Heribert Ostendorf (Hrsg.) – Jugendgerichtsgesetz

Ostendorf, Heribert  (Hrsg.); Jugendgerichtsgesetz; 10. völlig überarbeitete Auflage 2016. 800 S., Nomos-Verlag Baden-Baden, ISBN 978-3-8487-2754-4, Preis 98.- Euro

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Auch die 10. Auflage des fast 2 kg schweren Kommentar von Ostendorf beeindruckt nach wie vor durch seine klare Sprache und die durchgängige kritische Kommentierung der Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes – ohne dass dabei die jeweiligen Kernbereiche der Normen angetastet werden.

Man kann einen Kommentar zum JGG immer auch daran messen, wie er mit zwei durchgängig strittigen Bereichen umgeht: Dem Erziehungsbegriff und der Rolle des Verteidigers.

Den Erziehungsbegriff thematisiert der Kommentar zwar immer wieder und bei verschiedenen Vorschriften; allerdings hätte hier eine quasi vor die Klammer gezogene Auseinandersetzungen mit den „Risiken und Nebenwirkungen“ dieses Begriffes, der als Grundlage für viele Einschränkungen von Rechten Jugendlicher im Jugendstrafverfahren genutzt und oftmals auch zur Begründung von Schlechterstellung von Jugendlichen und Heranwachsenden gegenüber Erwachsenen benutzt wird, dem Kommentar gut getan. Denn dort hätten die Autoren auch Farbe bekennen können (und müssen), wie sie es mit diesem Begriff halten. Immerhin findet sich in dem Kapitel „Grundlagen zu den §§ 46 und 54“ eine dann doch sehr klare Feststellung: „Die §§ 46 und 54 (man fragt sich, ob es nur diese §§ sind) sind Ausdruck eines traditionellen Erziehungsstrafrechts, das die persönliche „Eigenart“ des Angeklagten umformen will (…) und Erziehung als ein autoritatives Unternehmen ansieht, deren Begründung dem Jugendlichen nicht mitgeteilt werden muss (…). Ein emanzipatorisches pädagogisches Konzept verlangt demgegenüber eine bei Einbeziehung dr Umwelt prinzipielle Respektierung der Persönlichkeit sowie eine Offenlegung der Gründe für bestimmte Erziehungsmaßnahmen. Schon von daher ergeben sich Konsequenzen für eine zeitgemäße, restriktive Auslegung dieser Normen, abgesehen von der ansonsten begründeten Gefahr der Beschneidung der rechtlichen Gegenwehr“ (S. 353). Leider wird diese Feststellung an einer Stelle getroffen, wo sie kaum jemand lesen wird, denn die genannten Paragrafen sind nicht unbedingt von besonderer Praxisrelevanz. Aber an vielen anderen Stellen wird diese grundlegend kritische Einstellung dem Erziehungsanspruch gegenüber deutlich, was gut so ist.

In Bezug auf den Verteidiger wird die Vorschrift des § 68 JGG (notwendige Verteidigung) recht knapp kommentiert; hier fehlt m.E. die klare Stellungnahme, dass ein Verteidiger in viel mehr Fällen bestellt werden muss als es tatsächlich der Fall ist. Der „Erziehungsgedanke“ führt auch hier noch immer dazu, dass man das Strafverfahren eher als erzieherischen Prozess sieht, in dem ein Anwalt nur stört.

Generell hätte ich mir gewünscht, dass die Kommentatoren (noch) etwas mehr Mut beweisen und hier und da auch einmal bislang Ungedachtes und vordergründig Undenkbares formulieren. Dann wäre der Kommentar tatsächlich noch mehr als Schubkraft für Entwicklungen im Jugendstrafrecht zu sehen, als er es ohnehin schon ist.

Insgesamt aber kann man die etwas werbemäßig anmutende Aussage auf der website des Verlages, wonach „der Ostendorf ist ein Muss für die Rechtsanwendung und jede Argumentationsbildung im Rahmen eines evidenzbasierten Jugendstrafrechts“ sei, durchaus akzeptieren. Denn seine herausragende Stellung verdankt er tatsächlich einer wissenschaftlich fundierten Darstellung der Normen in ihrem kriminologischen Kontext, flankiert mit aktuellen Informationen zu rechtstatsächlichen wie kriminalpolitischen Entwicklungen. Und stets verlässlich werden die Bezüge zu den notwendigen kriminologischen und entwicklungsbezogenen Forschungsergebnissen hergestellt.

Die 10. Auflage berücksichtigt denn auch den Entwurf der Europäischen Richtlinie (COM 2013, 822 final) über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für verdächtigte und beschuldigte Kinder, die Empfehlungen der Expertenkommission zur umfangreichen Reform des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahren, das Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe und das Gesetz zur Stärkung der Rechts von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG). Statistiken veranschaulichen die Entwicklung der Jugendkriminalität und der Rechtsprechung bzw. Sanktionierung durch die Jugendgerichte.

Lobenswert auch die Tatsache, dass der Verlag endlich mal auf die ansonsten üblichen Dünndruckseiten verzichtet sondern „richtiges“ Papier verwendet (Printed in Germany). Da nimmt man das Geweicht gerne in Kauf.

Rezensiert von: Thomas Feltes