Guido Limmer – Überführt – Spektakuläre Fälle der Kriminaltechnik

Limmer, Guido[1]; Überführt – Spektakuläre Fälle der Kriminaltechnik[2]; ISBN: 978-3-86883-164-1, 236 Seiten, riva Verlag, München, 2017, 19,99 €

Limmer legt eine (aus Datenschutzgründen verfremdete) kasuistische Sammlung unterschiedlicher Kriminalfälle vor. Dabei sind ihm weniger chronologische oder biografische Details, sondern vielmehr die gutachterliche kriminal­technische Bewertung der Spuren und die Darstellung der Bezüge zur naturwissenschaftlichen Forensik wichtig. Das unterscheidet das Buch in angenehmer Weise von den inzwischen zuhauf auf den Markt „geworfenen“ Autobiografien ehemaliger Kriminalisten, die mit unterschiedlicher Motivation ihr berufliches Lebenswerk zu reflektieren versuchen. Der Autor will auch kein fachwissenschaftliches Werk vorlegen, weshalb er diesbezüglich, jedenfalls hinsichtlich der beschriebenen forensischen Methoden und Werkzeuge, vereinzelt ein wenig kritisiert wurde. Andererseits, so die Kritik, „lässt das Buch einen mitfiebern, bietet einen Blick hinter die Kulissen der Kriminaltechnik und zeigt, wie die beteiligten Wissenschaftler wirklich arbeiten. Lieber(innen) der Serie „CSI“ dürften hier und dort ernüchtert werden – und realistischere Vorstellungen bekommen, als die Serie sie vermittelt.“[3]

Limmer legt gleichzeitig eine episodenhaft gestaltete „populär­wissen­schaftliche“ Sammlung jüngerer Kriminalfälle und ihrer Aufklärung mittels moderner naturwissenschaftlicher Forensik, gleichsam eine Fortsetzung des „Neuen Pitaval“[4], wie auch eine „essayistische“ Abwandlung klassischer Detektivgeschichten, Hauptdarsteller allerdings nicht Sherlock Holmes oder seine zahlreichen romanesken Kollegen, sondern eine (gewollt) namenlose Schar hochspezialisierter, ausschließlich der strengen wissenschaftlichen Logik folgender, vorbildlich interdisziplinär im gut bestellten „Krimi­naltechnischen Institut“ des Bayerischen Landeskriminalamtes zusammenar­beitender, wissen­schaftlich ausgebildeter Forensiker und verbeamteter Kriminaltechniker, vor. Dabei bemerkt man seinen durchaus berechtigten Stolz auf die von ihm acht Jahre geleitete Abteilung und seine annähernd 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in insgesamt elf forensischen Sachgebieten p. a. durchschnittlich rund 30.000 Untersuchungsanträge gutachtlich spurentechnisch forensisch bewerten. Das ist wahrscheinlich auch der Umstand, auf den die o. g. Kritikerin (vgl. Fn. 3) mit den Worten: „Limmers Sprachstil wirkt gelegentlich pathetisch bis gestelzt: ‚Es ist ein ungleicher Kampf, will man meinen, insbesondere wenn man nach der Lektüre dieses Buchs erkannt hat, mit welcher Macht, Ausdauer und geballter Kraft die Exekutive zu agieren vermag.’ Hier dürfte dem Autor die Leidenschaft fürs Thema durchgegangen sein“ hingewiesen hat – wer will es ihm verdenken?).

