Hans-Jürgen Papier / Ursula Münch / Gero Kellermann (Hrsg.) – Freiheit und Sicherheit. Verfassungspolitik, Grundrechtsschutz, Sicherheitsgesetze

Papier, Hans-Jürgen Prof. Dr. [1] / Münch, Ursula Prof. Dr. [2] / Kellermann; Gero Dr. [3] (Hrsg.); Freiheit und Sicherheit. Verfassungspolitik, Grundrechtsschutz, Sicherheitsgesetze [4]; ISBN: 978-3-8487-2136-8, 158 Seiten, Nomos-Verlag, Baden-Baden, Reihe: Tutzinger Studien zur Politik, Band 8, 1. Auflage 2016, 39.– €

Es handelt sich um einen lesenswerten Sammelband, entstanden aus dem jährlich tagenden „Forum Verfassungspolitik“ (in diesem Fall aus dem Jahr 2014), zu Fragen des nicht nur wegen der internationalen Herausforderungen durch den islamistischen Terrorismus und der damit zusammenhängenden Ausweitung (z. T. erheblich datenschutzrelevanter) Sicherheitsgesetze sondern auch wegen fortschreitender technischer Neuerungen und der globalen Vernetzung nach wie vor hochaktuellen Spannungsfeldes und der erforderlichen Neujustierung zwischen den beiden für demokratische Gesellschaften essentiellen Polen der „Freiheit und Sicherheit“.

Der Band gliedert sich in drei Kapitel, nämlich in die Bereiche

  1. Grundlagen
  2. Moderne Sicherheitsgesetze – Sicht der Praxis und verfassungsrechtliche Bewertung und schließlich
  3. Bedrohung der Privatsphäre und grundrechtlicher Schutz.

Die Beiträge stammen von namhaften Wissenschaftlern bzw. (ehemaligen) Funktions- und Amtsinhabern tragender gesellschaftlicher und staatlicher Institutionen, so (neben den beiden Mitherausgebern Prof. Dr. Papier und Dr. Kellermann, Letztgenannter sorgt jeweils für dezidierte Zusammenfassungen der Diskussionsstände zum Abschluss der Kapitel 2 und 3) von Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem[5], dem früheren Generalbundesanwalt Harald Range[6], dem Präsidenten des Bundesnachrichten­dienstes (BND), Hans-Georg Maaßen, Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff[7]von der Universität Bayreuth, dem früheren Bundesbeauftragten (von 2003 – 2013) für den Daten­schutz und die Informationsfreiheit[8], Peter Schaar, dem Richter am Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg, Thomas von Danwitz[9] und – last but not least – von Prof. Dr. Matthias Rossi[10] von der Universität Augsburg.

Prof. Dr. Papier, der einleitend – und dabei einige Internetaktivisten zitierend[11] – richtigerweise die in Zeiten eines global angelegten Internet die grundlegende Frage aufwirft, ob es denn in grundlegenden Angelegenheiten des (kaum mehr isoliert nationalstaatlich zu denkenden) Datenschutzes überhaupt noch signi­fikant um den Leviathan Staat oder nicht vielmehr um dezentral organisierte privatrechtliche Global Player (Oligopolunternehmen[12]) gehen müsse.[13] Eine These, der im Übrigen auch vor nicht allzu langer Zeit (14.04.2017) der ehemalige Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jorztig in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung unter dem Titel „Der deutsche Datenschutz ist in der Krise“ beipflichtet. Im übertragenen Sinne spielt diese Frage auch in einem weiteren Beitrag von Adrian Lobe vom 04.09.2017 in der gleichen Zeitung unter dem Titel „Juristerei und Netz – Schalt ab!“ eine Rolle. Er tritt mit der argumentativen Zielrichtung gegen im Sinne des staatlichen Gewaltmonopols eigentlich unerträgliche private Governance-Modelle zur Lösung von virulenten Devianzproblematiken auf (Hoffmann-Riem spricht später von ebenso rechtsstaatlich bedenklichen „schiedsähnlichen Befugnissen“ für die Unternehmen) bzw. behandelt er die Frage des rechtlichen Schutzes vor derart privatem Machteinsatz gegenüber Oligopolunternehmen im Zusammenhang mit der Digitalisierung unseres Alltags. Gleichwohl, und ein ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts kann wohl auch kann nicht anders argu­mentieren, dürfe man, so denn „Rechtsgarantien in der Praxis gefährdet und bedroht“ seien, nicht ebendiese für „überholt und geltungslos“ betrachten, sondern müsse „nach Mittel und Wegen suchen, diese Garantien effizienter durchzusetzen.“ Denn „der effiziente Schutz der individuellen Persönlichkeit und mit ihm der der personenbezogenen Daten des Einzelnen sei essenziell, sowohl für die Freiheitlichkeit des modernen Verfassungsstaates als auch für seine demokratische Verfasstheit.“[14] Dies müsse insbesondere vor dem Hintergrund der Gefahren weitreichender nationaler oder gar internationaler Verknüpfung von Datenbeständen immer wieder aufs Neue in das Bewusstsein der Bevölkerung dringen, denn – den Philosophen und Aufklärer Baruch de Spinoza zitierend – „der letzte Zweck des Staates sei nicht zu herrschen, sondern in Wahrheit die Freiheit!“

