Benno Zabel – Ordnung des Strafrechts. Zum Funktionswandel von Normen, Zurechnung und Verfahren

Zabel, Benno Prof. Dr. B. A.[1]; „Ordnung des Strafrechts. Zum Funktionswandel von Normen, Zurechnung und Verfahren.“ [2]; ISBN: 978-3-16-154372-2, 831 Seiten, Mohr Siebeck Verlag, Tübingen, 2017, Reihe Jus Poenale, Band 11, 139.– €

Prof. Dr. Zabel beschreibt mit seiner Habilitationsschrift einen tiefgreifenden Wandel materiellen und – damit unmittelbar einhergehend – auch formellen Straf(prozess)rechts. Er markiert dabei eindrucksvoll und tiefgreifend die „Kraftfelder“ Rechtsetzung in der Form progressiver Kriminal­politik, (Straf­rechts-)Dogmatik und Rechtsprechung. Diese wechselseitigen Einflüsse auf­einander und daraus entstehende evidente Spannungen als unmittelbare Folgen dieses grundlegenden Wandels brächten auch ein „neues Verhältnis zwischen Staat, Gesellschaft und Strafrecht“ mit sich. Der Staat „beschränke sich dabei nicht mehr auf imperative oder punitive Steuerungstechniken“, sondern agiere zunehmend mit „informellen oder kooperativen Formen der Rechtsgestaltung“ und werde so zum „Doppelstaat“, einerseits „Interventions-“, andererseits „Kooperations­staat“. Es werde außer­dem immer weiter „der strikte Tat­schuldbeug (Zurechnung) durch eine dynami­sche Konfliktbewältigung aufge­lockert“. Das Strafrecht – und dieser Begriff ist m. E. in dieser Ausprägung durchaus neu – werde damit zu einem „Unsicherheits­be­herrschungs­strafrecht“, zu einem Strafrecht umfassender sozialer Kontrolle, welches sich einer doppelten Herausforderung gegenüber­sieht:

„Einerseits Autonomie und Freiheit zu garantieren, gleichzeitig aber den wachsenden Sicherheitsbedürfnissen der gesellschaftlichen Akteure gerecht werden zu müssen (S. 9)“.

Es liegt dem Rezensenten fern, Zabels kluge, detailreiche und umfassende Darlegung des Spannungsfeldes zwischen der grundlegenden Veränderung gesellschaftlicher Rahmen­bedingungen und daraus rechtsseitig resultierender Verwerfungen zwischen strafrechtsdogmatischer „Ordnung des Strafrechts“ (insbesondere in den Bereichen Rechtsgüterschutz, Zurechnung, Schuld, Strafe unter Anwendung  gleichermaßen retributiver Sanktions- wie auch kooperativer Ausgleichsprozeduren im Prozessrecht und einer erkennbaren „Hybridisierung“ des Verfahrens) und praktischer kriminalpolitischer Rechtssetzung und -an­wendung  inhaltlich oder formal „bewertend“ zu besprechen. Es handelt sich – nicht nur wegen des beachtlichen Umfangs – wahrlich um ein themen­spezifisches Opus Magnum des ius poenale und eine bewertende Einschätzung dieser Forschungsarbeit durch den Rezensenten hieße bestenfalls „Eulen nach Athen zu tragen!“ Aufgrund des Facettenreichtums, beispiel­hafter Tiefe und herausragender Ordnung des Werks wäre dies in der gebotenen Kürze einer Buchbesprechung für einen Buch-Blog dieser Gestalt nicht nur persönlich, sondern auch inhaltlich vermessen, weswegen die Besprechung – mit der Ausnahme einiger weniger eigener Kommentare – hauptsächlich beschreibender Natur ist.

Vielleicht nur so viel, es ehrt den Wissenschaftler m. E. im Besonderen, dass er viele sehr bedeutsame und daher des Nachdenkens werte Fragen aufwirft, diesbezüglich aber nicht einseitig Stellung bezieht und für viele der geschilderten und sehr komplexen Problemstellungen zwar tiefgreifende und detailreiche Analysen aber keine umfassenden Lösungsansätze anbietet. Dieser Ansatz ist bemerkenswert und nach meiner Beobachtung auf dem strafrechts­kritischen Markt eher neu. Deutlich wird am Beispiel dieses Werkes wie auch bei anderen in jüngerer Zeit herausgegebenen Büchern (vgl. z. B. nur die Besprechung von Andrisseks „Vergeltung als Strafzweck“ im Buch-Blog des PNL) die notwendige Unterlegung der Dogmatik strafrecht­licher Sozialkontrolle durch begleitende empirische Elemente (etwa i. S. einer „Gesamten Strafrechts­wissenschaft“ Jescheck’scher Prägung[3]), mindestens im Bereich der Strafzweck­lehre, m. E. aber auch im Bereich des ausgeweiteten Rechtsgüterschutzes.[4]

