Soziale Netzwerke und strafprozessuale Ermittlungen – Sebastian Bauer – Rezensiert von: Holger Plank

Bauer, Sebastian Dr[1]; „Soziale Netzwerke und strafprozessuale Ermittlungen“[2] ; ISBN: 978-3-428-15235-3, 406 Seiten, Verlag Dunker & Humblot, Berlin, Reihe „Strafrechtliche Abhandlungen“, Band 281, hrsg. von Prof. em. Dr. Schroeder und Prof. Dr. Hoyer, Erscheinungsjahr 2018, 79,90 €

Es handelt sich um eine Dissertation, die an der Bucerius Law School in Hamburg im Mai 2016 angenommen wurde. Eingearbeitete Rechtsprechung und Literatur­hinweise sind auf dem Stand von April 2016. Trotz der seither erfolgten 21 (!) Ergänzungen / redaktionellen Anpassungen der StPO, darunter alleine sechs StÄG sowie das Artikelgesetz „zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.08.2017 (BGBl. I S. 3202), bleiben die wesentlichen Aussagen Bauers nach wie vor bestandskräftig.

Der Autor beschäftigt sich mit den spezifischen Herausforderungen bei Ermittlungen in Sozialen Netzwerken im Unterschied zu den mittlerweile klassischen Ermittlungen in den Kommunikationsdiensten des Internet. Hierzu beleuchtet er zunächst die verfassungsrechtlichen Grundlagen, u. a. das „Allgemeine Persönlichkeitsrecht“ (APR) mit seinen hier spezifischen „Unter­fällen“ des „Rechts auf informationelle Selbstbestimmung“ (RiS) sowie des deutlich jüngeren (2008) „Rechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ („IT-Grundrecht“ – gerade hier sei der Anwen­dungs­bereich noch wenig „trennscharf“) und nicht zuletzt das „Fernmelde­geheimnis“. Bestünden schon bei den herkömmlichen Kommuni­kations­diensten mitunter erhebliche Abgrenzungsprobleme, sei dies bei der Beurteilung der Schutzbereichs- und Eingriffscharakteristika bei Sozialen Netzwerken in beson­derer Weise evident, so eine der gut herausgearbeiteten Feststellungen Bauers. Dies sei insbesondere auf die (amorphe) Bandbreite an Kommunikationsformen (öffentliche Posts, „private“ Nachrichten und diverse Zwischenformen zwischen den beiden genannten Polen) dort zurückzuführen. Als weiteres, einfachgesetzliches Problem iden­tifiziert Bauer die legislative Kategorisierung des Großteils sozialer Netzwerke als „Telemediendienste“ wohingegen viele Eingriffsnormen der StPO auf „Tele­kommunikationsdienste“ (Analogieverbot) ausgerichtet seien. Außerdem stelle auch das Verhalten der Nutzer in diesen Netzwerken selbst ein eingriffs­rechtliches Einordnungs­problem dar, da hierdurch nicht nur „Verkehrsdaten“, sondern bspw. auch Metadaten über „nichtkommunikatives Verhalten“ erzeugt werden würden.

Die Arbeit behandelt, schon wegen des Umfangs notwendiger Ausführungen hierzu aber als Randproblem, den dem Internet und seinen Kommunikations­plattformen und -diensten immanenten Aspekt grenzüberschreitender Ermitt­lungs­handlungen.

Die Arbeit ist „disziplinär klassisch“ und damit auch grds. sehr übersichtlich gegliedert. Nach einem „Definitions- und Grundlagenkapitel“ A folgt der Abschnitt B, in dem allgemeine „verfassungsrechtliche Anforderungen an (nachfolgend spezifisch behandelte) strafprozessuale Ermächtigungsgrundlagen“ (Gesetzes­vorbehalt, Bestimmtheits­grundsatz, Analogieverbot und Verhältnis­mäßigkeits­grundsatz) herausgearbeitet werden.

