Requiem für den amerikanischen Traum. – Noam Chomsky – Rezensiert von: Thomas Feltes

Chomsky, Noam; Requiem für den amerikanischen Traum. Die 10 Prinzipien der Konzentration von Reichtum und Macht.; Kunstmann-Verlag München 2017, 192 S., SBN: 978-3-95614-201-7, 20.- Euro

„Amerikas Sokrates“, „akademischer Aktivist“ und „letzter lebender Linksintellektueller“: Das seien, so die Besprechung des Buches von Tamara Tischendorf in den „Blättern“ (Heft 10, 2017), nur einige der unzähligen Etiketten für Noam Chomsky. „Ja, er publiziert immer noch, der 1928 geborene Linguist von Weltruhm, der bis zu seiner Emeritierung als Professor für Linguistik und Philosophie am renommierten MIT, dem Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, lehrte“.

Und wie er publiziert! In der folgenden Besprechung sollen – mehr als üblich – einige Zitate aus dem Buch wörtlich wiedergegeben werden, da m.E. der Leser so am besten einen Eindruck vom Inhalt, vor allem aber vom Duktus des Werkes bekommt. Zudem kann man so relativ schnell sich entscheiden, ob man den „Thesen“ von Chomsky folgen will – oder nicht. Dabei spielt die empirische Bestätigung seiner Thesen für ihn durchaus eine Rolle, auch wenn er darauf nicht die Zeit (und den Raum) aufwendet, die er vielleicht früher verwendet hätte. Aber – um das Ergebnis vorweg zu nehmen – gerade deshalb ist es ein Buch, das man lesen muss. Weil man selten so komprimiert den (schlechten) Zustand unseres Planeten dargestellt bekommt, und weil man viele Anknüpfungspunkte für kriminologische und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse findet. Zwischendrin finden sich in dem Buch (schön farblich abgehoben) immer wieder Teile von Originaltexten anderer Autoren (auch historischer), auf die sich Chomsky bezieht. Auch dies hilft, die Aussagen ein- und zuzuordnen.

Aber worum geht es? Chomskys Hang zur ganz großen Draufsicht, den er als Linguist gepflegt hat, spiegelt sich strukturell durchaus auch in seinem Abgesang auf den amerikanischen Traum wider. Er sieht, eine nahezu beispiellose soziale Ungleichheit (in den USA, aber auch darüber hinaus), und es seien „vor allem die Superreichen, die für diese Ungleichheit sorgen“ – das „oberste Zehntel Prozent“ der Bevölkerung. Innerhalb der letzten drei und mehr Dekaden sei die amerikanische Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik so umgebaut worden, dass sie vornehmlich deren Interessen diene, während die Mittelschicht zunehmend unter Druck geraten sei (S. 11). Der systematische gesellschaftliche Umbau folge dabei den zehn Prinzipien, die Chomsky in seinem Buch nacheinander abhandelt: 1. „Demokratie einschränken“, 2. „Ideologie bestimmen“, 3. „Wirtschaftumgestalten“, 4. „Andere die Last tragen lassen“, 5. „Solidarität bekämpfen“, 6. „Regulierungsbehörden deregulieren“, 7. „Wahlen manipulieren“, 8. „Den Pöbel im Zaum halten“, 9. „Zustimmung konstruieren“ und 10. „Die Bevölkerung an den Rand drängen.“

Die Macht der Reichen treibe die politischen Parteien zunehmend in die finanzielle Abhängigkeit der Großunternehmen. „Deren so gewonnene politische Macht schlägt sich alsbald in Gesetzen nieder, die die Konzentration von Reichtum unterstützen“ (S. 12 f.). Um die Gesundheit einer Gesellschaft sei es umso schlechter bestellt, „je mehr sie von Ungleichheit geprägt ist, egal, ob diese Gesellschaft arm oder reich ist“ (S. 20).

