Manuela Wade – Mikrokosmos Stadtviertel. Lokale Partizipation und Raumpolitik

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Wade, Manuela; Mikrokosmos Stadtviertel. Lokale Partizipation und Raumpolitik; Transcript Materialien 21,Bielefeld 2015, ISBN 978-3-8376-2888-3, 216 S., 27,99 Euro

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Seit der „Chicago School“ und der Studie von Park u.a. („The City“, 1925) weiß auch die Kriminologie um die Bedeutung von Stadtteilen[1]. Raum, Umwelt und Wohnbedingungen haben größeren Einfluss auf abweichendes Verhalten als individuelle, persönliche Faktoren. Kriminalität „haftet“ an Stadtvierteln – eine Erkenntnis, die sich auch die aktuellen Studien zu „Predictive Policing“ nutzbar machen.

Zunehmende Disparitäten innerhalb von Städten, Privatisierung staatlicher Bereiche, steigende Wohnkosten – Prozesse wie diese manifestieren sich in einzelnen Stadtvierteln und schaffen Bedingungen, die sich (auch) auf die Kriminalitätsbelastung auswirken, die aber eben auch Initiativen der Bevölkerung auslösen. Gleichzeitig verändern sich Orte in ihren Bedeutungen durch das Handeln der Menschen auf der einen und durch staatliche Strategien auf der anderen Seite. Manuela Wade geht diesen Prozessen nach und zeigt, wie die Bewohner von drei ausgewählten Stadtvierteln in unterschiedlichen Teilen der Welt damit umgehen, welche Rolle Wohnen in diesem Kontext spielt und warum dies zu einer Repolitisierung der Stadt führen kann.

Die Autorin antwortet (auf der Website des Verlages[2]) auf die Frage, mit wem sie gerne das Buch diskutieren würde: „Mit Marie Jahoda, einer der AutorInnen von ›Die Arbeitslosen von Marienthal‹, über soziale und politische Partizipation unter schwierigen Voraussetzungen – also in Vierteln, die von sozialer Exklusion besonders betroffen sind. Daran anschließend würde ich mit ihr über methodische Möglichkeiten, diese zu dokumentieren und zu analysieren, diskutieren. Es wäre, denke ich, ein Gespräch über die Zukunft der Sozialreportage in einem wissenschaftlichen Sinn.“ Auch dies macht deutlich, dass es nicht nur soziologische Bezüge sind, die stadtteilbezogene Studien herstellen, sondern eben auch kriminologische. Soziale Exklusion gilt inzwischen als wesentlicher Faktor für Kriminalität.

Warum genügen nun aber die von der Polizei erstellten kriminalgeografischen Karten und die Sammlung und Auswertung entsprechender Geo-Daten nicht? Warum muss man mehr über Stadtviertel und auch Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung wissen? Die Antwort ist relativ einfach: Die reinen, geodatenbasierten Zahlen sagen nichts aus über Ursachen und Hintergründe von Belastungen und Entwicklungen. Genau dieses Wissen aber ist wichtig, um die Daten zu interpretieren und für polizeiliche aber auch städtebauliche oder sozialpolitische Planungen zu verwenden. Reine statistische Zusammenhänge mögen uns darlegen, wo sich Probleme häufen, gehäuft haben und vielleicht auch in Zukunft häufen werden. Sie geben uns aber keine Hinweise darauf, was getan werden sollte, um diese Problemhäufungen zu beseitigen.

Insofern ist das Buch von Wade wichtig. Es macht deutlich, wie sich soziale Ungleichheiten verräumlichen, wie einzelne Stadtviertel unter bestimmten Zuschreibungen leiden (Bsp.: Duisburg-Marxloh) und was geändert werden muss, um Stadtviertel wieder lebenswert zu machen und zu sozialen Orten. Wenn wir wissen, dass die soziale Kohäsion ein entscheidender kriminalpräventiver Faktor ist, dann muss man sich die Frage stellen (und beantworten), wie diese Kohäsion (wieder) hergestellt werden kann.

Das Buch von Wade thematisiert aber auch das Wechselverhältnis zwischen globalen und nationalen Entwicklungen – ein Aspekt, der vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingsproblematik besonders relevant erscheint.

Manuela Wade interviewt die Bewohner der von ihr untersuchten Stadtteile. Denen eine Stimme geben, die keine haben – das war schon in den 1980er Jahren das Ziel von Stadtteilarbeit – leider wurde dieses Ziel in den letzten Jahrzehnten vor dem Hintergrund anderer Ansätze aus den Augen verloren. Es ist Zeit, den Fokus wieder darauf zu richten.

[1] Ein Auszug aus dem Buch findet sich unter http://www.esperdy.net/wp-content/uploads/2009/09/Park-The-City.pdf

[2] http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-2888-3/mikrokosmos-stadtviertel

Rezensiert von: Thomas Feltes