Hrsg: Joachim Häfele, Fritz Sack, Volker Eick, Hergen Hillen – Sicherheit und Kriminalprävention in urbanen Räumen

Hrsg: Häfele, Joachim; Sack, Fritz; Eick, Volker; Hillen, Hergen; Sicherheit und Kriminalprävention in urbanen Räumen; 262 Seiten, Springer Fachmedien, Wiesbaden, 2017, ISBN 978-3-658-16314-3, 39,99 € (Softcover), 29,99 € (E-Book)

Der Sammelband beinhaltet 12 Aufsätze, eine Einführung von Joachim Häfele sowie abschließende Überlegungen von Fritz Sack. Eine der wesentlichen Aussagen des Sammelbandes formuliert der Mitherausgeber Joachim Häfele in seiner kurzen Einführung. Dort entlarvt er die urbanen Disorder-Phänomen im Wesentlichen als „Erscheinungsformen der Armut“ (S. 7), die allerdings aufgrund ihrer Kriminalisierung als Treibstoff für die Debatten um die kommunale Sicherheit und die Kriminalitätsfurcht wirken. Die darin beinhaltete Broken Windows-These ist folglich auch der rote Faden bzw. ein Leitthema, an dem sich einige der Autoren abarbeiten.

Aldo Legnaro greift den Begriff des Nicht-Ortes von Marc Augé auf, um die Entwicklungspotenziale einer Stadt im Gesamten als Nicht-Ort auszuloten. Der Clou dabei ist, dass sich die Stadt als Nicht-Ort nicht an Augés Idee orientiert, sondern es sich um „nicht-Orte eigener Art“ (S. 23) handelt, Orte der Marginalisierung, Ausgrenzung oder der erzwungenen Segregation. Was Legnaro beschreibt, ist zunächst nicht neu: In den konsumfreundlichen Innenstädten (also den Nicht-Orten im Sinne von Augé) erfolgt eine zunehmende Trennung nach erwünschen und unerwünschten Personen. Dort – wie in den hot spots – erfolgen raumbezogene Interventionen, Racial und Social Profiling. Der Verdrängungswettbewerb, den die Städte im Zuge ihrer Metamorphose in Kul-tur-, Event- und Festivalstädte initiieren, zwingt die nicht vorzeigbaren Bewohner/-innen in die „urbane Peripherie“ (S. 18), in denen sich die sozialen Problemlagen zunehmend verdichten. Offen bleibt, wer sich für diese Stadtentwicklungspolitik noch verantwortlich fühlt. Die Stadtverwaltungen selbst sind es nach dem massenhaften Verkauf des kommunalen Wohnungsbestandes und des Ausbleibens sozialen Wohnungsbaus nur noch bedingt. Die Quartiere „mit hoher Problemkonzentration“ verwandeln sich nach Legnaro in die genannten „Nicht-Orte eigener Art“. Legnaro verdeutlicht, dass dies ein Entwicklungstrend sein kann. Das dies jedoch keine Dystopie darstellt, zeigen die banlieus, Parallelgesellschaften mitten in Europa. Doch schaffen es diese europäischen Quartiere fast weniger ins Bewusstsein der urbanen Konsumenten zu gelangen, als beispielsweise die brasilianischen Favelas[1] oder die Arbeiterslums in China, die mit ihrer eigenen Ästhetik von Gewalt und Kriminalität in Hochglanzqualität über die Feuilleton-Magazinen Eingang in die Alltagswahrnehmung finden.

