Hans Gross[1] – Vater der Kriminalwissenschaften? – Sammelbesprechung der Bände
Bachhiesl, Christian[2] / Bachhiesl, Sonja Maria[3] / Leitner, Johann[4] (Hrsg.); „Kriminologische Entwicklungslinien. Eine interdisziplinäre Synopsis.“[5]; Reihe: Austria: Forschung und Wissenschaft – Interdisziplinär, Band 10; ISBN: 978-3-643-50599-6, 408 Seiten, LIT Verlag, Münster [Berlin / Wien], 2014, 49,90 €
Bachhiesl, Christian / Kocher, Gernot[6] / Mühlbacher, Thomas[7] (Hrsg.); „Hans Gross – ein Vater der Kriminalwissenschaft. Zum 100. Wiederkehr seines Todestages (1915)“[8]; Reihe: Austria: Forschung und Wissenschaft – Interdisziplinär, Band 12; ISBN: 978-3-643-50706-6, 336 Seiten, LIT Verlag, Münster [Berlin / Wien], 2014, 39,90 €
Bachhiesl, Christian / Bachhiesl, Sonja Maria / Köchel, Stefan[9] (Hrsg.); “Problemfelder der Kriminalwissenschaft. Interdisziplinäre Einsichten“[10]; Reihe: Austria: Forschung und Wissenschaft – Interdisziplinär, Band 13; ISBN: 978-3-643-50791-6, 324 Seiten, LIT Verlag, Münster [Berlin / Wien], 2017, 34,90 €
Es handelt sich jeweils um Sammelbände, die in interessanter historischer wie auch zeitgeschichtlicher Perspektive und aus verschiedenen fachlichen Blickwinkeln, stets jedoch direkt oder mittelbar ausgehend von oder unmittelbar Bezug nehmend auf Hans Gross und seinen Beitrag zur Entwicklung der Kriminologie und Kriminalistik, die spezifisch „österreichische (‚Grazer‘) Schule“ der Kriminalwissenschaften und ihre Ausstrahlungswirkung auf die genannten Disziplinen im deutschsprachigen Raum beleuchten und würdigen. Doch zunächst in der gebotenen Kürze und einleitend zur Bezugsperson Hans Gross (1847 – 1915) selbst[11]:
„Im Jahr 1912 gelang es dem österreichischen Strafrechtler und Kriminologen nach großen Mühen und vielfältigen Anstrengungen, an der Karl-Franzens-Universität Graz das K. k. Kriminalistische Universitätsinstitut zu gründen. Dieses Institut, welches im Jahr 1913 seinen Betrieb aufnahm, war eines der ersten dieser Art weltweit.[12] Wenn auch das von Rudolf Archibald Reiß 1909 an der Universität Lausanne gegründete Institut für Polizeiwissenschaften zeitlich etwas voranging[13], so war die von Gross ins Werk gesetzte Verbindung von Kriminalistik und Kriminologie doch einzigartig und ein bleibendes Kennzeichen der Grazer Schule der Kriminologie, die Göppinger[14] auch als ‚enzyklopädische Kriminologie“ bezeichnete. Das Institut genoss im frühen 20ten Jahrhundert enorme Reputation.[15] Zusammen mit dem darin inkorporierten Kriminalmuseum ist es gelegentlich auch mit dem Prädikat ‚Mekka der Moderne‘ (Becker, a. a. O.) belegt worden. Allerdings währte die herausragende Stellung der ‚besonderen‘ Grazer Kriminologie nur wenige Jahrzehnte über den Tod von Gross im Jahr 1915 hinaus und sie verlor zusehends an Bedeutung. Seit 1978 gibt es sogar nicht einmal mehr ein eigenständiges Kriminologisches Institut an der KFU. Die Kriminalwissenschaften sind seitdem in Graz (wie mit wenigen Ausnahmen insgesamt im deutschen Sprachraum[16]) nur mehr ein ‚Anhängsel‘ des Strafrechts.“