Im ersten Teil des Buches, unter der Kapitelüberschrift „Fluchtlinien“, disku­tiert Zabel beispielhaft eine „Reihe kontroverser Konstellationen straf- und strafprozessrechtlichen Rechtsgüterschutzes“ als Grundlage für die in diesem Kapitel folgende Darstellung von „Aporien der aktuellen Verfahrenspraxis“. Darunter sind z. B. die „Legitimationsmodelle“ des relativ neuen und in präventiver Hinsicht tatbestandlich gefahrenabwehrrechtlich vorverlagerten Staatsschutzdeliktes des § 89 a StGB – „Vorbereitung einer schweren staats­gefährdenden Gewalttat“ (inzwischen noch um Vorbereitungs- bzw. Finanzie­rungstatbestände der §§ 89 b – „Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsge­fährdenden Gewalttat“ und 89 c StGB – „Terrorismus­finanzierung“ erweitert), des neuen und zuletzt i. Z. m. dem 55. StÄG zum Wohnungseinbruchdiebstahl erneut in seinem Abs. 2 Nr. 1 g erweiterten § 100 g StPO – „Erhebung von Verkehrsdaten“, die Ausgestaltung der Untersuchungs­haft als „Präventivhaft“ durch den Haftgrund der Wiederholungsgefahr, § 112 a StPO,  die Struktur der (nachträglichen) Sicherungsverwahrung, § 66 b StGB – auch im Zusammenhang mit der „Erledigungserklärung“ in § 67 d Abs. 6 StGB sowie einem Exkurs zur Variante des „Therapieunterbringungsgesetzes“, strafprozessuale „Verständi­gungs­möglichkeiten“ und „Opportunitäts- und Wiedergutmachungsregelungen“, wie z. B. § 257 c StPO („Deal“), § 153 a StPO (den der Autor auch mit dem Begriff der „Verdachtsstrafe“ belegt, S. 140),        § 155 a StPO  i. V. m. der fakultativen Strafzumessungsvorschrift des § 46 a StGB.

Aus dieser einleitend bewusst beispielhaften, fragmentarischen Analyse „strafrechtlicher Sozialkontrolle“, allerdings durchaus mit „paradigmatischem Charakter“, wie der Autor bemerkt, entwickelt er die zunächst unkommentierte Fest­stellung evident „gegenläufiger Tendenzen innerhalb des Systems Strafrecht (…), nämlich an Kooperation und konsensualem Ausgleich orientierter Strate­gien (‚Governance of Crime’) auf der einen und an punitiven, häufig kontra­diktorisch (mitunter aber auch als ‚Amalgam’ auftretend) ausgerichteten Norm­stabilisierungskonzepten (‚Culture of Control’) auf der anderen Seite.“ Dadurch werde die augenscheinlich und an der „gesetzlichen Oberfläche homogen er­scheinende Rechtsgewähr­leistungs­matrix konfliktregional und normbereichs­spezifisch akzentuiert“. Das „Rechts­durch­setzungs- und Anwen­dungs­kalkül klassi­schen Strafrechts erfahre einen fortschreitenden (und grund­legenden) Um­bau“, nicht nur durch die „Ver­knüpfung von kriminalpolitischem Angst­diskurs und herkömmlichen Freiheits­grundrechten“, also auch z. B. durch eine bewusste Reflexion auf die (mutmaß­lichen) Interessen der betroffenen Akteure. Hierbei handele es sich – in Anlehnung an Hassemer – nicht mehr nur um eine „Anpassungsleistung der Moderne“, sondern vielmehr um einen „grundlegenden Funktionswandel“, eine bewusste Abkehr[5] von dem „leviathanischen Staat hob­bes­ianischer Provenienz“. Das veranlasst Zabel natürlich unmittelbar zu der Frage, welche Konsequenzen sich – trotz bundesverfassungsgerichtlich immer wieder bestätigter weiter kriminalpolitischer Gestaltungsspielräume für den Ge­setz­geber (Prärogative) – aus diesen inzwischen klar zutage tretenden zwei „sich ergänzenden oder auch diametral gegenüberstehenden Organisations­prinzipien (…) für das verfassungs­rechtliche Arrangement des Gewaltmonopols, insbe­sondere für die Darstellung und Legitimation des staatlichen Strafan­spruchs“, des Anspruchs an den Staat als „Garant des ethischen Minimums“ ergeben. Übrigens, so Zabel, werde damit das „Konzept des Rechtsgüterschutzes“, auch „ver­standen als Theorie der Sozialschädlichkeit“ nicht grds. in Frage gestellt (S. 130, 135). Eine der zentralen Aussagen des Autors im ersten Kapitel ist dabei, dass

