Peter K. Manning – Police Work. The Social Organization of Policing.

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Manning, Peter K.; Police Work. The Social Organization of Policing.; Boston 1997: Waveland Press; Erstauflage: 1977 bei Cambridge: MIT Press

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Das englischsprachige Buch von 1997 ist die Zweitauflage einer Studie über die US-amerikanische Polizei in den 1960- und 1970-er Jahren, ergänzt um ein kurzes Vor- und ein längeres Nachwort, in denen die Ergebnisse der Original-Studie von 1977 teils relativiert, teils ergänzt werden.

Allgemeine Einordnung

Der Titel ‚Police Work’ legt im Deutschen erst einmal die Bedeutung ‚Polizeiarbeit’ nahe – was allerdings eine falsche Spur ist , denn im Englischen bedeutet der Begriff ‚Work’ auch ‚Werk’ oder ‚Leistung’. Obwohl über den gesamten Verlauf der Studie immer wieder die Arbeit der Polizisten/innen zum Thema wird, geht es Manning nicht wirklich um die tägliche Arbeit von Polizisten und Polizistinnen, also nicht darum, was sie wie tun, wie sie miteinander oder mit den Bürger/innen und den Gesetzesverbrechern umgehen. Es geht Manning auch nicht um die Praktiken der Aufdeckung von Verbrechen oder um die Kunst der Vernehmung von Zeugen und Verdächtigen, auch nicht um die Maßstäbe, nach denen Polizisten/innen befördert werden oder wie man eine Kommission führt. Es geht stattdessen um die Darstellung der amerikanischen Polizei in den 1970-er Jahren gegenüber der Öffentlichkeit und auch um die Klärung der weiterführenden Frage, welche gesellschaftliche Leistung die Organisation Polizei erfüllt, was also das Werk der Polizei ist oder noch schärfer formuliert: was die Funktion der Polizei für die amerikanische Gesellschaft ist (278), einer Gesellschaft, die einerseits durch die grundsätzliche Ungewissheit und Unsicherheit gekennzeichnet ist, andererseits durch eine historisch bedingte zunehmende Komplexität.

Bei der Klärung der Frage nach der Funktion der Polizei bedient sich Manning des dramaturgischen Ansatzes wie er im Frühwerk von Goffman (‚Asyle’ und ‚Wir alle spielen Theater’) entwickelt wurde. Andere Vertreter des dramaturgischen Ansatzes sind u.a.: Kenneth Burke, Victor Turner, Joseph Gusfield, Michael Crozier. Allerdings ergänzt Manning den dramaturgischen Ansatz strukturalistisch (8), weshalb bei ihm im Gegensatz zum interaktionistischen Ansatz von Goffman nicht der Einzelne selbst und seine Darstellungsarbeit im Fokus stehen, sondern ‚codes’ und deren Lesbarkeit und deren Einschreibung in die Organisationsangehörigen. Obwohl sich Manning immer wieder explizit auf die Klassiker einer verstehenden Sozialforschung beruft (vor allem auf Goffman, Garfinkel und Schütz) sind die starken Einflüsse von Dürkheim und Parsons übersehbar.

Entsprechend des dramaturgischen Ansatzes begreift Manning die Organisation Polizei als Darsteller (actor/performer), die für ihr Publikum (audience) ein Drama zum Mandat der Polizei aufführt, das semiotisch gedeutet werden muss. Das Gegenüber der Polizei (Audience) ist bei Manning ‚the public’, was im Englischen nicht nur als ‚Publikum’ zu verstehen ist, sondern auch als ‚Öffentlichkeit’ und als ‚Volk’.

Police Work, also das Werk der Polizei, ist in der Sicht Mannings nicht nur auf die Erreichung eines instrumentellen Ziels gerichtet (Verbrecher dingfest zu machen), sondern über die Ritualisierung polizeilichen Handelns immer auch Kommunikation mit der Gesellschaft. Das ritualisierte Handeln der Polizei kommuniziert auch, welche Werte und Normen die Polizei und die Gesellschaft miteinander teilen und somit verbinden (Sozialordnung) und in welcher Welt Polizei und Gesellschaft leben (Transzendenz). Die Polizei ist einer der wichtigsten policy makers unserer Gesellschaft (294), da sie durch ihre Arbeit implizit und explizit bestimmt, welche Ziele eine Gesellschaft verfolgen soll und darf, welche Mittel und Wege zur Erreichung dieser Ziele sinnvoll sind und wie sie sich rechtfertigen lassen.