In die gleiche Richtung argumentiert (jedenfalls im ersten Teil seines Vortrags zur Entwicklung im IuK-Bereich und hierbei insbesondere zur ungeheuren Größe und inhaltlichen Vielfalt von „Big Data“, schon deshalb, weil „viele der für die insbesondere im Internet stattfindenden globalen Kommunikation maßgebende Akteure ihren Firmen[haupt]sitz nicht im Inland hätten“, was ihn zu der Begrifflichkeit der „Vermachtung“ führt und ferner viele Nutzer überhaupt nicht wüssten, was mit ihren Daten nach Preisgabe passiere) auch Prof. Dr. Hoffmann-Riem. Er sieht mit explizitem Verweis auf die Enthüllungen durch Edward Snowden den „Staat als Garant von Freiheit und Sicherheit“, mahnt hierbei aber durchaus die notwendige Justierung der beiden Pole Freiheit und Sicherheit an.[15] Mit Blick auf den von ihm derart benannten „Gestaltwandel des Staates“ hin zu einem  „Präventionsstaat“ kommentiert er die „immer weiter reichende Vorverla­gerung des Rechtsgüterschutzes in das Vorfeld der Gefahr und in das Vorfeld des Verdachts oder gar in das Vorfeld solcher Vorfelder“ kritisch. Dies erweitere gar die „Garantenstellung des Staates insoweit, als es um die traditionelle Aufgabe der Abwehr von Rechtsgüterverletzungen und einer darauf bezogenen Vorsorge“ gehe. Dies könne zu verfassungsrechtlich bedenklichen Dilem­mata führen, nicht nur bei der (ggf. erzwungenen) Kooperation privater Machtträger mit staatlichen Instanzen. Vor allen Dingen beklagt Hoffmann-Riem (wie die meisten Autoren des Sammelbandes unisono) die geringe Bindungswirkung (datenschutz-)rechtlicher Rahmensetzungen für global oder transnational agierende Unternehmen, wenngleich er auch die „Google-Entscheidung“ des EuGH aus dem Jahr 2014 (siehe auch Hinweise weiter unten bei von Danwitz) ausdrücklich lobt. Explizit kritisiert Hoffmann-Riem die rechtlich nicht oder nur (rechtlich weitgehend unerheblich) nationalstaatlich geregelte Datenerhebung internationaler Geheimdienste im Cyberspace sowie ggf. das Teilen derart erlangter Daten mit Partnerdiensten als wesentliche Freiheitsgefährdung. Nicht nur hierbei bedürfe es unter rechtlicher Überwindung territorialer Grenzen besonderer Schutzvor­kehrungen im Sinne objektiv-rechtlichen Grundrechtsschutzes. Insofern bestünden bereits jetzt zahlreiche Schutzaufträge im nationalen verfassungsrechtlichen wie auch im europa- und völkerrechtlichen Kontext, die der konkreten Ausgestaltung, jeweils aber bei weiten Gestaltungsspielräumen der (supra-)nationalen Gesetzgebungsorgane bedürften.