Bernd Belinas Beitrag ist der zentrale Text zu Broken Windows und Zero Tolerance in diesem Band. Zudem nimmt er Fritz Sacks Kritik an der Kriminologie (am Ende des Buches) vorweg, beispielsweise wenn sich die Kriminologie die unrühmliche Frage stellen lassen muss, weshalb beide Ansätze zu prägenden Instrumenten in Deutschland werden konnten und in verkürzten Darstellungen noch immer als Dauerbrenner in der Kriminalprävention und der Kriminalpolitik Verwendung finden. Gefährdete Gebiete werden zu gefährlichen Gebieten, in denen nicht die sozialen Prozesse (die nach Belina „immer auch sozialräumliche sind“) in den Vordergrund gerückt werden (S. 30). Vor diesem Hintergrund sind die weiter forcierten Kartierungsansätze, nun in Form des Predictive Policing, eher als Rückschritt zu sehen. Nach Belina werden „tendenziell immer dieselben Raumtypen“ gefunden (S. 30); aus der weiteren Beschreibung wird deutlich, dass dieser Raum weniger gefunden wird, als dass es vielmehr eine Bestätigung für die Gegenden mit bekannten Mulitproblemlagen darstellt. Es bleibt zu hoffen, dass Bernd Belinas kurze Vorstellung der Broken Windows-These (S. 38 f) zügig Aufnahme in ein kriminologisches Lehrbuch findet und zur empfohlenen Lektüre wird. Dirk Schubert befasst sich in „Open City“ mit der US-Journalistin Jane Jacobs und ihrem 1961 veröffentlichten Werk „The Death and Life of Great American Cities“. Schubert veröffentlichte in den letzten Jahren bereits zwei wohlwollend aufgenommene Bücher[2] über Jacobs. Jane Jacobs, „Ikone der Stadtplanung“ (Kunze 2014, 55), hatte weder Architektur noch Stadtplanung studiert und arbeitete als freie Journalistin (vgl. Bartels 2015, 59). Ihre Kritik richtete sich gegen die New Yorker Stadtplanung, der sie als Gegenmodell die Entwicklung guter Nachbarschaften und der damit einhergehenden informellen Sozialkontrolle, Partizipation, soziale Mischung und Nutzungsvielfalt (contra Monostrukturen) gegenüberstellte. Schubert bietet einen anschaulichen ersten Einstieg in das Werk von Jacob, den er mit einer treffenden Analyse verbindet. Die Umkehr des Bottom-up-Prinzips im Sinne von Jane Jacobs beinhaltet der Aufsatz von Andrew Wallace, der sich darin auf Untersuchungen in der nordenglischen Stadt Salford bezieht. Der zu Zeiten von New Labour praktizierte Top-Down-Ansatz beinhaltet „neue Formen gemeindenaher Polizeiarbeit“ (S. 69), die im Sinne eines kommunitaristischen Modells in der „Community“ etabliert werden soll. Die Idee beinhaltet den Wunsch nach Lösung kleinräumiger sicherheits- und ordnungspolitischer Probleme durch Aktivierung von bürgerschaftlichem Engagement. Der aus dem Englischen übersetzte Aufsatz bezieht sich dabei nicht auf das Community Policing bzw. die bundesdeutsche kommunale Kriminalprävention und ist damit auch nicht zu vergleichen. Die Unterschiede werden spätestens deutlich, wenn man einen Blick auf die „gemeindenahe[n]“ Interventionsmethoden wirft. Neben den üblichen Verdächtigten wie Videoüberwachung, mehr Polizeipräsenz und mehr Polizeibefugnissen kommen „Verträge über akzeptables Verhalten“, „Abkommen über Nachbarschaftlichkeit“ oder „neue Überwachungsbefugnisse für Nachbarschaftsaufseher“ (S. 82) in Betracht. Damit erweist sich die informelle Sozialkontrolle nicht mehr als informell; sie mutiert zur Unterstützungsleistung für die formellen Kontrollinstanzen auf „quasipolizeiliche Weise“ (S. 82), die beispielsweise bei niedrigschwelligen Ordnungsstörungen oder deviantem Verhalten von Jugendlichen (S. 83) wirkt. Neben der staatlichen Überwachung, die sich auf die Berechtigung zum Leistungsbezug oder die Bemühungen um eine Arbeitsplatzsuche bezieht, tritt nun die soziale Kontrolle der „Armen als Eltern, Nachbarn“ (S. 80) hinzu. Briken/Eick geben einen anschaulichen und informativen Überblick über die Entwicklung und den aktuellen Stand kommerzieller Sicherheitsdienste, die etwas aus der öffentlichen Diskussion