Chomsky geht im ersten Teil intensiv auf die Verlagerung der Märkte auf die Finanzinstitute und deren sich daraus entwickelnder Macht ein. Wenn 2007 40 % des wirtschaftlichen Gesamtgewinns durch Finanzinstitute erzielt wurden (S. 55), dann wird deutlich, dass es mit dem Prinzip der Marktwirtschaft schon aus diesem Grunde nicht mehr weit her ist. Damit einher geht die Stagnation (oder gar der Rückgang) der Löhne, eine Erhöhung der Arbeitszeit und eine immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich: „Um einen Haushalt durchzubringen, müssen heute zwei Erwachsene arbeiten gehen…“ (S. 57). „Die beiden Entwicklungen – der Finanzmarktkapitalismus und die Verlagerung der Arbeitsplätze ins Ausland – sind Teil eines Prozesses, der einen Teufelskreis der Konzentration von Reichtum und Macht erzeugt“ (S. 58). Der Staat rettet (zu Lasten der Steuerzahler, und damit der „einfachen“ Leute) nicht nur Banken, sondern auch die Automobilindustrie (S. 60) – eines der vielen Beispiele, die sich direkt auch auf Deutschland übertragen lassen.

„Kurz, was wirklich zählt ist der kleine Bruchteil der Weltbevölkerung, der reicher und immer reicher wird – den Rest kann man getrost vergessen“ (S. 68).

Chomsky benennt eine „Plutonomie der Superreichen, alle anderen schlagen sich mühevoll durchs Leben“ (S. 71) um deutlich zu machen, dass es „den Menschen“ auf dieser Welt zwar prinzipiell immer bessergeht (vor allem denen in Deutschland, Europa und den USA), dass dies aber nur dann gilt, wenn man darunter den statistischen Mittelwert versteht – der ja bekanntlich auch dann gleich bleibt, auch wenn sich die Extreme vergrößern[1]. „Das Steuersystem wurde so überarbeitet, dass die Reichen entlastet und der Rest der Bevölkerung entsprechend belastet wurde“ (aaO.).

Einher geht dies alles mit politischen Verschiebungen: „… inzwischen hat sich das politische Spektrum so weit nach rechts verschoben, dass das, was die Bevölkerung will und was einst als politischer Mainstream galt, als radikal und extremistisch erscheint“ (S. 75). Und auch die strafrechtlich (eben nicht) relevanten Verhaltensweisen von Unternehmen (vor allem Banken) thematisiert Chomsky: „Die Machtkonzentration hat inzwischen ein Ausmaß erreicht, dass die Banken längst nicht mehr bloß „too big to fail“, … sondern … auch „too big to jail“ – zu groß, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen“ (S. 101). Wer „lediglich die kleinen Leute ausplündert, der kommt ungeschoren davon“ (S. 102).

Ja, „wir leben in vielerlei Hinsicht immer noch in der freiesten Gesellschaft der Welt“ (S. 174), aber das ist kein Grund, die Möglichkeiten, die wir haben, eine gerechtere und eine Welt herzustellen, die unseren moralischen Ansprüchen entspricht, nicht zu nutzen. Chomsky´s eher düstere Prognose basiert auf der Annahme, dass „Werte“ wie Gier und der Wunsch, den persönlichen Vorteil auf Kosten anderer zu maximieren, zunehmen. Bestimmte Gruppen in der Gesellschaft legen es geradezu darauf an, den sozialen Zusammenhalt zu zerstören, Ängste und Wut (auf wen oder was auch immer) zu schüren. So sei die Popularität bspw. von Trump wesentlich auf Hass und Angst gegründet. Diese „generalisierte Wut“ (S. 164) basiere auf der Tatsache, dass vom Wirtschaftswachstum andere, aber nicht sie selbst profitieren – und die Wütenden bemerken dies. Daraus entwickelt sich dann auch die „große Verachtung für die staatlichen Organe“ (aaO.). Ähnliches können wir nicht nur im Osten Deutschlands, sondern auch in Polen, Ungarn und anderenorts beobachten.

Das Buch von Chomsky ist als „Requiem für den amerikanischen Traum“ geschrieben. Wenn die Lektüre dazu hilft, sich unseren Traum von unserer Gesellschaft wieder (oder auch erstmals?) bewusst zu machen, dann, und nur dann, wirkt es positiv. Ansonsten ist es tatsächlich deprimierend – weniger die Lektüre, als die sich daraus notwendigerweise ergebende Einsicht, dass wir als Bürger und als Wissenschaftler weniger ändern können als wir vielleicht denken – sofern wir überhaupt noch darüber nachdenken.

[1] S. dazu den Text und die Videos auf der instruktiven website http://statistik-dresden.de/archives/1863

Rezensiert von: Thomas Feltes