„die Diversifikationstendenzen strafrechtlicher Rechtsgewährleistung“ zeigen, dass „Kriminalpolitik, Gesetzgebung und Dogmatik in zunehmendem Maße statt von einer systematisch-individualisierten Tat- von einer multi-perspektivischen Konfliktorientierung des Strafrechts ausgehen und so den veränderten gesell­schaftlichen Rahmenbedingungen gerecht werden wollen.“

Das deutet der Autor zunächst überhaupt nicht per se negativ – und hierin liegt ein Mehrwert der Darstellung Zabels gegenüber den jüngeren und üblicherweise sehr kritisch gehaltenen Darstellungen der Veränderung klassischen Strafrechts in der Moderne – , da in einem derartigen „zweidimensionalen Konflikt­lö­sungs­mo­dell“, in dem neben das herkömmliche, ‚vertikal-imperative Mandat’ ein ‚horizontales’ – oder eben ‚kooperatives Mandat’ – tritt, neue Möglichkeiten der strafrechtlichen Rechtsgestaltung und Rechtsdurchsetzung entstehen.“ In einer multipolaren, komplexen und zunehmend individualisierten Gesellschaft, so der Autor, gebe es „den strafenden Staat heute ebenso wenig wie den öffentlichen Strafanspruch“, denn „beide Ordnungskonzepte seien inzwischen norm- und interessenbezogen kontextualisiert.“ Das Strafrecht der Moderne sei eben „gleichermaßen integrativ und repressiv, solidarisierend und unterwerfend“, wobei diese Ausrichtung mit dem „Phänomen des ‚Wertestabiliserungsauftrags’ des Strafrechts einhergehe.“

Insbesondere sachleitend bei diesem Gedanken sind die zunehmend indi­vidualisierte Gesellschaft bei weitreichendem Verlust der Bedeutung bisher wertsetzender bzw. -stabilisierender Instanzen[6], die sich daraus für den Gesetz­geber augenscheinlich ergebende Logik der notwendigen Anpassung an (unter­stellte) Bedrohungslagen und auch das hervortretende Regelungsziel „opferbe­zogener Ergebnisgerechtigkeit“ (S. 139) sowie die damit verbundenen (dogma­tischen und praktischen) Risiken der Abkehr von wichtigen Organisations­prinzipien. Genannt werden sollen hier z. B. nur das Ultima-Ratio-Prinzip des Strafrechts, z. B. durch eine zunehmende Instrumentalisierung, ja Affinität des Gesetzgebers ggü. dem Typus der abstrakten Gefährdungsdelikte als Vorfeldkri­mi­nalisierung[7], der Ausbau der Verwaltungs­akzessorietät des Norm­bestandes z. B. im Umweltstrafrecht in Abhängigkeit von außerstraf­rechtlichen Risikobe­wertungen, der logische Ausbau der Berücksichtigung konfliktaus­gleichender Regelungsmechaniken im Strafrecht und „normativer wie auch institutioneller Verschiebungen im (Macht-)Gefüge, weg vom Normalverfahren hin zum „kur­zen Prozess“ unter Inkauf­nahme einer „Verpoli­zeilichung“ (S. 144), Ökonomi­sierung bzw. Funktionali­sierung leitender straf­rechtlicher Orga­ni­sationsprin­zipien i. Z. m. dem Prozess­modell (die Zabel auch mit dem Begriff der „Hybri­disierung“ umschreibt).