Harald Range, der mit seinem Beitrag des Kapitel 2 eröffnet und der trotz einiger ergänzender Feststellungen wenigstens in Deutschland die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit als intakt[16] beschreibt, weist nach umfänglicher Schilderung möglicher Risiken, insbesondere durch den islamistischen Terrorismus, beredt darauf hin, dass „kein noch so umfassendes Sicherheitskonzept einen absoluten Schutz gewährleisten könne. Vielmehr vergrößere der Versuch, das bestehende Risiko durch grundrechtssensible Maßnahmen zu verringern, natürlich auch die Gefahr, dass mit der dergestalt erhöhten Streubreite der Eingriffe auch gänzlich Unverdächtige“ in den Fokus von Ermittlungen gelangen könnten. Ein konsensualer Einklang hierüber sei s. E. nur nach einer intensiven gesamt­gesellschaftlichen Debatte zu erreichen. Ferner müsse man sich national intensiv und behördenübergreifend informieren (wobei sich das derzeitige System durchaus grds. bewährt habe) aber zuallererst deutlich intensiver als bisher auf europäischer und internationaler Ebene abstimmen. Die internationale Herausforderung des Terrorismus verlange nämlich in besonderer Weise nach einer gemeinsamen, letztlich ‚globalen’ Antwort. Als (trotz vorherigen Amtes), jedenfalls in meiner Wahrnehmung, durchaus „liberaler Strafrechtsvertreter“ mahnt er vor allem eine regelmäßige Evaluation freiheitsbeschränkender Gesetze nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit an.

Hans-Georg Maaßen sieht in der bestehenden deutschen Sicherheitsarchitektur ein bewährtes und solides Fundament für die weitere Arbeit, die man punktuell aber noch ergänzen und fortentwickeln könne und müsse. Gerade deshalb, weil die taktischen und strategischen Herausforderungen, egal ob im Bereich der Spionage, des Terrorismus bzw. des gewaltbereiten Extremismus oder politisch motivierter Kriminalität gleich welcher Couleur, stetig wechseln würden. Insbesondere der Informationsaustausch (unter Quellenschutzgesichtspunkten!), beispielsweise im 2004 in Berlin gegründeten GTAZ, im 2011 eingerichteten GAR, welches in dem 2012 nachgeschobenen GTEZ aufging bzw. mit der Einführung der letztlich mit Urteil des Bundes­verfassungsgerichts vom 24. April 2013 (1 BvR 1215/07) in ihrer Grundstruktur (und mit Modifizierungsaufgaben bis zum 31.12.2014 versehene) als mit dem Grundgesetz vereinbar erklärte ATD, sei hierbei essenziell. Die Zielsetzung aller Bundesregierungen seit 2001 war es, Nachrichtendienste (ohne Verletzung des Trennungsgebotes) auch (wenigstens punktuell) zu „Dienstleistern der Polizei“ (man höre und staune!) zu machen, was auch zu beachtlichen Erfolgen in der Terrorismusabwehr (Bsp. „Sauerlandgruppe“) führe. Dies bedürfe aber auch stetiger Verbesserungen, z. B. einer „gesetzlichen Ausformung der Zentralstellenfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz (und zwar im Gesetz und nicht nur in der Zusammenarbeitsrichtlinie wie bisher, versehen mit einer gesetzlichen Übernahmekompetenz bei bestimmten Fällen, ähnlich der Konstruktion in § 4a BKAG) innerhalb des Verfassungsschutzverbundes, einschließlich einer Koordi­nierungs­kompetenz wie auch der Verbesserung der IT-gestützten Analyse­fähigkeit“, so Maaßen. Hierzu sei es unter anderem noch nötig[17], „den MAD in den Informationsaustausch des Verfassungsschutzes einzubinden, die Übermittlung von nachrichtendienstlichen Erkenntnissen sowie eine erweiterte Übermittlung von G 10-Erkenntnissen an die Polizei zu ermöglichen und diese Erweiterungen gesetzlich zu statuieren. Außerdem bedürfe es eines erweiterten Zugangs zum europäischen Visa-Informationssystem.“ Viele Dinge, die Maaßen in seinem Vortrag gefordert hat, sind im Übrigen inzwischen geltendes Recht, wie bspw. die verpflichtenden Meldungen von Unternehmen im Bereich kritischer Infrastrukturen im seit 2015 in Kraft gesetzten „IT-Sicherheitsgesetz“,  die seit Juli 2017 geltende Authentifizierungspflicht für den Erwerb und die Nutzung von Kommunikationsmitteln (insbesondere von Mobilfunk-SIM-Karten) nach § 111 TKG oder die Vorratsdatenspeicherung nach §§ 113b ff. TKG i. V. m. § 100 g StPO (beachte hierzu allerdings Fn. 19).

