Irene Mihalic – Polizeiliche Einsätze, Kriminalität und Raum. Eine kriminalgeografische Analyse auf Basis polizeilicher Einsatzdaten und Sozialstrukturdaten der Stadt Gelsenkirchen – Rezensiert von: Astrid Klukkert

Mihalic, Irene; Polizeiliche Einsätze, Kriminalität und Raum. Eine kriminalgeografische Analyse auf Basis polizeilicher Einsatzdaten und Sozialstrukturdaten der Stadt Gelsenkirchen; Felix-Verlag Holzkirchen, Bochumer Schriften Bd. 45, 2018, 300 S., ISBN 978-3-86293-545-1, 29.- Euro

In der Kriminologie wird der Zusammenhang zwischen Wohnort und Kriminalität seit langem empirisch untersucht. Entsprechende kriminalgeografische Studien anhand von Daten aus der polizeilichen Kriminalstatistik wurden relativ häufig durchgeführt. Woran es mangelt sind einerseits Analysen anhand weiterer, polizeilich verfügbarer Daten und andererseits räumliche Vergleiche mit verfügbaren Sozialdaten. Hier nun setzt die vorliegende Studie an.

Die Verfasserin legt eine kriminalgeografische Analyse auf Basis polizeilicher Einsatzdaten und Sozialstrukturdaten für die Stadt Gelsenkirchen vor. Für das Gebiet der Stadt Gelsenkirchen sind derartige Analysen bisher nicht durchgeführt worden. Dabei würde, wie die Verfasserin betont, „eine raumbezogene Betrachtung von Kriminalitätsschwerpunkten und der Tätigkeit der Polizei den politisch und polizeilich Verantwortlichen weitere Möglichkeiten bieten gezielte Präventionsmaßnahmen zu ergreifen und auch polizeiliches Handeln zu effektivieren“ (S.1). Die vorliegende Arbeit soll daher einen Beitrag zur kriminalgeografischen Forschung leisten und „Informationen zu Kriminalität und polizeilichem Handeln im Kontext mit sozialräumlichen Bedingungen im Gelsenkirchener Stadtgebiet zusammentragen und analysieren“ (aaO.).

Das Ziel der Studie bestand darin, über eine deskriptive Analyse ein Bild über die quantitative und qualitative Verteilung von Kriminalität und polizeilichen Einsätzen im Gelsenkirchener Stadtgebiet zu erhalten und über den Vergleich mit sozial-strukturellen Daten Hinweise auf besonders belastete Räume zu erlangen. Durch das Zusammenführen dieser beiden Analysen soll gezeigt werden, ob und inwieweit Kriminalität sozialräumlich mit anderen sozialen Problemen einer Gemeinde einhergeht. Daraus wiederum können Maßnahmen abgeleitet werden, die über den üblichen, im Ergebnis jedoch beschränkten Ansatz einer reinen Kriminalprävention hinausgehen.

Die Studie basiert auf Daten der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), auf polizeilichen Einsatzdaten sowie auf Sozialstrukturdaten, die von der Stadtverwaltung Gelsenkirchen eigens für die Studie aufbereitet wurden. Da das Innenministerium NRW die ursprünglich gewünschten IGVP-Daten nicht bereitstellte, wurden Einsatzdaten für das Gelsenkirchener Stadtgebiet aus dem Einsatzleitsystem eCEBIUS verwendet. Darin enthalten sind jeweils die Uhrzeit des Beginns der elektronischen Einsatzbearbeitung sowie des Einsatzendes, die Einsatzörtlichkeit (anonymisiert), der Einsatzanlass sowie die Anzahl und Art der eingesetzten Einsatzmittel, wie z.B. Funkstreifenwagen oder Zivilfahrzeuge. Das zuvor entwickelte Kategoriensystem für die Auswertung der eCEBIUS-Daten ist auch für zukünftige Studien (und auch für polizeiinterne Auswertungen) in diesem Bereich wertvoll. Die ursprünglich und in dem System vorgesehenen 245 Einsatzanlassarten wurde hier auf 11 auswertbare Oberkategorien reduziert.