Im zweiten Teil der Untersuchung entwickelt Zabel unter der Überschrift „Analysen“ auf der Basis der im ersten Teil gewählten Problemfelder die „rechtsgutbezogene Interventionsstruktur“ des Strafrechts und die sich daraus ergebende Logik der „Kriminalpolitik eines derart (post-)reformierten Ver­fahrens“. Vorgestellt werden die normativen Rahmenbedingungen der derzei­tigen Verortung der (strafrechtlichen) Verbrechenskontrolle innerhalb der Ge­samt­rechts­ordnung, insbesondere deren zunehmende kategoriale Beein­flussung, ja Funktionsverschränkungen durch / mit andere(n) Normbereiche(n) wie das / dem Polizei-, Zivil- und Ordnungs­widrig­keitenrecht, wobei sich damit Begründungs­muster[8] z. T. modifizieren und sich Überlappungen und Grenz­verwischungen ergeben müssen. Der Autor bezeichnet diese damit entstehende „systemische Dynamik“ des Strafrechts mit den z. T. konfligierenden (man denke nur an die zunehmende Vermischung der Begriffe „Verdacht und Gefahr“ oder „Maßregel und Strafe“ etc.) Regelungsmaterien auch als „unscharfe Arrangements“. Er beschreibt dabei sehr kenntnis- und quellenreich insbesondere den Paradigmenwechsel der „Ausweitung der Tat- zu einer dynamischen Konfliktzurechnung“ und die sich daraus ergebende systemische „Herausforderung für das Strafrecht, Autonomie und Freiheit gleichermaßen zu garantieren, gleichzeitig aber den wachsenden Sicherheits­bedürfnissen der gesellschaftlichen Akteure gerecht werden zu müssen“ und entwickelt daraus den bereits o. g. und m. E. dergestalt neuen Begriff eines „Unsicherheits­beherrschungsstrafrechts“, vor allem auch über die zunehmende „Instru­mentalisierung“ der Deliktsform „abstrakter Gefährdungsdelikte“ (S. 557 ff.). Derart definierte Risiken statt (konkreter, hinreichend wahrscheinlicher) Ge­fahren werfen daneben aber vor allem das strukturelle Problem geeigneter (Kriminal-) Prognose­instrumentarien auf.

Im dritten Kapitel, das unter dem Begriff „Perspektiven“ firmiert, legt Zabel, bevor er mit 20 Thesen seine Untersuchung formal abschließt, seine „Lesart“ des in den voran­gegangenen Kapiteln herausgearbeiteten „Kerns normativer Über­legungen“, der dem so von ihm bezeichneten modernen „Strafrecht des Über­gangs“ (S. 699) zugrunde liegt, also die derzeitige „Ordnung des Strafrechts“ abschließend aus. Dabei widmet er sich auch der Frage, welcher Begriff des Strafrechts und der Strafrechtswissenschaft einer reflektierten Dogmatik zugrunde liegen müsste. Dazu leitet er das Kapitel mit einer interessanten Reihe von Feststellungen zu einer sich „paradigmatisch hauskris­tallisierenden strukturellen Ambivalenz des Strafrechts[9] als Teil einer hoch komplexen Rechts- und Normenordnung“ und einem offenkundig „veränderten Verständnis[10] von dem, was wir (strafenden) Staat – hoheitliche Gewalt – und Gesellschaft“ begreifen, ein:

  • Eine „aufgeklärte Kriminalpolitik“ (im Übrigen ein seit Lüderssen[11] zeit­weise verschollener Begriff) sei häufig mit problematischen Interessen und Effekten verknüpft, z. B. mit einem latent gesteigerten „Symbol­überschuss“ vieler Ge­setze und auch mit einem ressourcenorientiertem Inter­ventionsmanagement,
  • grundsätzlich begrüßt werde aber der zunehmende Schutz der (sexuellen) Selbstbestimmung, der Ausbau der Opferrechte, wenngleich die gesetzlichen Umsetzungen partiell zu kritisieren seien und
  • (unter Verweis auf Hassemer) der Ausbau des Strafrechts zum „Sicher­heits-Strafrecht“[12] sei keinesfalls rundweg abzulehnen, sondern als Signa­tur eines neuen, durchaus riskanten Gesellschaftsschutzes avisiert, was aber nur eine Seite der Medaille darstellt, denn
  • eine inzwischen gleich mehrfache gesellschaftliche Emanzipation gehe einher mit einer Ergänzung des statisch-hierarchischen durch ein „dynamisch-heterarchisches“ Ordnungsmodell[13], schon weil gerade „die (derart verfasste moderne) Gesellschaft als Raum bürgerlicher Freiheiten und ökonomischer Interessen eigene Werte generiere und damit (gleich­zeitig) die staatliche stabilisierte Rahmung allgemeinverbindlicher Über­zeugungen lockere“.