Prof. Dr. Wolff listet die Neuregelung (13) zentraler Sicherheitsgesetze seit 2001 auf und unterzieht sie einer (allerdings naturgemäß kursorischen) verfassungs­rechtlichen Einordnung und Bewertung. Tendenziell bewertet er die gesetz­geberische Ausformung als durchaus bemerkenswert und vielfach als Erfolg versprechend, da der Gesetzgeber z. B.

  • die Evaluationspflicht beinahe zum Standardfall erhoben und die parlamentarische Kontrolle (insbesondere der Nachrichtendienste mit dem modifizierten „Parlamentarischen Kontrollgremium“, vgl. 45d GG) gestärkt habe,
  • die Verrechtlichung des Sicherheitsbereiches vorangetrieben und
  • die Zusammenarbeit der einzelnen Sicherheitsbehörden verstärkt habe.

Allerdings seien auch die bisherigen Grenzziehungen zwischen repressiver und präventiver Sicherheitsgewährleistung unter Schaffung von Doppelzuständig­keiten und zusätzlichen Schnittstellen zusehends verwischt.

Peter Schaar eröffnet das Kapitel 3 und beschreibt aus Sicht des kritischen Datenschützers die aktuelle Gefährdungslage, die für die Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der Digitalisierung (insbesondere mit den Stichwörtern „Cloud-Computing“, „Big Data“ und „datenbasierte Geschäftsmodelle“) auf­ge­treten sei. Er konzentriert sich dabei gar nicht so sehr auf die Sicher­heitsbehörden, sondern vielmehr auf die Gefahren für den Datenschutz, die durch die Möglichkeiten von weltweit agierenden Oligopolunternehmen ent­stehen[18], insbesondere auch durch die Preisgabe persönlicher Daten für die Nutzung „kostenloser“ Angebote im Netz in Form „datenbasierter Geschäfts­modelle“. Abschließend stellt er fest, es sei nicht mehr zu übersehen sei, dass zwischen privatwirtschaftlichem Datenhunger und globaler Über­wachung ein enger Zusammenhang bestehe und nur mit einem weltweiten Datenschutz unter einheitlichen Standards eingehegt werden könne (sicher nach wie vor leider eine Utopie und Verzicht auf die Nutzung des Internet ist heutzutage auch keine Option mehr!).

Thomas von Danwitz leitet mit einer sehr passenden, weil dramatischen literarischen Anlehnung an das themengebende Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit in Form einer Sentenz von Rousseau zum Gesellschaftsvertrag ein:

„L’ homme est né libre, et par-tout il es dans les fers!“ (Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten!)