Hauptkapitel sind die Abschnitte C – E. Dort wird in üblicher (gutachtlicher) Prüfungs­systematik der Zugriff auf die Datenkategorien nach „öffentlich zugänglich“ (C), „verdeckte Ermittlungen“ (D – hier spielt vor allem die „legendierte“ Kontaktaufnahme und mögliche Eingriffsgrundlagen der StPO eine bedeutende Rolle) und „verdeckter Zugriff auf nichtöffentlich zugängliche Daten“ (E) unterschieden, dann der zugrundeliegende Datenbegriff notwen­digerweise jeweils in die Bestandteile „Inhalts-, Bestands-, Verkehrs- und Nutzungsdaten“ unterteilt und jeweils sequenziell intensiv erörtert. Besonders hilfreich für den Leser ist die jeweilige Kurzzusammenfassung der Ergebnisse mit einem Zwischenfazit für jedes dieser Kapitel.

Die Arbeit ist dogmatisch außerordentlich feingliedrig, behandelt alle relevanten Detailfragen in der nötigen Tiefe. Sie ist schon deshalb „außergewöhnlich“ zu nennen, weil der Autor in akribischer Feinarbeit an verschiedenen Stellen „Schutzlücken“ bei der Strafverfolgung im Zusammenhang mit dem durchaus „amorphen Untersuchungsobjekt Soziale Netzwerke“ im Strafprozessrecht nachweist. Z. T. versucht er diese sogar de lege ferenda mittels eigener Vorschläge (vgl z. B. Kap. D, S. 209 ff. mit einem § 110 d [E] zum „virtuellen“ verdeckten Ermittler oder Kap. E, S. 321 f. mit den §§ 100 k und l StPO [E – Account-Zugriff mittels „Infiltration“], S. 343 f mit einem § 100 m StPO [E] und S. 369 ff. mit den §§ 100 n und o StPO [E] zur weitgehenden Gleichstellung der in Sozialen Netzwerken relevanten „Bestands- und Nutzungsdaten“ in Bezug auf §§ 14, 15 Telemediengesetz) zu schließen. Eine dogmatische „Kärrneraufgabe“, für die der Autor lobenswerterweise sehr viel Mühe auf sich nimmt!

Die Arbeit greift darüber hinaus viele der „altbekannten“ strafprozessrechtlichen Problemstellungen auf, etwa (und dies trotz der Rechtsprechung des BVerfG zum Schutz providergespeicherter Kommunikationsinhalte aus dem Jahr 2009) die Frage des Mangels an „Körperlichkeit flüchtiger Daten“, hier nur im Zusam­menhang mit den §§ 94 ff. und 99 StPO, das Fehlen eines Hinweises auf „Telemediendienste“ in den §§ 100 g und j StPO (hier verweist der Autor aufgrund des Rechtsstandes seiner Arbeit einmal noch auf § 100 b Abs. 3 StPO) und die daraus ableitbare fehlende „Mitwirkungspflicht“ von Betreibern oder auch die Nichtanwendbarkeit von § 110 Abs. 3 StPO zur Durchsicht der „Inhalts­daten“ eines kennwort­geschützten Accounts.

Auch wenn sich mit der Einführung der Quellen-TKÜ und der Online-Durchsuchung in der StPO manche der dogmatischen Überlegungen Bauers legislativ bereits verfestigt haben (obgleich man mindestens die Genese hierbei kritisch betrachten darf!), so ist die sehr gelungene, tiefgreifende Arbeit Bauers für jeden Sachbearbeiter oder Gutachter, egal ob bei Sicherheitsbehörden oder der Justiz, aber auch für Verteidiger, insbesondere jedoch für die dogmatische Strafrechtswissenschaft und aus ihr heraus für die (möglichst evidenzbasierte) Kriminalpolitik von grund­legender Bedeutung und daher unbedingt zur Lektüre zu empfehlen. Der Autor stellt im Übrigen abschließend in seinem Fazit die aktuelle Gesetzeslage als noch nicht befriedigend dar, da sie im Spannungsfeld zwischen den grundrechtlichen Belangen der Nutzer Sozialer Netzwerke und der Funktionsfähigkeit der Strafverfolgung andererseits noch einen Großteil der ermittlungsrelevanten Strafverfolgungsmaßnahmen gerade dort, welche „wahre Fundgruben für die Aufklärung von Straftaten“ (S. 376) seien, verhindere. Man darf gespannt sein, ob und wie sich hierauf eine Replik aufbaut.

[1]  Vgl. Profil des Autors auf LinkedIn.

[2]  Vgl. Inhaltsverzeichnis auf der Website von Duncker & Humblot, Berlin.

Rezensiert von: Holger Plank