All diese Feststellungen hätten „Konsequenzen für die Verfassung der Werteordnung, namentlich für das hoheitliche Ordnungsversprechen und das individuelle Ordnungsverlangen, was an dem Sicherheitsparadigma deutlich werde“.[14] So verändere sich auch per se das Verhältnis zum Sicherheits­garanten (und hier ist dann das Gewaltmonopol im Kern berührt) indem die bisherige „Allianz von Staat, Ordnung und Sicherheit durch die immer selbstbewusster auftretende bürgerliche Gesellschaft (und deren Sicherheits­bedürfnisse) er­weitert werde. Sicherheit (als in seiner Struktur unklarer werdender Begriff) erfährt damit – in „Konkurrenz zur Freiheit und Autono­mie“ – eine ganz andere Bedeutung in der gesellschaftlichen Werteordnung. Insofern sei die Herausbildung eines (auch symbolischen) „Sicherheitsgewähr­leistungs- oder Kohärenzstrafrechts “[15] nur logisch. Diese unterliege aber dem Primat „gegenseitiger Anerkennung“, welche insofern „konstitutives Merkmal jeder Rechtsordnung“ sei (S. 710).

Strafrecht mit seinem sozialethischen Tadel, dies kann aber im Einzelfall durchaus dogmatisch kritisch werden, wird in seinen Bestandteilen „Unrechts­bewertung (Unrechtsurteil), Schuldzurechnung (Schuldurteil) und Strafver­hängung (Übelszufügung) auch zu einer „umfassenden Interessenkom­munikation“. Denn, der „Tadel als Botschaft“ richte sich sowohl an den Täter als auch an das konkrete und potentielle Opfer. Dogmatisch darf aber nur die tatgerechte Wiederher­stellung der Anerkennungsordnung, also das Vertrauen in das geltende Recht, im Fokus des täterbezogenen Zuschreibungsschemas stehen. Dementsprechend stelle der Schuldspruch (in einem öffentlichen Ver­fahren prozeduralisiert – insofern reflektiert der Autor durchaus kritisch auf die §§ 153 und 153 a StPO sowie auf sogenannte „Urteilsabsprachen“ à Zabel bezeichnet diese Kategorien als mit einem „Effekt [verbunden], mit dem die symbolische Bedeutung der Strafe durch eine ausgehandelte Expressivität erreicht werden soll“ –  und unter Sicherstellung, dass jegliche Instrumentali­sierungs­effekte ggü. dem Täter ausgeschlossen und gleichzeitig die Interessen der Verfahrens­beteiligten als rechtskonstitutive Verfahrens­inte­ressen verstanden werden) nach wie vor die normative Referenzgröße des Strafrechts dar!

Abschließend widmet sich der Autor nochmals der Ausdeutung und Gewichtung sowie dem notwendigen Ausgleich zwischen den beiden zentralen gesellschafts­begründenden und -­stabilisierenden Begrifflichkeiten „Freiheit und Autonomie“. Insbesondere stellt er fest, dass „die Existenz oder auch nur die Behauptung von Unsicherheit, Angst und Kontingenz, von Gefahren und Risiken, zu diesen Freiheiten und Autonomien dazugehöre“, schon deshalb, wenn sich daraus eine modifizierte „Normativität, welche den Sicherheitsaspekt der Freiheit stark zu Lasten der individuellen Autonomie verschiebe“, ergebe. Kritisch bei derartigen Verschiebungen / „Umwidmungen des klassischen Tatbewältigungs- zu einem Konfliktverarbeitungsmodell“ sei aber z. B. die in einem derartigen Ansatz notwendig starke Orientierung am „Rechtsfrieden, der dann – jedenfalls teilweise – die wahrheitsorientierte Strafgerechtigkeit zugunsten einer gesellschaftlich (mehr oder weniger) akzeptierten Kriminali­tätskontrolle“ ersetzen wolle.