Er knüpft mit dieser Einleitung an die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Grundrechtsschutz der Privatsphäre an. Er konzentriert sich bei seiner Darlegung der aktuellen Gefährdungen im Wesentlichen auf zwei Problemfelder, zum einen (im klassischen „Staat-Bürger-Verhältnis“) auf den mit der Richtlinie 2006/24 vom 15.0.3.200 zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung[19] verbundenen Eingriff in die Art. 7 und 8 der Grund­rechtecharta der EU (ABl. der EU, C 326/391 in der Fassung vom 26.10.2012), den der EuGH in seiner Entscheidung vom 08.04.2014, verb. Rs. C-293/12 und C-594/12 (Digital Rights Ireland und Seitlinger), Slg. 2014, I-0000 als „von großem Ausmaß“ und „besonders schwerwiegend“ bezeichnet hat (vgl. Rn. 37 des Urteils), zum anderen in der Rechtssache Google Spain und Google Inc. (Entscheidung vom 13.05.2014, verb. Rs. C-131/12) vorwiegend um einen Interessen- und Rechtsgüterkonflikt zwischen zwei Privatrechts­subjekten, obgleich man diese wegen der indirekten Beteiligung der Spanischen Datenschutzbehörde auch als „Gemengelage“ bezeichnen könnte. Dabei geht es von Danwitz vor allem um die Grundfragen zu den Wirkungsdimensionen der Charta-Grundrechte, hier namentlich der aus Art. 7 (Achtung des Privat und Familienlebens), Art. 8 (Datenschutzgrundrecht) und Art. 11 (Meinungs­äußerungs- und Informationsfreiheit). Der Gerichtshof, so von Danwitz nehme im Rahmen seiner Zuständigkeiten seine Aufgabe (am Beispiel der genannten Entscheidungen illustriert) mit aller Ernsthaftigkeit wahr und gewährleistet einen hochwerteigen (europäischen) Grundrechtsschutz, in seinen grundsätz­lichen Erwägungen sogar weit über diese Fälle hinaus.[20]

Das 3. Kapitel wird mit einem lesenswerten Beitrag von Prof. Dr. Rossi von der Universität Augsburg zu aktuellen Gefährdungen im Bereich des Schutzes der Privatsphäre abgeschlossen. Rossi nähert sich seinem Thema in einem Dreischritt, indem er

  1. einige mehr oder weniger assoziativ ausgewählte (und nicht einmal grundsätzlich unbekannte, neue) Beispiele[21] für aktuelle Gefährdungen (vorwiegend in öffentlich-rechtlicher und nicht in zivil­rechtlicher oder gar in flankierend bedeutsamer strafrechtlicher Perspek­tive) benennt,
  2. aus diesen strukturelle Gefährdungen destilliert und abschließend
  3. in einem letzten Schritt die Herausforderungen skizziert, denen sich der (rechtliche) Schutz der Privatsphäre gegenübersieht.

Die strukturellen Gefährdungen untersucht Rossi mittels der Stichworte „Unsicherheit hinsichtlich der Gefahrenquelle“[22], „Fremd- und Eigenverur­sachung der Gefahr“[23] und nach den „Besonderheiten der Gefährdungen“, letztere mit den Unterpunkten „Fehlendes Bewusstsein“[24], „Unvermeidbar­keit“[25], die selbsterklärenden Begriffe „Unwiderruflichkeit“ und „Bedeutungs­ver­än­derung“ sowie der „unzureichende Rechtsschutz“. Dann widmet Rossi sich der „besonderen Intensität des drohenden Schadens“ mit den Stichworten der „Vollständigkeit der Datenerfassung“[26], der grds. möglichen permanenten „Verhaltenskontrolle“ durch Monitoring bis hin zu einer immer präziser werdenden algorithmengesteuerten „Gedankenkontrolle“, einer derart beein­flussten „Verhaltenslenkung“ und / oder „Gedankenmanipulation“, welche er unter dem Stichwort „der Mensch als Maschine“ abschließt.

