Thomas Kruchem – Am Tropf von Big Food. Wie die Lebensmittelkonzerne den Süden erobern und arme Menschen krank machen.

Kruchem, Thomas; Am Tropf von Big Food. Wie die Lebensmittelkonzerne den Süden erobern und arme Menschen krank machen.; Transkript-Verlag Bielefeld, 2017, 214 Seiten, 19,99 Euro, ISBN 978-3-8376-3965-0

„Weltweit bedroht heute eine Pandemie der Fettleibigkeit und ihrer Folgeerkrankungen Industrie- wie Entwicklungsländer. Und dieser Pandemie zu begegnen ist schwer: Den Kampf gegen Hunger und Unterernährung haben Regierungen, soziale Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen geführt, indem sie gemeinsam die öffentliche Versorgung mit Nahrungsmitteln verbesserten. Im Kampf gegen krank machende Fettleibigkeit aber müssen sich nun Bürger und Regierungen mächtigen Konzernen entgegenstellen, die ihr Geld mit dem Verkauf ungesunder Nahrungsmittel verdienen.“

Mit diesen Sätzen leitet Thomas Kruchem sein Buch ein, das gleichermaßen deprimiert wie aufrüttelt.

Wir wissen alle, dass es um die Gesundheit und Ernährung in weiten Schichten unserer Bevölkerung nicht gut steht. Erst langsam aber dringt es in unser Bewusstsein, dass die Lage in den sog. „Entwicklungsländern“ noch wesentlich dramatischer ist. Ähnlich wie bei der „Flüchtlingswelle“, die ja so plötzlich über uns kam (in Wirklichkeit haben Wissenschaftler wie NGOs seit Jahren darauf hingewiesen, dass Hunger, Durst und Krieg dazu führen werden, dass immer mehr Menschen von Afrika nach Europa flüchten), verschließen wir die Augen vor etwas, was in den kommenden Jahren und Jahrzehnten unseren Globus ebenso negativ beeinflussen wird wie Kriege: Die massenweise Produktion und Vermarktung von ungesunden Lebensmitteln und Getränken.

Dies allein ist, so könnte man sagen, nur ein Problem von Markt und Nachfrage – und damit auch von Aufklärung. Uns ist aber nicht bewusst, dass tagtäglich Millionen von Menschen abhängig von diesen ungesunden Lebensmitteln sind und von Firmen wie Coca-Cola, Nestlé, Danone und anderen weiter gemacht werden. Ebenso wissen wir nicht (oder wollen es nicht wissen?) von dem erfolgreichen Versuch dieser multinationalen Konzerne, ihre Kritiker mundtot zu machen oder zu korrumpieren.

Tatsächlich schlägt inzwischen auch die Weltgesundheitsorganisation Alarm. „Big Food“, die multinationale Nahrungsmittelindustrie, ist noch gefährlicher als die Tabak- und Alkoholindustrie. Aggressiv erobern die Konzerne arme Länder und drängen mangelernährten Müttern und ihren Kindern krankmachendes Junkfood auf – Instantnudeln, Kekse, Chips, überzuckerte Drinks. Die Folge: eine Pandemie der Fettleibigkeit – allein in China starben 2016 1,3 Millionen Menschen an Diabetes. „Big Food“ macht Riesen-Profite auf dem Rücken der Ärmsten.

Der Autor deckt in seinem Buch auf, wie „Big Food“ Nothilfe-Organisationen vor seinen Karren spannt und Kritiker mundtot macht; wie die Konzerne UN-Organisationen, Hilfswerke wie Oxfam oder „Save the Children“ sowie Wissenschaftler mit Millionen finanzieren, um auf sie Einfluss zu nehmen. Gegen diese Praktiken schlägt Thomas Kruchem am Ende zehn konkrete politische Maßnahmen vor. Zuvor aber schildert er anschaulich an Beispielen aus vielen Ländern, welchen Schaden diese Täter anrichten, wie sie Menschen täuschen und wen sie wie vor ihren Karren spannen. Die kriminelle Vereinigung der Lebensmittelkonzerne kennt nur eines: ihren Profit und den der Aktionäre. Ethik? Unbekannt. Rechtliche Vorschriften? Sind da, um umgangen zu werden. „Big Food“ macht Menschen krank, verdrängt lokale Ernährungssysteme, die (wenn auch oftmals mehr schlecht als recht) die Menschen über Jahrhunderte gelernt haben, und konterkariert nicht nur die internationale Entwicklungshilfe, sondern verdient auch noch daran mit, in dem man auch dorthin seine Kunstprodukte verkauft.

Vor allem die „Erschließung der Armen als Konsumenten“ (S. 60 ff.) macht wütend und hilflos gleichzeitig. Nicht genug, dass ungesunde Produkte an zahlungskräftige Konsumenten in Amerika und Europa gebracht werden; nachdem hier das Bewusstsein für gesunde Ernährung steigt und die Märkte einzubrechen drohen, sucht man sich neue Opfer, die man mit kleinen und kleinsten (und dann doch überteuerten) Portionen bedient, quasi „anfüttert“ und ihnen zudem (im wahrsten Sinn des Wortes) das Wasser abgräbt um es dann, mit Zucker „angereichert“, wieder teuer an sie zu verkaufen.

Das Buch lässt einen am Ende ratlos und wütend zurück. Aber Wut kann nicht nur zerstörerisch, sondern auch produktiv sein. Wenn sie sich beispielsweise gegen die großen Konzerne und die dort herrschenden kriminellen Vereinigungen richtet und sich vielleicht sogar mal ein Staatsanwalt überlegt, ob denn hier nicht der Tatbestand der fahrlässigen Tötung erfüllt ist. Aber wenn man nicht mal den AUDI-Vorstand vor ein Strafgericht bekommt, der fein untereinander und mit anderen Firmen abgestimmt serienmäßigen Betrug begangen hat, wie soll man denn dann den internationalen Lebensmittelkonzernen beikommen?

Rezensiert von: Thomas Feltes