All die genannten Freiheitsformen sind als Legitimationsfunktion des Strafrechts allerdings nicht generell abzulehnen, so Zabel. Sie sind vor allem durch Kriminalpolitik, Wissenschaft und Rechtsprechung zu konkretisieren und in ihren Grenzen zu bestimmen (Zabels abschließende These 19). Ein Grund mehr für die institutionelle Etablierung einer „Gesamten Strafrechtswissen­schaft“ und einer diese Erkenntnisse dann notwendigerweise rezipierenden, somit ausgewogen beratenen Kriminalpolitik.

Die Forschungsarbeit von Prof. Dr. Zabel ist in Stil, Gliederung, Präzision, Quellenreichtum und argumentativer Klarheit bemerkenswert. Ihre Kernaussagen zeugen von einer tiefgreifenden (fast [rechts-]soziologischen) Analyse und einem fundierten Verständnis unserer modernen, immer heterogener werdenden Gesellschaft, weit über die titelgebend apostrophierte normative „Ordnung des Strafrechts“ hinaus. Das quellenreiche Werk und viele seiner fundierten Aussagen und Hypothesen eignen sich meines Erachtens auch als (sehr umfangreiches) und daher nützliches Grundlagenwerk, ja als Kompendium für künftige wissenschaftliche (dogmatische und anwendungs­orientierte prak­tische) Strafrechtsforschung. Es hat jedenfalls mich sehr angesprochen, ja teilweise inhaltlich „gefesselt“ und erhält daher einen „würdigen“ Platz – jedenfalls in meiner privaten (Fach-)Bibliothek!

 

[1] Prof. Dr. iur., B. A., Lehrstuhl für Strafrecht an der Universität Bonn, zuletzt abgeru­fen am 06.09.2017.

[2] Vgl. Website des Mohr Siebeck Verlags, Tübingen: https://www.mohr.de/buch/die-ordnung-des-strafrechts-9783161543722, sowie Inhaltsverzeichnis, zuletzt abgerufen am 07.09.2017.

[3] „Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach“ am MPICC in Freiburg. So verteidigt Zabel (S. 703) auch ausdrücklich die „Vorstellung von einem Strafrecht und einer Straf­rechts­wissenschaft, deren theoretisches und praktisches Niveau immer wieder neu erkämpft werden müsse.“

[4] Nicht nur deshalb, weil Zabel (S. 700) die „(Re-)Moralisierung des Strafrechts“ unter Ver­weis auf die inzwischen zahlreichen „Verhaltens- Gefühls- und Tabuschutzdelikte“ (vgl. hierzu z. B. auch die 2005 bei Vittorio Klostermann herausgegebene Habilitationsschrift von Tatjana Hörnle, „Grob anstößiges Verhalten“) als weitere „Signatur des Wandels“ erwähnt. So stellt er in seiner abschließenden These Nr. 14 (S. 727) heraus, dass „das Besondere am Rechtsgüterschutzversprechen des Strafrechts darin bestehe, dass es – in dem Maße, in dem die traditionelle Moral- und ‚Werteproduktion’ an Bedeutung verliere – zur Kompensation herangezogen werde. Die Aufgabe bestehe darin, gesellschaftliche Kohärenz (…), die Durchsetzung von anerkannten normativen Orientierungen zu erzeugen. Gerade, weil moderne Gesellschaften aufgrund ihres Wertepluralismus nur noch über eine beschränkte Integrationskraft verfügten, wird das ‚Kohärenzerhaltungspotential’ zu einem (neuen) Marken­zeichen des Strafrechts.“

[5] Vielleicht ist dies angesichts einiger rasanter Entwicklungen gerade auch i. Z. m. der internationalen Vernetzung und „Computerisierung der Gesellschaft(en)“ für den Nationalstaat gar nicht mehr anders machbar. Hierzu ein lesenswerter Gedankenansatz aus der Süddeutschen Zeitung vom 04.09.2017 unter dem Titel „Juristerei und Netz – Schalt ab“, welchen Zabel (S. 135) dann analog unter dem Begriff „Praktiken der Criminal Compliance und internal investigation“ bezeichnet.