Die kurze Würdigung der einzelnen Werke und der darin beinhalteten Aufsätze will ich im Andenken an Hans Gross und seinen 100ten Todestag mit dem 2015 herausgegebenen Band 12 der Reihe Austria: Forschung und Wissenschaft – Interdisziplinär (zweiter, der o. g. Besprechungsbände) beginnen. Hierin werden Gross als Privatier (Gernot Kocher), sein Geburtsort und Lebensmittelpunkt Graz als Stadt und seine Spezifika, die Gross prägten (Gerhard Dienes – tatsächlich hat er die Stadt beruflich wie auch privat nur wenige Jahre seines Lebens verlassen, z. B. für eine Professur in Czernowitz), seine Rolle und Geschichte als „Staatsdiener“ (Thomas Mühlbacher – neben seiner Zeit als Offizier hier insbesondere seine Rolle als langjähriger Untersuchungsrichter, welche ihn wohl auch zu seinem akribischen „Handbuch für Untersuchungsrichter“[17], 1. Auflage 1893, inspirierte, sein Interesse an den „strafrechtlichen Hilfswissenschaften“ oder auch den „Realien des Strafrechts“, insbesondere am kriminalistischen „Sachbeweis“ weckte und ihn so im September 1898 auch zum Herausgeber des „Archivs für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik“ [Beitrag von Pollak et al.] werden ließ) und das angespannte innerfamiliäre Verhältnis zwischen dem autoritären und strengen Vater und seinem Sohn Otto (Beitrag von Olenhusen) aufwendig quellengestützt[18] rekonstruiert und derart dem Leser zugänglich gemacht. In einem praktisch-kriminalistischen Beitrag von Bröer zu den Fernwirkungen der Gross‘ schen Arbeit bis heute und im Rahmen „historisch-epistemologischer Bemerkungen“ zur „Kriminalwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung“ von C. Bachhiesl entsteht ein dichtgewebtes, lebendiges Bild des Menschen und Wissenschaftlers und seiner Verdienste, insbesondere hinsichtlich seiner letztgenannten Rolle. Eine schöne, akribisch recherchierte und somit „runde“ Gedenkschrift, dem oftmals als „Vater der Kriminalistik“ apostrophierten Hans Gross angemessen, auch wenn man manche seiner Erkenntnisse heute als unpassend, ja stigmatisierend empfinden mag (vgl. Rath, Fn. 16).
Der 2014 herausgegebenen Band 10 der Reihe Austria: Forschung und Wissenschaft – Interdisziplinär ist, obwohl hierin ebenfalls Hans Gross eine „Hauptrolle“ spielt, keine Gedenkschrift und damit naturgemäß deutlich facettenreicher. Nur zwei der sechs Kapitel mit insgesamt 26 Beiträgen widmen sich unmittelbar Hans Gross, seinem Wirken und seinem Erbe bzw. seinem Fortwirken in Osteuropa und Zentralasien (Gross hatte von 1899 – 1902 eine Professur an der damaligen Franz-Josephs-Universität in Czernowitz, heute zur Ukraine gehörig). Die anderen vier Kapitel behandeln die Themenblöcke „Staat und Devianz vom 19. Jahrhundert bis heute“ (darunter zwei deutsche kriminalistische Beiträge von Ackermann „Zur Entwicklung der Kriminalistik in Deutschland“ und von Bode zur „Kriminalistik als Studienfach an den Hochschulen“), „Medizinische und naturwissenschaftliche Implikationen“ (mit einem Beitrag zur „Medizinischen Kriminalistik“ aus Freiburg), „Epistemologische und kulturwissenschaftliche Implikationen“ und zuletzt ein Kapitel zu „Kriminalhistorischen Fragmenten“ in Anlehnung an die zahlreichen thematischen Aufsätze, Urteilsbesprechungen und -anmerkungen von Gross in dessen Archiv.
Die wenigsten direkten Bezüge auf oder zu Hans Gross sind im 2017 herausgegebenen Band 13 der Reihe Austria: Forschung und Wissenschaft – Interdisziplinär zu finden. Von den drei Kapiteln des Bandes mit insgesamt 15 Beiträgen widmet sich nur das Kapitel 2, „Historische Zugänge – Hans Gross und sein Umfeld“ erneut dem Wissenschaftler und Menschen, das erste Kapitel behandelt das interessant umrissene Thema „Schuld und Strafe – Zentrale Problemfelder der Kriminalwissenschaft“, das dritte und letzte Kapitel des Bandes behandelt die „Wege kriminalistischer Forschung“ und reflektiert im Schwerpunkt auf aktuellere Kasuistik und kriminologische und kriminalistische Problemstellungen, bis hin zur „3D Bildgebung in der Forensik“.