Damit die Darstellungsarbeit der Polizei gelingen kann, muss sie ihre Mitglieder als Darsteller ausbilden, indem sie diese sozialisiert und unbewusst in ihre Darstellung Aufgabe eingeübt – getreu der Vorstellung von Goffman, dass eine Handlung vorzuschreiben immer auch bedeutet, ein Selbst und eine Welt vorzuschreiben (Goffman 1973: 183).

Daten

Der Studie legen folgende Daten zu Grunde: Im Frühjahr 1973 verbrachte Manning eine kurze, aber ausgesprochen informative Periode in einigen Einheiten der Londoner Metropoliten Police (X), zudem beobachtete er teilnehmend für kurze Zeit die Arbeit zweier Drogeneinheit aus Washington DC. Er hat jeweils in dieser Zeit mit dem Polizisten/innen gesprochen, hat sie auf deren Schicht begleitet, hat mit ihnen getrunken und sie interviewt und jeweils Feldnotizen angefertigt. Zudem greift Manning in seiner Studie umfangreich auf die damals bekannten Studien von Wilson, Skolnick, Reiss, Reiss & Bordua, Rubinstein und Banton zurück. Herausgekommen sind „cameos“, also Gemmen, Scherenschnitte mit einer gewissen Tiefenstruktur, Verdichtungen, „dichte Beschreibungen“ (30), die nicht das jeweils Fallspezifische darstellen sollen, sondern immer das Typische festhalten und damit sichtbar werden lassen sollen. Die Studie ist also keine klassische Feldstudie oder gar eine Ethnographie. Es steht deutlich in der Darstellungstradition von Goffman, bei der unsystematische Beobachtung, Medienberichte und theoretische Deutungen zu Vignetten zusammengefasst werden, die weniger wegen ihres Datenbezugs überzeugen oder gar aus den Daten erwachsen, sondern wegen ihrer geschlossenen Sinnform.

Inhalt

Manning entwickelt in seiner Studie in Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung der englischen Polizei, wie sich das gesellschaftliche Mandat, also der gesellschaftliche Auftrag der Polizei in England gebildet hat. Für England zeichnet er nach, dass sich dort die Polizei als eine zentrale Institution entwickelt und auch so versteht, die auf die ortsnahe Beobachtung der Bürger/innen durch unbewaffnete Personen setzt (den Bobby), die vor allem auf den Straßen sichtbar sind und beobachten und damit Kriminalität vermeiden sollen (Prävention). Für Amerika zeichnet Manning nach, dass aufgrund der ethnischen Diversität der amerikanischen Gesellschaft, ihres Charakters als Frontier-gesellschaft und dem Pluralismus sich eine dezentral agierende Polizei entwickelt hat. Das Mandat dieser Organisation ist die Kriminalität zu kontrollieren (86), genauer: die Polizei stellt sich dar als Organisation mit dem Mandat einen bewaffneten Kampf gegen das Verbrechen führen. Polizisten begreifen sich – so Mannings inhaltliche Hauptthese als Crime Fighter. Da Polizisten sich entsprechend der eigenen Darstellung eher als Crime Fighter verstehen, vermeiden sie oft nicht-kriminelle Ereignisse (298). Das Mandat der US amerikanischen Polizei ist es also, mittels exzessiver Gewalt (90) einen ‚war against crime’ zu führen.

In seiner Studie beschreibt Manning weiter, welche Handlungen und Normen und damit welche Identität die Polizei als Organisation ihren Mitgliedern auferlegt und er rekonstruiert aufgrund der semiotischen Analyse dieses Handelns, welches Drama die Polizei für die Öffentlichkeit aufführt. Hier folgt Manning allerdings sehr stark der Perspektive von Durkheim und der von Parsons, denn er sucht Antworten auf die Frage, welche Aufgabe die Polizei für die Gesellschaft als Ganzes wahrnimmt oder in der Formulierung von Skolnick: „For what social purpose do police exist?“ (Skolnick 1994: 1).

