358) Selbach, Veronika & Zehner, Klaus (Hrsg.); London. Geographien einer Global City; transcript Bielefeld2016, 241 Seiten, 29,99 €, ISBN 9783837629200
Veronika Selbach und Klaus Zehser sind am Geographischen Institut der Universität zu Köln tätig und präsentieren im vorliegenden Werk verschiedene Beiträge, die sich mit dem Wandel Londons von „einer gealterten Haupt- und Industriestadt zu einer Global City der höchsten Rangstufe“ befassen. In der Einleitung wird der Sonderstatus Londons im Vergleich zu weltweiten Großstädten beschrieben. Neben dem (noch vor New York) unbestreitbaren Spitzenplatz in der Finanz- und Wirtschaftsindustrie ist London neben Paris die führende europäische Kunst- und Kulturmetropole. Diese Kombination von Wirtschafts- und Kulturmacht lässt London zur „Alpha Global City“ werden (S. 11). Die Auswahl der Beiträge repräsentiert die städtebaulichen und geographischen Charakteristika, die den Alltag der Bewohner Londons prägen und die auch dem Besucher der Stadt sofort ins Auge springen: Die in den letzten Jahren durch die zahlreichen Neubauten veränderte Skyline, die hohe Verdichtung des Stadtraums, die dichten Verkehrs- und Menschenströme und die ethnische und soziale Heterogenität der Stadt.
Klaus Zehner befasst sich mit der Entwicklung der Docklands in Canary Wharf vom alten Hafenumschlagplatz zum nunmehr (neben der City of London und der City of Westminster) dritten Zentrum Londons, in der die Insignien der internationalen Finanzindustrie weithin sichtbar sind (S. 83–99). Damit im Zusammenhang steht das von Marina Rico und Klaus Zehner verfasste Kapitel über den Hochhausbau, welches auch die damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Entwicklungen beleuchtet (S. 101–117). Während bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein London auf Panoramaaufnahmen als „flache Stadt“ erschien (S. 101), wird heute der Blick auf die City – vor allem vom südlichen Themseufer aus betrachtet – durch (fertige und unfertige) Hochhäuser bestimmt. Der Leser erfährt, dass gegenwärtig 236 (!) neue Hochhäuser in Planung sind, die Mehrzahl von ihnen Wohnhochhäuser (S. 115). Der Wandel Londons zur Global City ging dabei mit einem städtebaulichen Paradigmenwechsel einher. War es bis in die 1980er Jahre hinein wichtig, dass das historische Erbe der Stadt bewahrt und die Sicht auf St. Pauls Cathedral frei gehalten wird, sind nunmehr die Anforderungen der Wirtschafts- und Finanzwelt und ihr Bedarf nach repräsentativen Bauten in den Vordergrund gerückt (S. 114–115).
Die sozialen Auswirkungen der veränderten Städtebaupolitik beschreibt Jan Glatter in einem Kapitel über „Gentrification und gentrifizierte Stadträume in London“ (S. 185–200). Während Gentrifizierung in Deutschland überwiegend als junges Phänomen wahrgenommen wird, kam es schon in den 1950er Jahren zu Verdrängungsprozessen innerhalb Londons. Die Mittelschicht konnte sich das Wohnen in etablierten Quartieren wie Kensington oder Chelsea nicht mehr leisten, war aber auch nicht bereit, auf einen urbanen Lebensstil zu verzichten und in die Peripherie zu ziehen (S. 187). Politisch eher links gerichtet und daher durchaus mit dem proletarischen Leben in den Arbeiterquartieren sympathisierend, zogen die „Pionier-Gentrifier“ in Quartiere wie Camden und Notting Hill (S. 188). Heute ist dort ein von Glatter als „Super-Gentrification“ (S. 195) bezeichneter Prozess zu beobachten. Beliebte Quartiere erfahren erneute Aufwertungsschübe und da London als sicherer Hafen für Vermögen aus krisenanfälligen Regionen angesehen wird, werden selbst enge Reihenmittelhäuser mit wenig Wohnraum zu Preisen in Millionenhöhe angeboten und auch nachgefragt (S. 195).
Veronika Selbach beschreibt schließlich die ethnische Vielfalt in der Millionenmetropole (S. 217–241). Lediglich 64 % der Einwohner Londons wurden innerhalb Großbritanniens geboren, hinzu kommt ein großer Anteil von Nachkommen früherer Zuwanderergenerationen (S. 227). Angesichts der aktuellen Brexit-Debatte und ihren Bezügen zur Zuwanderung nach England ist die Tatsache interessant, dass seit den 2000er Jahren die Zahl der Arbeitsmigranten stetig ansteigt, und zwar nicht nur bei den hoch-, sondern auch bei den geringqualifizierten Kräften (S. 223). In geographischer und soziologischer Hinsicht ist eine von Selbach als „super diversity“ beschriebene Entwicklung auffällig. Es gibt nicht die eine Einwanderergruppe, vielmehr werden Londons Bezirke insgesamt „bunter“ und repräsentieren eine größere ethnische Vielfalt (S. 232). Abgesehen von wenigen Ausnahmen gibt es also keine überproportionale Konzentration einzelner Nationen in bestimmen Bezirken. Schließlich weist Selbach auf Konflikte zwischen verschiedenen Migrantengenerationen hin, die sich auch in der aktuellen Zuwanderungs- und Flüchtlingsdebatte in Deutschland beobachten lassen. Zwischen älteren Migranten der Nachkriegsgeneration und „den Neuen“ entstehe ein Konfliktpotential, da beide Gruppen mittlerweile um Arbeitsplätze konkurrieren (S. 238).
Mit „London. Geographien einer globalen City“ ist ein Sammelband entstanden, der auch für fachfremde Disziplinen spannende Perspektiven auf die bedeutsamste europäische Wirtschafts- und Kulturmetropole enthält. Auch außerhalb des wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses enthalten die Beiträge wertvolle Informationen und Analysen, die es Besuchern Londons erlauben, eigene Beobachtungen und Erfahrungen einzuordnen und zu erklären. Darüber hinaus ist das Buch insgesamt sehr sorgfältig aufbereitet und enthält neben eigens angefertigten Kartenmaterialien und Diagrammen zahlreiche farbige Abbildungen und Fotografien.
Rezensiert von: Andreas Ruch