verschwunden sind, obwohl sie in den letzten Jahren sukzessive ihr Produktportfolio erweitert haben – zuletzt beispielsweise durch die Bewachung von Erstaufnahmeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünften. Aufmerksamkeit verdienen die von Briken/Eick genannten Trends für das Sicherheitsgewerbe. Gleichwohl eignen sich die Themen gated community, Bahnhöfe oder shopping malls als „Nicht-Orte“ (Legnaro/Birenheide 2005) nur noch eingeschränkt zur Formulierung von Trends. Wo die Autorin bzw. der Autor den „gegenwärtigen Boom innerstädtischer gated communities“ festgestellt haben, wäre interessant zu erfahren gewesen. Auf alle Fälle ein Beitrag, an dem man sich leidlich reiben kann. Beispielsweise in der auf „die deutschen Polizeien“ bezogene Feststellung, wonach diese „ein manifestes Problem mit institutionellen Rassismus haben“. Leider leidet der Beitrag etwas darunter, dass es sich offenbar um eine gekürzte Version einer anderweitigen Publikation handelt. Das betrifft insbesondere den zweiten Teil des Aufsatzes. Der Beitrag von Ann Rodenstedt schildert kriminalpräventive Maßnahmen in dem als Problem-Ort beschriebenen Rinkeby (Schweden); die Stadt gilt als stigmatisierter und ausgegrenzter Ort. Als Ausgangspunkt der ergriffenen Maßnahmen dient (wieder einmal) die Kriminalitätsfurcht. Rodenstedt verdeutlicht als Ergebnis ihrer Interviews, dass Ordnungsstörungen als das größte „Kriminalitätsphänomen“ (S. 121) bewertet werden. Gleichwohl berichten zwei Interviewte über das Zuhause als eigentlich unsicheren Ort (häusliche Gewalt, Missbrauch). Im Ergebnis wird auch hier versucht, sozialen Problemen mit Ordnungs- und Kontrollinstrumenten zu begegnen. Mit der Wegweisung (Platzverweis) in Schweizer Städten befasst sich Monika Litscher. Waren es vormals Alkoholiker/-innen und sonstige Drogenabhängige, geraten inzwischen Ordnungsstörende, oft „die“ Jugendlichen in den Fokus. Litscher schildert in einer „kulturpessimistischen Diagnose“ (S. 148) die Auswirkungen auf das Stadtleben und beklagt in diesem Zusammenhang u. a. dessen zunehmende Homogenisierung – mit der Gefahr, den öffentlichen Raum als „Übungsfeld der Demokratie“ (S. 146) zu verlieren. Dem Ordnungsbegriff nähert sich Günter Stummvoll zunächst über das Europäische Normungskomitee und dem Wesen der Norm als Instrument zur Vereinheitlichung von Sicherheitsstandards. Die „Planungsempfehlungen zur Kriminalprävention im Städtebau“ münden in der Rational Choice Theory, der Routine Activity Theory und Newmans Defensible Space. Mit dem Zitat, wonach [d]ie beste Kriminalprävention [jene ist], die man als Laie lediglich als räumliche Attraktivität und folglich als hohe Lebensqualität wahrnimmt“, entfernt sich der Autor von der bisherigen – durchaus kritischen – Linie in dem Sammelband. Insofern verwundert auch die positive Bewertung der Broken Windows-These als normverdeutlichendes und -stabilisierendes Element nicht. Stummvoll steht im Gegensatz zum vorherigen Aufsatz von Litscher, sofern er für eine „helle, freundliche, gepflegte und übersichtliche“ Stadt plädiert und im Ergebnis für eine Homogenisierung des Stadtbildes. Auch wenn die Umsetzung vorhandener Qualitätsnormen noch zu wünschen übrig lässt, so erinnert er an das Projektmanagement bei der Implementierung kriminalpräventiver Maßnahmen. Broken Windows tauchen in dem Beitrag von Hirtenlehner/Sessar in Form einer Operationalisierung (incivility) auf (S. 178), anhand derer die Autoren in zwei Hamburger Stadtteilen die Bewährung der Generalisierungsthese und des erweiterten „community concern“-Modells (S. 174 ff) untersuchten. Die Existenzängste der Mittelklasse führen zu einem „Auseinanderfallen von objektiver und subjektiver Sicherheitslage“; ist das Kriminalitätsfurchtparadox älterer Menschen nun allgemein in der Mitte der Gesellschaft angekommen? Sofern sich die sozialen Ängste und die wahrgenommenen Existenzängste als