Der Autor bietet aber auch ein Kompendium, ein m. E. empfehlenswertes, bewusst einfach gehaltenes aber anwendungsbezogen durchaus wertvolles kasuistisches „Lehrbuch“ krimina­listischer Heuristik und Syllogistik und der forensischen Methodik der Verifizierung bzw. Falsifizierung derartig erzeugter Hypothesen als Grundlagenwerk für angehende Kriminalisten an. Fallbezogen wagt er dabei einen wie ich meine gelungenen „Parforceritt“ durch die forensische Landschaft der Physik, Chemie, Biologie, Medizin, Mathematik, Phonetik und ihrer kriminaltechnischen Derivate „Serologie, Toxikologie, Daktyloskopie, Formspuren, Urkunden und Handschriften sowie der forensischen Informations- und Kommunikationstechnik.“ Dabei hinterfragt er mitunter durchaus berechtigt und kritisch strafprozessual bedeutsame Umstände, wie die der Unabhängigkeit und Objektivität staatlich beschäftigter Gutachter und deren möglicher Befangenheiten, bspw. im Zusammenhang mit der staatlichen Aufklärungs­pflicht bei Straftaten, und verweist hierbei auch auf unterschiedliche Erfahrungen anderer Länder (z. B. nach der Auflösung des staatlichen „Forensic Science Service“ in GB im Jahr 2011 – dort bearbeiten inzwischen zahlreiche privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen die Spurenaufträge mit unterschiedlichem Erfolg). Verpackt sind die forensischen Lektionen in anonymisierte, veranschaulichende Kurzgeschichten über tatsächliche Kriminalfälle, die jedoch im Einzelnen hier nicht der Vorstellung bedürfen, da sie nur das „Fluidum“ für die Forensik / Kriminaltechnik bieten.

Kurzum, ein kurzweiliges kriminalistisches („Fach“-)Buch mit angemessenem Preis-Leistungs-Verhältnis, das schnell, ggf. auch nebenbei gelesen werden kann (der Rezensent hat es bspw. auf meinem Nachttisch liegend in drei oder vier Tagen „konsumiert“). Inhaltlich ist es trotz seines allgemein gehaltenen, populärwissenschaftlichen Charakters und gelegentlicher Unschärfen dennoch nicht zu unterschätzen, es gilt hierbei auch für scheinbar erfahrene Kriminalisten fachlich vor allem der zweite Halbsatz des alten von Bacon überlieferten und auf Plutarch zurückzuführenden Grundsatzes „audacter calumniare, semper aliquid haeret!“.

[1] Guido Limmer, Rechtswissenschaftler, Polizeivizepräsident beim Polizeipräsidium Schwa­ben Süd-West in Kempten im Allgäu, Bayern, langjähriger Leiter (2009 – 2016) der Abteilung II, Kriminaltechnisches Institut, des Bayerischen Landeskriminalamtes.

[2] Hrsg. bei riva , Münchener Verlagsgruppe GmbH, zuletzt abgerufen am 19.08.2017. Unterstützt wurde Limmer hierbei durch den Münchener Journalisten, Gerichtsreporter und Autor Michael Gösele

[3] Spektrum der Wissenschaft, Rezension von Katharina Schmitz, 26.04.2017.

[4] Begriff zurückzuführen auf François Gayot de Pitaval (* 1673, + 1743, französischer Jurist und Autor) und dessen 1738 erstmals herausgegebener, insgesamt zwanzigbändiger Sammlung „Causes Celebres et interessantes, avec Les Jugements qui les ont decidées“, die damals zunächst als juristische Fach-, später auch als allgemeine Publikumslektüre diente und in dieser Literaturform und -gattung über viele Jahre als sogenannte „Pitaval­geschichten“ großen Anklang in der Gesellschaft fand. Der „Neue Pitaval“, in Stil, Inhalt und Aufmachung an das Original angelehnt, in den Jahren 1842 – 1890 von Julius Eduard Hitzig und Wilhelm Häring, fortgeführt von Willibald Alexis, in insgesamt sechzig Bänden herausgegeben, enthielt 600 dokumentarerzählerische Darstellungen von Kriminalfällen, die „nach Justizakten oder anderen Überlieferungen für ein Publikum bearbeitet wurden, das sich weniger für die Aspekte der juristischen Verfahren als vielmehr für die Biografien der Täter(innen) sowie für die psychologischen, sozialen und historischen Umstände ihrer Taten interessierte und dabei vor allem auch spannend-lehrreiche Lektüre anzubieten versuchte“ (Quelle: Wikipedia, Stichwort: „Der neue Pitaval“). Auch in der Neuzeit gab es noch einige weitere, minder erfolgreiche Versuche, diese Literaturgattung des „Pitaval“ fortzuführen.

Rezensiert von: Holger Plank