So kommt er in seiner Studie zu einer wissenssoziologischen Deutung der Polizei, die nicht nur die Organisation der Polizei und die Integration ihrer Mitglieder und deren unausgesprochene Freiheiten in den Blick nimmt, sondern vor allem die Bestimmung der Polizei als eine Institution die in einem halbreligiösen oder halbsäkularen Raum versucht, das Gute vom Bösen zu unterscheiden und dafür zu sorgen, dass die Bösen nicht unentdeckt und ungestraft davon kommen. Insofern führt die Polizei die Frohe Botschaft immer wieder auf, dass es gemeinsame Werte und Normen gibt, also auch eine gemeinsame Welt gibt, die aber ihre Grenzen hat und dass diese Grenzen von Menschen bewacht werden, die ständig bereit sind, gegen das böse, gegen das Verbrechen auch bewaffnet und mit Gewalt zu kämpfen. Die Polizei führt demnach das Stück auf, dass sie im Interesse der Öffentlichkeit, im Interesse der Bürger und Bürgerinnen, eine effiziente, bürokratische organisierte Macht ist, welche die Gesellschaft davor bewahrt, ins Chaos zu versinken.

Damit führt die Polizei auch immer wieder das Drama von ihrer eigenen Bedeutung und Wichtigkeit auf und zeigt, dass sie die Organisation ist, die dafür sorgt, dass in einer Gesellschaft ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Guten und dem Bösen geschaffen und durchgesetzt wird, dass die Polizei nicht nur etwas tut, sondern auch etwas Wichtiges tut (auch Roberg et al. 2014) – somit unabdingbar ist.

Im Vor- und Nachwort der zweiten Ausgabe von Police Work arbeitet Manning noch sehr viel deutlicher den symbolischen und rituellen Charakter der Polizeiarbeit heraus. Demnach ‚performt’ die Polizei für ein Publikum, um dieses Publikum angesichts grundsätzlicher und nicht beseitigbarer Unsicherheit zu beruhigen. Allerdings hat sich laut Manning die Situation aufgrund der allgemeinen Mediatisierung geändert: Polizei und Öffentlichkeit begegnen sich nicht mehr an der ‚Front Stage’, also in direkter Kommunikation und Interaktion, also Aug in Aug auf der Straße, sondern die Mediatisierung der Polizeiarbeit hat dazu geführt, dass der Charakter des Dramas und seine Aufführung sich geändert haben. Die Mediatisierung hat nämlich die Grenzen zwischen Vorderbühne und Hinterbühne durchlässig gemacht (105), da die Medien immer öfter auch hinter die Kulissen der Darstellungsarbeit der Polizei schauen und somit die Aufführung jedes Mythos – sei es der Mythos des Crime Fighters oder sei es der Mythos des Polizisten als Freund und Helfer – erschweren. Kurz: Die Polizei hat nicht mehr die Kontrolle über ihre Darstellung. Medien bringen zudem eigene Deutungsmuster von Polizeiarbeit durch fiktionale und nicht-fiktionale Formate in Umlauf und machen damit die eigene Darstellung schwieriger. Kompliziert wird die Arbeit noch dadurch, dass die Medien ein neuer zusätzlicher Akteur mit eigenen Interessen in diesem Drama darstellen. Insofern wird in Police Work die Situation der amerikanischen Polizei in der Phase der Vormediatiserung beschrieben und erzählt.