Obgleich Rossi festhält, dass das deutsche (Datenschutz-)Recht bereits ein vielfältiges Instrumentarium zum Schutz der Privatspähre enthält, welche sich bereichsspezifisch durch die am 25. Mai 2018 in Kraft tretende EU-Datenschutzgrundverordnung als unmittelbar geltendes EU-Recht in den Mitgliedstaaten in einfaches Recht transponiert, definiert er dennoch einige Herausforderungen, z. B. nur die Frage des „Erkennens eines Regulierungsbedarfs“, wobei er die positive Rolle des Föderalismus mit unterschiedlich akzentuierten Datenschutzbestimmungen in den Landesdaten­schutz­gesetzen hierbei und vor allem die Vorreiterrolle des Bundes­verfassungsgerichts auf diesem Gebiet herausstellt. Rossi geißelt außerdem das unter den oben genannten Argumenten und bei der Datenmacht privater Unternehmen kaum mehr statthafte „Konfusionsargument“ im Datenschutzrecht, wonach vor allem der Staat grundrechtlich gebändigt, Private hingegen grundrechtlich geschützt werden als dringend überholungsbedürftig (insofern kann ich an dieser Stelle nur erneut auf die beiden weier oben erwähnten wirklich gelungenen Artikel aus der SZ verweisen). Zuletzt fordert er die Überwindung von Kompetenzgrenzen, aufgrund der in Kürze in Kraft tretenden EU-Datenschutzgrundverordnung weniger im Verhältnis der Mitgliedstaaten zur EU und umgekehrt, weil man hier aufgrund der Unmittelbarkeit der Anwendung der VO zurecht von einem unionsweiten Kohärenzverfahren ausgehen dürfe. Vielmehr wirft er hierbei den Blick auf international und außerhalb der EU agierende datensammelnde Unternehmen.

Der Sammelband, obgleich die darin veröffentlichten Beiträge aus einer Tagung des Jahres 2014 stammen, bietet übersichtlich und durchaus akzentuiert, wenngleich auch nicht bis in die letzten Nuancen tiefgreifend einen recht guten Überblick zu einigen wesentlichen Problemfeldern im Spannungsbogen zwischen den Polen Freiheit und Sicherheit und repräsentiert dabei die durchaus bedeutsame politische Bildungs- und Aufklärungsarbeit der Akademie in Tutzing, die inzwischen seit mehr als 60 Jahre immer wieder mit beachtlichen Beiträgen aufwartet. Er ist außerdem recht angenehm, weil wenig fachspezifisch formuliert, zu lesen.

 

[1] Prof. (seit 30.09.2011 entpflichtet) Dr. Dres. h. c. Hans-Jürgen Papier, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Deutsches und Bayerisches Staats- und Verwaltungsrecht sowie öffentliches Sozialrecht an der LMU München, seit 27.02.1998 Vizepräsident und Vorsitzender des Ersten Senats, ab 10.04.2002 bis zum 16.03.2010 Präsident des Bundesverfassungsgerichts, zuletzt abgerufen am 13.09.2017.

[2] Prof. Dr. Ursula Münch, Professur für Politikwissenschaft unter besonderer Berücksich­tigung der Innenpolitik und der vergleichenden Regierungslehre an der Universität der Bundeswehr in München (seit 01.11.2011 beurlaubt), z. Zt. Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing.

[3] Dr. Gero Kellermann, Jurist, Philosoph und Politikwissenschaftler, Kollegium der Akademie für politische Bildung in Tutzing, zuständig für Staats- und Verfassungsrecht sowie Rechtspolitik.

[4] Vgl. Website des Mohr Siebeck Verlags, Tübingen und Inhaltsverzeichnis, zuletzt abgerufen am 13.09.2017.

[5] Prof. (em.) Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem, Universität Hamburg, z. Zt. dort Affiliate Professor für Recht und Innovation an der Bucerius Law School, vom 16.12.1999 bis 02.04.2008 Richter am Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts und in dieser Funktion Berichterstatter und damit maßgeblicher „Mitgestalter“ zahlreicher sicherheitsrechtlich bedeutsamer Entscheidungen des Gerichts.

[6] Von 2001 – 2011 Generalstaatsanwalt in Celle (Nds.), von 2011 – September 2015 GBA in Karlsruhe.

[7] Lehrstuhl für Öffentliches Recht VII  an der Universität Bayreuth.

[8] Vgl. https://www.bfdi.bund.de/DE/BfDI/bfdi-node.html

[9] Vgl. hierzu Beitrag auf lto: https://www.lto.de/recht/job-karriere/j/richter-eugh-thomas-von-danwitz-auswahlverfahren/, Herr von Danwitz gehört dem Gerichtshof seit 2006 an.