Die Bände würdigen im Schwerpunkt Hans Gross und seine Verdienste um die modernen Kriminalwissenschaften und deren Fortentwicklung. Gross lag vor allem die praktische Ausbildung des Juristen am Herzen, so wie er es in seinem heute noch interessanten und nach wie vor aktuellen Aufsatz[19] „Die Ausbildung des praktischen Juristen“ für die „Zeitschrift für die Gesamte Strafrechtswissenschaft“ (14, 1 [1893], S. 1 – 18) zum Ausdruck gebracht hat. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits seit fast einem Vierteljahrhundert im Justizdienst mit der Bearbeitung von Strafsachen als „praktischer Jurist“ befasst (davon von September 1880 – November 1884 als Untersuchungsrichter). Sein Erbe ist epistemologisch wertvoll, in praktisch-institutioneller Hinsicht aktuell allerdings leider etwas verblasst, wie bspw. die Aufsätze von Ackermann und Bode zur Entwicklung der Kriminalistik und als Studienfach an den Hochschulen zeigen. Dennoch zeigen sich nach langer Trockenheit nun wieder erste, zarte Pflänzchen[20] auf der „disziplinären Wiese“[21]. Bock (Prof. em. für Kriminologie an der Universität in Mainz) hingegen mahnt an anderer Stelle eine „Lücke im Erbe von Hans Gross“ in Bezug auf die „Kriminologie im Strafverfahren“ an und verweist hierbei auf seine Forschungen zur „Angewandten Kriminologie“ und zur prognostischen „Methode idealtypisch vergleichender Einzelfallanalyse“ (MIVEA), bei der die Kriminologie einen Teil ihres interdisziplinären Potenzials[22] zum Ausdruck bringt.
Insofern tragen die insbesondere von C. Bachhiesl und dessen weitläufigen kriminalwissenschaftlichen Forschungsinteressen[23] zusammengetragenen Sammelbände über Österreich und das gebührende Andenken an Hans Gross hinaus dazu bei, den notwendigen disziplinären Entwicklungsprozess nicht abreißen zu lassen. Man könnte die drei zugrundeliegenden kriminalwissenschaftlichen Bände der Reihe Austria: Forschung und Wissenschaft – Interdisziplinär deshalb im übertragenen Sinne auch als begrüßenswertes österreichisches Bestreben deuten, nach den Vätern der Kriminalistik des ausgehenden 19ten und beginnenden 20ten Jahrhunderts, den Österreichern Hans Gross und Franz von Liszt und deren Versuch einer Promotio der „Hilfswissenschaften des Strafrechts“ zu eigenständigen Disziplinen, eine „Renaissance der Kriminalwissenschaften“ unter veränderten wissenschaftlichen Vorzeichen einzuläuten – nötig hätten es die Disziplinen allemal und die disziplinäre Wiese kann nach einem heißen und trockenen Sommer 2018 durchaus einiges Wasser vertragen, um wieder in ihrer vollen Pracht zu erblühen!
[1] Leben und Werk (Kurzbiographie), https://www.wjg.at/hans-gross/
[2] Rechtswissenschaftler und Kriminologe, Priv.-Doz., MMag., DDr., Leiter der Universitätsmuseen der Universität Graz, Kustos und Kurator des Hans Gross Kriminalmuseums (Virtuelle Sammlung des Kriminalmuseums) an der Karl-Franzens-Universität (KFU) Graz, Lektor am Institut für Geschichte und am Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie der KFU Graz, siehe Lebenslauf (Quelle KFU Graz).
[3] Promovierte Juristin und Philosophin, langjährige Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Zivilrecht und Mitarbeiterin am Hans Gross Kriminalmuseum der KFU Graz.
[4] Dr., Mag. rer. nat., Mitarbeiter am Hans Gross Kriminalmuseum der KFU Graz.
[5] Vgl. Website des Verlages.
[6] Prof. em. Dr. iur. DDr. h. c., Rechtshistoriker, Rechtsikonograph, Wiederbegründer und langjähriger Direktor des Hans Gross Kriminalmuseums der KFU Graz.
[7] Prof. Dr. iur., Leitender Staatsanwalt bei der StA Graz, Lektor am Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie der KFU Graz.
[8] Vgl. Website des Verlages.
[9] Promovierter Philosoph, Redakteur, ehem. Mitarbeiter am Hans Gross Kriminalmuseum der KFU Graz und Gastlektor am Institut für Philosophie der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.
[10] Vgl. Website des Verlages.
[11] Auszugsweise aus dem Vorwort der Hrsg. zu Band 10, 2014 (s. o.).
