich seinem dort forschenden akademischen Lehrer und Direktor des Instituts, Albin Eser, seit 1982 unter anderem als wissenschaftlicher Referent, verbunden. So war schon seine Dissertation im Jahr 1987 (vgl. Fn. 2) zur Tötung aus niedrigen Beweggründen „nach Denkrichtung und Methodik (strafrechtswissenschaftlich und) zugleich kriminologisch ausgerichtet“, wie Arthur Kreuzer (a. a. O. S. 237) feststellt. Ein weiterer Schwerpunkt im wissenschaftlichen Wirken Heines war die (strafrechtliche) Unternehmens­ver­ant­wortung, die mit dem Beitrag „Umweltstraftaten aus Unternehmen und besondere Pflichtenstellungen – gibt es Fortschritte?“ des Mitherausgebers der Gedenkschrift, Lars Witteck[9], gewürdigt wird.

Das Werk folgt in seiner weit überwiegend strafrechtlichen Ausrichtung, darunter sieben rechtsvergleichende Beiträge, keiner inneren Gliederung[10]. Dies ist jedoch unschädlich, denn jeder einzelne Beitrag ist gewichtig, sodass ich nur einige wenige stellvertretend in einer jeweils kurzen Würdigung bzw. mit einer Kontextuierung herausgreifen möchte.

Da ist zunächst der für eine Gedenkschrift ungewöhnliche, m. E. aber sehr gelungene zeitkritische Beitrag: „Gedanken zum Zeitgeist zwischen Freiburg und Dres­den – Ein Gespräch mit Günter Heine zu Beginn des Jahres 2016“ von Prof. Dr. Jörg Arnold[11], ein fiktiver philosophischer Dialog mit dem Verstorbenen über aktuelle und jüngere zeitgeschichtliche, rechtsphilosophische und gesellschaftspolitische Fragestellungen (wie z. B. „Pegida, AfD und Neonazismus“, „Verschärfungen des Rechts nach Köln“, „das Lächeln des Kapitalismus“ oder „anti-demokratische europäische Entwicklungen“), der den derart „in memoriam“ Geehrten auch für diejenigen, die ihn nicht persönlich kennenlernen durften, gegenwärtig werden lässt. Zu Wort kommt natürlich auch einer der akademischen Lehrer von Günter Heine, Albin Eser[12], mit seinem Beitrag zur „Reform der Tötungsdelikte. Zum Abschlussbericht der amtlichen Expertengruppe. Zugleich im Gedenken an Günter Heine.“ Dies ist schon deshalb folgerichtig, da Günter Heine als Mitglied eines Arbeitskreises deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer selbst im Jahr 2008 dezidierte Vorschläge zur Reform der vorsätzlichen Tötungsdelikte erarbeitet hat.[13] Arthur Kreuzer[14] widmet seinen sehr akzentuierten und kritischen kriminalpolitischen Beitrag ob des kriminalpolitischen Engagements des Geehrten dem „Opferschutz und aktuelle(n) Strafrechtsaus­wei­tungen“.

Günter Heine hat in weit über 200 Publikationen, Kommentierungen, Urteilsanmerkungen, Besprechungen und (Mit-)Herausgeberschaften auch die „Ge­samte Strafrechtswissenschaft“ befördert und befruchtet. Die lesenswerte Gedenkschrift seiner „Gießener Weggefährten“ erinnert zurecht an dieses engagierte wissenschaftliche Vermächtnis.

[1] Hier der Link zum Werk auf der Verlagswebsite: https://www.mohr.de/buch/strafrecht-als-ultima-ratio-9783161545658 (abgerufen am 13.11.2016)

[2] Heine, Günter (* 4. Juni 1952 in Ravensburg; + 25. Juni 2011 in Freiburg im Brsg.), Studium der Rechts- und Politikwissenschaften und der Soziologie an der Universität Tübingen, Promotion 1987 mit einer Arbeit zur „Tötung aus niederen Beweggründen“ an der Universität Freiburg i. Brsg., Habilitation mit einer Arbeit zur „Strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen“ in Basel im Jahr 1994, Lehrstühle an den Universitäten in Dresden, Freiburg und zuletzt in Bern (dort „Mitdirektor“ am Institut für Strafrecht und Kriminologie und Vorstandsmitglied der School for Criminology, International Criminal Law and Psychology), Mitkommentator des Standardkommentars Schönke/Schröder zum deutschen Strafgesetzbuch in der 26. – 28. Auflage.

[3] Gerade zuletzt ging das Bundesverfassungsgericht  im Rahmen eines Normenkontroll­an­trags des LG Berlin zum Rindfleischetikettierungsgesetz der Frage aus dem Weg, ob ein Gesetzesverstoß wie der gegen § 10 Abs. 1, Abs. 3 RindfleischEtikettierungsG als reines Formaldelikt ohne konkreten Bezug zu anerkannten Rechtsgütern dem Strafrecht als ultima ratio gerecht wird.

[4] Vgl. https://inecesecretariat.wordpress.com/2011/12/19/in-memorium-gunter-heine/ Nachruf auf Günter Heine, veröffentlicht von der Universität Bern (abgerufen am 13.11.2016).

[5] Vgl. z. B. http://www.zur.nomos.de/fileadmin/zur/doc/ZUR_04_01.pdf (abgerufen am 13.11.2016).

[6] Vgl. http://www.michaelfaure.be, abgerufen am 13.11.2016.

[7] Vgl. http://www.giur.uniroma3.it/?q=node/1833, abgerufen am 13.11.2016.

[8] Vgl. http://www.krim.unibe.ch/ueber_uns/personen/prof_dr_hilf_marianne_johanna/index_ger.html abgerufen am 13.11.2016.

[9] Bis zum Jahr 2015 Regierungspräsident a. D. in Gießen.

[10] Vgl. Vorwort und Inhaltsverzeichnis auf der Verlagswebsite des Mohr Siebeck Verlags unter https://www.mohr.de/uploads/tx_sgpublisher/produkte/leseproben/9783161545658.pdf abgerufen am 13.11.2106.

[11] Vgl. https://www.mpicc.de/de/home/arnold.html, abgerufen am 13.11.2016.

[12] Prof. em. Albin Eser  beschäftigt sich bereits seit seinem vielbeachteten Gutachten anl. des 53. Deutschen Juristentages im Jahr 1980 intensiv mit dieser Thematik.

[13] Vgl. Goldtdammer`s Archiv für Strafrecht, 155 (2008), S. 193 – 270, „Alternativ-Entwurf Leben“.

[14] Vgl. http://www.arthurkreuzer.de, abgerufen am 13.11.2016.

Rezensiert von: Holger Plank