[10]  Prof. Dr. Matthias Rossi, Lehrstuhl für Staats-und Verwaltungsrecht, Europarecht sowie Gesetzgebungslehre an der Universität in Augsburg.

[11]  Darunter z. B. Sascha Lobo mit dessen Ausspruch der CCC-Konferenz 2014 in Hamburg, „das Internet habe sich als Weltüberwachungsmaschine entpuppt, mit der man nebenher Flüge buchen könne.“

[12]  In diesem Zusammenhang ist auch die kürzlich in den Kinos angelaufene Dystopie des verfilmten Bestsellers von Dave Eggers, „The Circle“, als eine der denkbaren Beispielvarianten in einer nicht mehr allzu fernen Zukunft (trotz schlechter Kritiken sowohl für den Film als auch für das Buch) nicht uninteressant.

[13]  So konstatiert Herr Papier auch (S. 14), dass angesichts der vorhandenen rechtlichen und institutionalisierten grundrechtlichen Gewährleistungen „für die sicherheitsrechtliche Tätigkeit des Staates seine Wandlung in einen Überwachungsstaat Orwell’scher Prägung (jedenfalls national, allerdings nicht bei einer technisch durchaus möglichen Verknüpfung aller über uns weltweit gespeicherten Daten) eine eher fernliegende Möglichkeit sei.“

[14]  Oder, „wer nicht mehr überschauen kann, wer in einer Gesellschaft was wann und bei welcher Gelegenheit über einen weiß, wird in seiner Persönlichkeit und in der Ausübung von Freiheitsrechten, die auch für die Mitwirkung in einem demokratischen Gemeinwesen von Bedeutung sind, gefährdet.“

[15] Mit dem Hinweis, dass „Bürgerinnen und Bürger, die in Angst lebten, in ihren Möglichkeiten der Ausübung von Freiheit beschränkt sein könnten. Der Schutz von Sicherheit sei insoweit auch Freiheitsschutz. Anderseits könnten die staatlichen oder privaten Maßnahmen zur Steigerung der Sicherheit ihrerseits Freiheit gefährden, etwa durch Überwachungseingriffe mit der möglichen Folge der Einschüchterung der Bürger hinsichtlich ihrer Bereitschaft zur Nutzung von Freiheitsrechten.“

[16]  Dabei erachtet er auch z. B. auch die Vorverlegung von Strafbarkeit (z. B. im Rahmen des § 89a StGB neu) auf der Basis einer Konstruktion abstrakter Gefährdungsdelikte als bei sachgerechter Auslegung (gerade noch) akzeptabel.

[17] Hinsichtlich der erhobenen Forderungen ist es durchaus interessant, den Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Unterrichtung des Deutschen Bundestags i. S. Anis Amri, Bt.-Drs. 18/12585 vom 31.05.2017 begleitend zu lesen, da er viele der strukturellen Thematiken anschaulich darlegt.

[18]  Dabei nennt er einige interessante Zahlen, die ich so bisher noch nicht gelesen habe. So beschreibt er unter Berufung auf die Berkley School of Information den Umfang sämtlicher Texte, die in der Geschichte der Menschheit jemals in allen Sprachen geschrieben wurden auf 50 Petabytes, im Übrigen eine Datenmenge, zu deren Verarbeitung Google schon im Jahr 2013 nicht einmal drei Tage benötigte! Zudem werde der Informationsgehalt der Worte, die von allen Menschen, die bisher gelebt haben, jemals gesprochen wurden auf etwa 5 Exabytes geschätzt, was nicht einmal 10 Prozent des monatlichen Internet-Traffics im Jahr 2014 entspreche (allerdings wächst gerade letztere Größe in unvorstellbarer Geschwindigkeit, so sollen im Jahr 2015 bereits 60 Exabytes pro Monat über das Netz bewegt worden sein). Hierin wird die große Gefahr, auf die Schaar hinweist, exemplarisch deutlich, denn „Big Data“ ersetze mühsame und langwierige Aufbereitung von Daten durch schnelle Analysen, möglicherweise bald schon in Echtzeit.