Kriminalitätsfurcht ausprägen, kommt die auf immerwährende Verschärfung des Strafrechts ausgerichteten Kriminalpolitik in Erklärungsnöte (vgl. S. 185). Der Mit-Herausgeber Joachim Häfele berichtet über seine Untersuchung in Hamburg zum Einfluss wahrgenommener und systematisch beobachteter Incivilities und anderer Prädiktoren auf die Dimensionen der personalen Kriminalitätsfurcht, der Sozialkontrolle und der kollektiven Wirksamkeit. Das Ergebnis ähnelt dem Befund von Hirthenlehner/Sessar, wonach kriminalpolitisch geprägte Programme nur bedingt geeignet sind, Kriminalitätsfurcht zu reduzieren. Bemerkenswert ist die Kritik von Volker Eick an den polizeilichen Schulunterrichten, die sich „schillernd zwischen blauer Uniform und schwarzer Pädagogik“ (S. 237) bewegen und die,“[w]er mag, […] Kriminalprävention nennen [soll]“ (S. 237). In seinem historischen Rückblick erläutert der Autor, dass die „Durchpolizeilichung der Schulen“ (S. 236 f) kein neues Phänomen darstellt, sondern sich über Jahrhunderte entwickelt hat. Die gegenläufigen Tendenzen, hier am Beispiel des Landes Brandenburg aufgezeigt, finden sich bislang nur in einer Fußnote wieder. Inwiefern sich der Rückzug vor allem in den Bundesländern verstärkt, die eine als Stellenabbau maskierte Polizeireform (vgl. Sachsen) umsetzen, die sich insbesondere auf die Präventionsdienststellen auswirken, bleibt abzuwarten. Der letzte (und sehr empfehlenswerte) Beitrag befasst sich mit der Konsumgesellschaft und den Alltags- und Zukunftsängsten der Deutschen und schlägt damit auch die Brücke zur Zuwanderung. Ingrid Breckners Aufsatz wird dadurch zu einem zuwanderungs- und wohnungspolitischem Plädoyer auf der Grundlage einer kurzen, aber präzise analysierten Zustandsbeschreibung. Selten, dass in einem kriminologischen Sammelband die (Nicht-)Unterbringung von Flüchtlingen in Wohngebieten der Reichen skandalisiert wird. Breckner beschreibt die Perfidität des Verhaltens derjenigen, „die in ihrem wirtschaftlichen Handeln von Globalisierungsprozessen profitieren“. Die Folge ist, dass in den bereits jetzt schwierigen Quartieren die Problemlagen verdichtet werden. Die zwölf Beiträge kommentiert abschließend Fritz Sack, nicht ohne dabei mit Kritik an der deutschen Kriminologie (und auch der kritischen Kriminologie) zu sparen. Fritz Sack nimmt dabei nicht nur Broken Windows und Zero Tolerance ins Visier, sondern greift die früheren kriminalpolitischen Arbeiten des Politikwissenschaftlers James Q. Wilson auf. Seine abschließende Überlegungen sind auch ein Appell an Kriminologen, in ihrer Arbeit nicht die Kriminalsoziologie als auch die Ökonomie außer Acht zu lassen. Das Buch ist mit seinen 262 Seiten kein dicker Schmöker, doch sehr verdichtet, so dass es den Leser durchaus in Anspruch nimmt. Gut so. Ebenso gut, dass die Autoren kontroverse Standpunkte vertreten und damit an eine der wesentlichen Aufgaben der Wissenschaft erinnern. Eine Erinnerung, die vor allem einigen Kriminologen gut tun wird. Hervorzuheben sind vor allem die Beiträge von Belina, Eick und Breckner. Leider fehlen die Autorenhinweise; angesichts drei leerer Seiten am Ende des Buches wäre das unproblematisch gewesen.

Verwendete Literatur

Kunze, R. Rezension von Dirk Schubert: Jane Jacobs und die Zukunft der Stadt, in RaumPlanung, 6/2014, S. 55 – 56
Bartels, O. Rezension von Dirk Schubert: Jane Jacobs und die Zukunft der Stadt, in werk, bauen + wohnen, 3/2015, S. 59
Legnaro, A.; Birenheide, A. Stätten der späten Moderne. Reiseführer durch Bahnhöfe, shopping malls, Disneyland Paris, Wiesbaden, 2005

[1] Vgl. https://www.vice.com/de/article/sieben-monate-in-brasiliens-beruechtigtstem-rotlichtbezirk. Abgerufen am: 17.03.2017.

[2] Vgl. Schubert, D.: Jane Jacobs und die Zukunft der Stadt: Diskurse – Perspektiven – Paradigmenwechsel und Contemporary Perspectives on Jane Jacobs. Reassessing the Impacts of an Urban Visionary

Rezensiert von: Karsten Lauber