[12] Auch von Liszt, der Begründer der „Gesamten Strafrechtswissenschaft“, der sich nach seiner Berufung an die Königliche Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin im Jahr 1899 erstmals ernsthaft um die Einführung der „strafrechtlichen Hilfswissenschaften“, vor allem der Kriminalistik (um Juristen mit dem praktischen Handwerk der „Untersuchungskunde“ vertraut zu machen und als empirische Folge der Zweckbestimmung des Strafrechts), an der dortigen Juristenfakultät bemühte, war erst später und nicht in vollem Umfang seines Begehrens erfolgreich. Er führte zunächst sein bereits 1888 in Marburg gegründetes und 1889 in Halle fortgeführtes „Kriminalistisches Seminar“, seit dem 1. April 1900 sogar in den Liszt`schen Privaträumen in der Kantstraße 30 in Charlottenburg eingerichtet, an der Berliner Fakultät fort. Trotz intensiver Bemühungen von Liszts wird das „Kriminalistische Seminar“ per ministeriell bestätigter Satzung aber erst am 27. September 1913 als „Kriminalistisches Institut“ mit engem strafrechtlichen Aufgabenbezug institutionalisiert und von Liszt als dessen erster Direktor ernannt. Die „tatsächliche lehrmäßige Beschäftigung mit Kriminalistik beginnt (hingegen erst) im Jahr 1920, indem per ministeriellem Erlass Hans Schneickert (Dr. iur., hochrangiger Berliner Kriminalbeamter und Leiter des Erkennungsdienstes beim Polizeipräsidium Berlin, Mitherausgeber der „Signalementslehre“, München, 1908) beauftragt wird, die kriminalistischen Hilfswissenschaften, insbesondere die Kriminalpsychologie und den polizeilichen Erkennungsdienst in Vorlesungen und, soweit erforderlich, in Übungen zu vertreten“ (Leonhardt et al., „Die Kriminalistik an der Berliner Universität. Aufstieg und Fall eines Lehrfachs“, Kriminalistik Verlag, Heidelberg, 1994, S. 13).
[13] Allerdings dauert dieses bis heute fort und gehört heute als „Schule für Kriminalwissenschaften“ (ESC ) zu den weltweit führenden Einrichtungen der kriminalistisch-forensischen Lehre und Forschung.
[14] Ders., Kriminologie, C. H. Beck Verlag, München, 1980, S. 1
[15] So bezeichnet von Becker, 2010, S. 350, in Schmundt et al., „Mekkas der Moderne. Pilgerstätten der Wissensgesellschaft“ in seinem Aufsatz „Der praktische Blick am Tatort“.
[16] In Österreich gibt es, besetzt mit Prof. Dr. Christian Grafl, an der Universität Wien immerhin seit November 2011 wieder eine Professur für Kriminologie und Kriminalistik an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät.
[17] Groß, Hans / Höpler, Erwein (Hrsg.): Handbuch für Untersuchungsrichter als System der Kriminalistik, 1. und 2. Teil (hrsg. in zwei Bänden), Schweitzer Verlag (Arthur Sellier), München, Siebente Auflage (nach dem Tod von Gross weiterbearbeitet von Dr. Erwein Höpler), 1922.
Groß, Hans / Geerds Friedrich: Handbuch der Kriminalistik. Wissenschaft und Praxis der Verbrechensbekämpfung, Band 1: Die Kriminalistik als Wissenschaft. Die Technik der Verbrechen. Kriminaltechnik, Pawlak Verlagsgesellschaft, Herrsching (begründet als „Handbuch für Untersuchungsrichter“ von Hans Groß), 10., völlig neu bearbeitete und letzte Auflage, bearbeitet von Friedrich Geerds, 1977.
Martin Rath von der taz titelt bei lto.de hierüber: „Das merkwürdige ‚Handbuch für Untersuchungsrichter‘“. Da etwa zur gleichen Zeit (1887) der schottische Arzt Conan Doyle seine erst Sherlock-Holmes-Geschichte präsentierte („A Study in Scarlet“), vergleicht Rath die beiden Protagonisten miteinander. Obgleich der Vergleich schon wegen des Genres etwas „hinkt“, fasst Rath folgendermaßen zusammen: „Der Gründungsvater der Kriminalistik im deutschsprachigen Raum, Hans Gross, rangiert zwischen Sherlock Holmes und Franz Kafka. Sein Werk wirkt heute kurios, eine Mischung aus profundem Wissen und hochkarätigem vulgärkriminologischem Unfug. Mit seinem ‚Handbuch für Untersuchungsrichter. System der Kriminalistik‘ legte der österreichische Justizpraktiker und Rechtsprofessor Hans Gross (1847–1915) erstmals im Jahr 1893 eine umfassende Darstellung des kriminalwissenschaftlichen Erkenntnisinteresses und wichtiger Methoden dieses neuen Zugangs zum Verbrechen vor. Dem wichtigsten Entrepreneur der Kriminalwissenschaft im deutschsprachigen Raum gelang in dieser Epoche die Trennung zwischen moderner Erkenntnis und krudem Unfug leider weniger gut“, wofür Rath einige Beispiele findet, insbesondere solche, bei denen Gross deduziert, vom Besonderen zum Allgemeinen schloss und dabei auch ganze Gruppen in heute unangenehm anmutender Weise kompromittierte.