[19]  Obwohl die Regelungen der deutschen „Vorratsdatenspeicherung“ in den § 113b Abs. 3 ff. TKG i. V. m. § 100g StPO seit August 2017 in Kraft sind und das oben erwähnte Verfahren im Zusammenhang mit der RiLi 3006/24 vor dem EuGH ausdrücklich nicht eine Rechtssache mit Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland zum Gegenstand hatte, trifft die für die Kontrolle des Vollzugs zuständige Bundesnetzagentur zur Zeit aufgrund eines (Einzelfall-)Beschlusses des OVG Münster vom 22.06.2017 im Rahmen eines Eilantrags im vorläufigen Rechtsschutz eines Telefondienstleistungsunternehmens derzeit bis zum Abschluss der Hauptsacheverfahrens keine Zwangsmaßnahmen gegen Telekommunikationsunternehmen, die ihrer gesetzlichen Speicherungs- oder Übermitt­lungs­pflicht an Strafverfolgungsbehörden derzeit nicht nachkommen.

[20]  Der Gerichtshof, so von Danwitz, habe „den besonderen Stellenwert von Maßnahmen, die der öffentlichen Sicherheit dienen, hierbei ausdrücklich anerkannt, sich aber gleichwohl zu keinen Konzessionen im Rahmen der Gewährleistung eines hochwertigen Grundrechts­schutzes der Privatsphäre bereitgefunden.“

[21] So z. B. der Kommunikationsbereich einschließlich der Nutzung des Internets und sozialer Dienste und Foren (hier u. a. die Webhoster-Dienste und Web-Analyse-Tools unter Speicherung der zugreifenden IP-Adresse, die sogenannten behördlichen IMSI-Catcher – vgl. § 100i StPO, Einsatz von Cookies, Framing, Cloud-Computing etc.), der Zahlungsbereich (z. B. bargeldloser Zahlungsverkehr, Kreditscoring, Kunden- oder Treuekarten bis hin zum Phishing), das Thema Mobilität (Erfassung des Aufenthaltsortes und Bewegungsprofile, satellitengestützte Mautsysteme, GPS- oder GMS-Handyortung, Geo-Targeting, Geodaten- oder Panoramadienste wie z. B. Google Street View o. a. oder auch Dash-Cams), der Gesundheitsbereich (mit den Themenstellungen elektronische Gesundheitskarte bzw. Gesundheits-Apps und der damit verbundenen Speicherung medizinischer oder persönlicher Daten), der Arbeitsbereich (hier spielen die Begriffe Arbeitssicherheit, Sicherung von Rechten des geistigen Eigentums, die Verhinderung von Straftaten, z. B. durch Videoüberwachung in den Betrieben oder auch die Aufzeichnung des gesamten Mail- und Telefonverkehrs bis hin zur Aufzeichnung des gesamten Surfverhaltens der Mitarbeiter) oder die Gefahren, die mit dem „Internet der Dinge“ verbunden sein können.

[22]  Er meint damit, wer die auf der Hand liegenden Gefährdungen zu verantworten hat bzw. umgekehrt, wer auch zu ihrer Behebung heranzuziehen sei, je nach Problemstellung staatliche Stellen oder Private?

[23]  Hier stellt sich v. a. die Frage nach einer Zustands- oder Verhaltensverantwortlichkeit.

[24]  Z. B. ist eine Datenerhebung überhaupt erkennbar? Mutmaßliche Harmlosigkeit des Vor­gangs ohne Bezug zum Geschäftsverkehr, fehlendes Misstrauen – das Internet vergisst nichts, man hinterlässt eine Vielzahl elektronischer Spuren, weshalb man genau überlegen sollte, worauf man sich einlässt, fehlende Abruf- und Rekonstruierbarkeit von Vorgängen.

[25]  Fehlende Ausweichmöglichkeiten im Geschäftsverkehr oder im sozialen Kontext.

[26]  Diese ist in der digitalen Welt grds. bei jedem einzelnen Menschen möglich, weshalb die Aussage, „ich habe doch nichts zu verbergen“ vor diesem Hintergrund in ihrer Borniertheit kaum zu überbieten ist.

Rezensiert von: Holger Plank