Konkret zeigt die Verfasserin auf, dass in Gelsenkirchen Stadtgebiete mit einer enorm verdichteten Einsatzsituation sowie großen sozialen Problemen auf der einen Seite Gebieten mit vergleichsweise geringerem Einsatzaufkommen gegenüberstehen. Dabei zeigen sich Wechselbeziehungen. So kann sowohl hinsichtlich der sozialstrukturellen Situation, als auch hinsichtlich der Kriminalitätsbelastung von einem Nord-Süd-Gefälle gesprochen werden. Im Gelsenkirchener Süden leben insgesamt weniger Menschen als im Norden, aber deutlich mehr Personen mit Migrationshintergrund. Zudem ist die wirtschaftliche Situation im Süden, gemessen an der Transferleistungsquote, wesentlich prekärer als im Norden. Die Wohnverhältnisse im Süden sind gemessen an der Wohndauer weniger stabil als im Norden. Auch die Kriminalitätsbelastung (ermittelt anhand von Daten aus der PKS) ist ungleich verteilt. Legt man die Häufigkeitszahl zugrunde, ist der Gelsenkirchener Süden deutlich stärker von Kriminalität belastet als der Norden, was angesichts möglicher Zusammenhänge zwischen schwierigen sozialstrukturellen Bedingungen und kriminalitätsbegünstigenden Faktoren nicht verwundert. Die Verfasserin hebt auch hervor, dass durch die Verräumlichung sozialstruktureller Faktoren und die Zuschreibung kriminalitätsfördernder Merkmale zu bestimmten Räumen raumbezogene Stigmatisierungen entstehen können.

Ähnliche Unterschiede wie bei der Analyse der PKS zeigten sich bei der Verteilung der polizeilichen Funkstreifenwageneinsätze. Bezogen auf die Zuständigkeitsbereiche der Polizeiwachen Nord und Süd, die auch den PKS-Gebieten entsprechen, wurden die meisten Einsätze im Gelsenkirchener Süden wahrgenommen. Die inhaltlichen Schwerpunkte polizeilicher Einsatzbewältigung in Gelsenkirchen lagen bei Anlässen aufgrund von Straftaten. Die am zweithäufigsten vertretene Einsatzkategorie war die Gefahrenabwehr, gefolgt von Einsätzen aus Verkehrsanlässen und Einsätzen aufgrund von Ordnungs- und Schutzmaßnahmen.

Auch hinsichtlich der untersuchten Einsätze aus Anlass sozialraumbezogener Straftaten zeigt sich, dass im Gelsenkirchener Norden deutlich weniger Einsätze aus diesen Anlässen wahrgenommen wurden, als im Süden. Der Eindruck eines Nord-Süd-Gefälles, der sich bereits aus der Analyse der PKS ergeben hat, wird durch die Einsatzzahlen bestätigt.

In einem zweiten Schritt wurde die Kriminalitätskontrolle durch die Gelsenkirchener Polizei anhand des bestehenden Einsatzaufkommens in den 18 Gelsenkirchener Stadtteilen untersucht. Dabei trat die beschriebene Heterogenität im Stadtgebiet nochmals deutlicher hervor. Festgestellte Besonderheiten hinsichtlich der Einsatzlage werden von ihr anhand von sozialstrukturellen Daten bewertet.

Darüber hinaus kommt die Verfasserin zu spannenden Ergebnissen, wo sie die polizeiliche Schwerpunktberücksichtigung von Buer im Verhältnis zur Altstadt bzw. die geringe Berücksichtigung von Stadtteilen wie Bulmke-Hüllen oder Schalke trotz des dort festgestellten hohen allgemeinen Einsatzaufkommens aufgrund von Straftaten mit der unterschiedlichen Sozialstruktur erklärt. Nach Wahrnehmung der Gelsenkirchener Polizei seien es eher Bürgerinnen und Bürger aus sozialstrukturell besser situierten Wohngebieten, die sich mit ihren Sorgen und Unsicherheitsbekundungen hilfesuchend an die Polizei oder auch an die Stadtverwaltung wenden. Bewohner von Stadtteilen mit einem hohen Migrantenanteil und unübersehbaren sozialen Problemen regelten derartige Probleme häufiger unter sich, anstatt sich an öffentliche Stellen zu wenden. Demnach sei dort das Unsicherheitsgefühl trotz des deutlich höheren Straftatenaufkommens weniger stark ausgeprägt als in besser situierten Gegenden. Auf Basis der vorliegenden Einsatzdaten konnte diese Wahrnehmung jedoch nicht bestätigt werden. Wird das Notrufaufkommen in den genannten Stadtteilen als Maßstab für den Bedarf polizeilicher Hilfe bei der dortigen Wohnbevölkerung definiert, kann festgestellt werden, dass in Stadtteilen mit großen sozialen Problemen Einsätze deutlicher häufiger aufgrund von Notrufen veranlasst wurden als in gut situierten Stadtteilen wie z.B. Buer. Dies deute darauf hin, dass in problembehafteten Gebieten, die neben der schwierigen sozialstrukturellen Situation auch ein vergleichsweise hohes Einsatzaufkommen aufgrund von Straftaten aufweisen, die dort lebenden Bürgerinnen und Bürger keine feststellbare Kontaktscheue gegenüber der Polizei aufweisen. Entgegen der Wahrnehmung der Gelsenkirchener Polizei scheinen die dort lebenden Anwohner Probleme weniger unter sich zu regeln, sondern sich deutlich häufiger hilfesuchend an die Polizei zu wenden.

Rezensiert von: Astrid Klukkert