Ferdinand von Schirach – Die Würde ist antastbar

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von Schirach, Ferdinand; Die Würde ist antastbar; 2014 Piper, München, 135 Seiten, 16,99€, ISBN 978-3492056588

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Der Autor Ferdinand von Schirach ist als Autor verschiedener Roman-Bestseller und als Rechtsanwalt bekannt. In seinen bisherigen Werken setzt er sich teils fiktiv, teils durch seine Tätigkeit als Rechtsanwalt inspiriert, kritisch mit der deutschen Justiz, ihrer Geschichte, mit Schuld- und mit Strafragen auseinander. Sein im August 2014 veröffentlichtes Buch, Die Würde ist antastbar, enthält eine Sammlung von 13 Essays, die er für den Spiegel schrieb. Darin greift der Autor verschiedene gesellschaftliche und politische Fragestellungen auf, die das 21. Jahrhundert bewegen. Sein besonderes Augenmerk gilt der Vereinbarkeit der aktuellen gesellschaftlichen und insbesondere durch die neuen Medien geprägten Veränderungen mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die unser Grundgesetz festschreibt. Im Zentrum steht dabei die Würde des Menschen. So fragt von Schirach nach dem Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit, zwischen Recht und Moral, zwischen Justiz und Presse, zwischen Europa und parlamentarischer Demokratie, zwischen neuen Medien und alten Rechten, den Chancen, die sie uns bieten und den Veränderungen, die sie für unsere Gesellschaft bereithalten. Von Schirach fragt auch nach Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Wahrheit. Er äußert sich zudem zu seiner eigenen Geschichte und der seiner Familie. Dabei erklärt er sich erst- und letztmalig öffentlich zu seinem Großvater, Balduin von Schirach, ehemalige NS-Führungspersönlichkeit, beschreibt, wie er immer wieder im Laufe seines Lebens mit diesem belastenden Erbe konfrontiert wurde und welche Sprachlosigkeit es hinterlässt.

Von Schirach gibt keine Antworten, er wirft aber grundlegende Fragen auf, die in unserer Gesellschaft gestellt werden müssen. Er regt so seine Leserschaft zu kritischer Eigenreflexion an. Persönliche Kritik schwingt dabei eher unterschwellig mit und wird doch deutlich zum Ausdruck gebracht. Die bearbeiteten Themen werden lediglich leicht angerissen und bleiben oberflächlich. Der Autor liefert weder grundlegend neue Erkenntnisse, noch verfolgt er einen wissenschaftlichen Anspruch. Die Quintessenz der Sammlung ist schnell auf den Punkt gebracht: Die Würde des Menschen wurde in der Geschichte immer wieder angetastet, aber vielmehr noch: Sie wird es bis heute. Der Schutz der Menschenwürde ist ein Balanceakt, der nicht immer gelingt. Auch in modernen Demokratien, wie sie das Grundgesetz festschreibt, fällt die Menschenwürde allzu leicht anderen Interessen zum Opfer.

Die Texte sind leicht verständlich und stellen keinen zu hohen Anspruch an ihren Leser. Von Schirach bleibt seinem bisherigen Stil treu: Die Lektüre regt zum Nachdenken an, ist aber zugleich unterhaltsam. Die schlichte und präzise Sprache, die provokante Ironie, die sie begleitet, machen das Buch zu einem spannenden Lesevergnügen. Der Leser wird unterhalten und zugleich auf unterhaltsame Art gefordert. Gerade dadurch leistet das Buch einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs. Mit seiner Kritik trifft von Schirach den Nerv der Zeit. In unserer schnelllebigen Gesellschaft erscheinen jedoch einige der angeschnittenen Themen im Jahre 2015 fast überholt. Dennoch: Insgesamt lohnt die Lektüre.

Rezensiert von: Rahel Weingärtner