[6] In dem Maße, so der Autor, in dem traditionelle Wertsysteme wie Religion oder Moral usw. nicht mehr allgemeinverbindlich durchgesetzt werden können und deren Institutionen zunehmend an Bedeutung verlieren, erhält gerade die Strafnorm diese Funktion (erste These). Dergestalt lässt sich modernes und neu justiertes Strafrecht auch als dynamische Anerkennungsordnung (zweite These) bezeichnen und entfaltet diese gesellschafts­stabilisierende Wirkung, allerdings verbunden mit dem Dilemma, „als Ordnungsgarant gleichermaßen das Potential zur Freiheitsermöglichung und zur Freiheitsverletzung zu haben.“

[7] Obgleich abstrakte Gefährdungsdelikte dem Strafrecht nie fremd waren (z. B. im Bereich der Straßenverkehrs- und Brandstiftungsdelikte), allerdings, so der Autor, „signifikant sei (inzwischen) die Karriere dieser Deliktstypen zum umfassend eingesetzten Instrument der Kriminali­tätsbewältigung“ (S. 700).

[8] Alleine diese externen Einflüsse, die Macht dieses modifizierten Ordnungsarrangements, zeigt die Bedeutung auf die Selbstorganisation und die daraus resultierende erhebliche Anpassungsleistung des Strafrechts (S. 697).

[9] Dies sei jedoch nichts, was das Strafrecht erst in jüngster Zeit in besonderer Weise kennzeichnen würde, sondern sei in der Strafrechtskulturgeschichte mehrfach zu beobachten gewesen.

[10]  Der Staat sei in diesem Sinne inzwischen als „Doppelstaat“ zu deuten, nämlich „erstens als ‚machthabender Staat’, der sein Gewaltmonopol weiterhin für die interventionistische Absicherung der (individuellen) Rechtssphären nutzt, und zweitens, als ‚Herrschafts­manager’, der Räume der Kooperation schaffe“, wobei der Autor hierbei insbesondere auf die „vielen Formen der Gouvernance“ reflektiert. Außerdem sei die modifizierte „Deutung und Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft“ zu beachten und die sich daraus ergebende „Neujustierung des Staat-Gesellschaftsverhältnisses“.

[11]  Hier unter Verweis auf das fünfbändige, 1778 Seiten umfassende gleichnamige Werk von Lüderssen, welches bei NOMOS 1998 erschienen ist.

[12] Obwohl der namhafte Frankfurter Strafrechtswissenschaftler Naucke an anderer Stelle (KritV, [93] 2010, Heft 2, S. 129 – 136, „Die robuste Tradition des Sicherheitstrafrechts“) rechtsstaatliches Strafrecht als „eigenständiges Rechtsgebiet, das als negatives Strafrecht dem Sicherheitsstrafrecht entgegentrete“, dargestellt hat.

[13] „Staat und Gesellschaft, Machtautorität und Privatsubjekt stünden nicht mehr nur in einem Subordinationsverhältnis, wofür ursprünglich das Modell der subjektiven Abwehrrechte begründet wurde. Keineswegs gleichrangig, aber doch wichtiger, würden nun (unter diesen Bedingungen einer modifiziert verfassten Gesellschaft) staatlich moderierte Aushandlungs­formen“, die Zabel als „Handeln im Schatten der Hierarchie“ bezeichnet.

[14]  An dieser Stelle weist Zabel zurecht auf das Paradox hin, dass Sicherheit „ex negativo einen Zustand des Unbedrohtseins, die Abwesenheit von Gefahr“ beschreibe, Sicherheit sich aber gleichsam als „anthropologische Grundkonstante (kaum jemals) als empirisch darstellbares (Un-)Sicherheitsniveau mit dem subjektiven (Un-)Sicherheitsgefühl in Deckung bringen lasse.“

[15]  Kohärenz oder Kohärenzstimmungen in einer Gesellschaft zu erzeugen, so der Autor, die als „zunehmend inhomogene und kulturell ausdifferenzierte über vergleichsweise wenige gemeinsame Wertüberzeugungen verfüge“, werde aktuell auch zu einem „Markenzeichen des Strafrechts“. (…) So werde „(Rechts-)Sicherheit an ein wie auch immer verstandenes ‚sozialethisches Minimum’ (vgl. zum Begriff Georg Jellinek, in: Enzyklopädie zur Rechts­philosophie, Erläuterung unter II. Werke), an eine Ordnungsvorstellung geknüpft und somit gemeinhin Norm- und Gesellschaftsstabilisierung“ zu artikulieren. „Normative Orien­tierung eines Gemeinwesens – an dieser Einsicht führe nichts vorbei (so der Autor) – impliziere nunmehr rechtliche Orientierung.“

Rezensiert von: Holger Plank