Rezeption und Bedeutung

In der amerikanischen Polizeiforschung (police studies) ist die Studie von Manning breit rezipiert worden – einige Kapitel (‚The Police Mandat’ und ‚Police Presentational Strategies’) sind teils mehrfach in anderen Sammelbänden neu abgedruckt worden. Zu langen Debatten in der angelsächischen Literatur hat die These vom amerikanischen Polizisten als Crime Fighter geführt. Beispielhaft hierfür die Kritik Robert Reiners, dass Manning nicht der Wirklichkeit des amerikanischen Polizisten gerecht werde, da nur ein Bruchteil von deren Arbeit im crime fighting (force), während der Alltag überwiegend aus anderen Aufgaben bestehe (serve). Manning verfalle somit selbst dem Bild der Polizei in den Medien und verdoppele dieses nur und damit trage er zur ‚Fetischisierung der Polizei’ bei (Reiner 2003). Manning selbst hat später das Crime-Fighter-Mandat als ‚unmögliches Mandat’ bezeichnet, da die Aufgabe, das Böse zu bekämpfen, sich nur schwer mit der Aufgabe, der Öffentlichkeit zu dienen, verbinden lässt.

Bei dieser Sicht der Dinge ist es verständlich, das Manning mit dem in den späten 1990er Jahren aufkommenden Community Policing Probleme hat. Das Community Policing versteht nämlich den Polizisten als Dienstleister, der im Auftrag und Interesse der Öffentlichkeit vor Ort dafür sorgt, dass Kriminalität nicht stattfindet. Er ist mehr Dienstleister (‚serve and protect’ – Motto der LAPD) als Fighter. In dem Vorwort zur zweiten Auflage hat Manning entsprechend auch die Community Police Strategien dahingehend kritisiert, dass sie nicht die tatsächliche Politik und die tatsächliche Arbeit der Polizei erfassen würden, sondern nur politische und ideologische Verblendung wiedergeben.

In der deutschen Kriminologie und Polizeiwissenschaft bzw. Polizeiforschung ist weder die Erst- noch die Zweitauflage von Mannings Buch nennenswert rezipiert worden. Obwohl in Deutschland gerne, oft und allgemein auf Mannings Buch verweisen wird, passte der wissenssoziologisch orientierte dramaturgische Ansatz weder in den 1970er noch in den 1990er Jahren zu einer vornehmlich kritischen Kriminologie, die in den 1970er Jahren die Polizei immer noch als Hilfsorgan eines repressiven Staates verstand und die sich später dann dem Gouvernementalitätsansatz Foucaults zuwandte. Mannings Studie passte aber auch nicht zu der Ende der 1970er Jahre aufkommenden deutschen Polizeiwissenschaft bzw. Polizeiforschung, da diese sich vornehmlich mit der konkreten Arbeit der Polizei beschäftigte und dabei oft für die Polizei arbeitete und dabei weniger deren gesellschaftliche Funktion reflektierte. Das Ergebnis von Manning, dass Polizisten (in US-Amerika) vornehmlich Crime Fighter seien, passt aber auch nicht zu dem Bild des in Deutschland gehegten und verbreiteten Bildes des Polizisten als Freund und Helfer.

Insofern fand eine Rezeption des Werkes von Manning in der deutschen Kriminologie und Polizeiforschung nur sehr allgemein statt, während sein wissenssoziologischer, das Handeln der Organisation als symbolisches Handeln begreifender Ansatz vor allem in der Organisationsforschung Beachtung fand. Einen Nachhall der Arbeiten von Manning findet man heute noch in der Organisationsoziologie, aber auch noch in einer vor allem wissenssoziologische ausgerichteten Polizeiwissenschaft, welche die Mediatisierung der polizeilichen Arbeit diskutiert (Bidlo & Englert & Reichertz 2012).

Literatur:

Bidlo, Oliver & Carina Englert & Jo Reichertz (2012): Securitainment. Wiesbaden: VS Verlag.
Goffman, Erving (1973): Asyle. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Reiner, Robert (2003): Policing and the media. In: Newburn, Tim, (Hrsg.) Handbook of Policing. Willan, Cullompton, UK, 259-281.

Roberg, Roy & Kenneth Novak & Gary Cordner & Brad Smith (2014): Police & Society. 6th Edition. Oxford University Press.

Skolnick, Jerome (1994): Justice without Trial: Law Enforcement in a Democratic Society. 3rd Edition. New York: Machmillan.

Rezensiert von: Jo Reichertz & Sylvia Marle Wilz