[18] Eine Besonderheit der Gedenkschrift ist ein Ausschnitt aus einem erst spät ausgewerteten Briefwechsel (ca. 100 von 400 Briefen, die dem Kriminalmuseum aus verstreutem Privatbesitz zugänglich gemacht wurden) Gross‘ mit seinem Cousin Alfred Anthony von Siegenfeld, die ihn als traditionsbewussten, familienorientierten, aber auch ehrgeizigen, zielbewussten und deutschnational ausgerichteten Menschen präsentieren, der an Geschichte, Natur, Kultur und Technik interessiert war – insgesamt ein Spiegelbild seiner im Handbuch zu Tage tretenden und ihm auch immer wieder attestierten Vielseitigkeit.
[19] Nicht zuletzt de Vries, Artkämper/Neuhaus et al. fordern noch heute (in Anlehnung an Peters, welcher als letzter in den 1980er Jahren eine umfassende wissenschaftliche Untersuchung zu Fehlern im Strafprozess vorlegte), die juristische Ausbildung um prozesspraktische, kriminalistische Elemente („Strafprozesslehre“) zur Fehlervermeidung zu ergänzen, aber, diese Elemente sind nach wie vor nur vereinzelt in den Curricula und Ausbildungs- und Prüfungsordnungen zu finden.
[20] In Deutschland und Österreich finden sich inzwischen einige universitäre Studiengänge mit der Konnotation „Kriminalistik“ im Namen, mindestens mit einem signifikanten Stundenanteil als Wahlbereich (vgl. Ruhr-Universität Bochum, http://www.makrim.de oder Steinbeis-Hochschule Berlin, School CIFoS, in Österreich, vgl. Fn. 16). An den Fachhochschulen der Polizei zeichnen sich vereinzelt (Hamburg, Berlin, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Hessen etc.) wieder eigenständige Berufsausbildungszweige mit einem Direkteinstieg bei der Kriminalpolizei ab, die im Schwerpunkt auf kriminalistisch-kriminologische Inhalte rekurrieren.
[21] Wenngleich Bröer in seinem Beitrag zum Gedenkband (S. 204) richtigerweise anmerkt, dass es bis heute keine verbindliche Definition der Wissenschaft Kriminalistik“ gäbe, was zeigt, dass die Disziplin trotz umfänglichen Schriftguts nach wie vor dabei ist, ihren Gegenstandsbereich zu konstruieren und diesen Prozess trotz der strukturellen Vorarbeiten im Erbe von Gross und seinen Nachfolgern noch lange nicht abgeschlossen hat.
[22] Köchel (Fn. 9) umreißt in seinem Beitrag die „Interdisziplinäre Kriminologie“ als ein nach wie vor „unvollendetes Projekt“. Man kann ihm dabei angesichts des Gegenstandes und der möglichen Reichweite der Disziplin zum Teil beipflichten, obgleich z. B. die beiden Institute für Kriminologie in Heidelberg und Tübingen oder auch verschiedene kriminologische Forschungsinstitute (MPICC Freiburg, KFN) in punkto wissenschaftlichen Personals und Forschungsschwerpunkte durchaus „interdisziplinär“ aufgestellt und unterwegs sind.
[23] So beschäftigt er sich als Herausgeber und Autor an anderer Stelle (Bachhiesl et al., „Kriminalität, Kriminologie und Altertum“, Reihe: „Antike Kultur und Geschichte“, hrsg. von Prof. Dr. Kai Brodersen, Band 17, LIT-Verlag Wien) u. a. auch mit dem Thema „Empirie und Hermeneutik“ am Beispiel des „Nutzens und Nachteils interdisziplinärer Zusammenarbeit von Archäologie und Kriminalwissenschaft“.
Rezensiert von: Holger Plank