Mario Martini – Zwischen Agora und Arkanum: die Innenministerkonferenz als Gegenstand des Informationsrechts. – Rezensiert von: Holger Plank

 Martini, Mario Prof. Dr. [1]; Zwischen Agora und Arkanum: die Innenministerkonferenz als Gegenstand des Informationsrechts.[2] Zu parlamentarischen, presse- und informationsfreiheitsrechtlichen Herausgabe- und Auskunftsansprüchen hinsichtlich nicht freigegebener Beschlüsse der IMK; ISBN: 978-3-428-15049-6, 284 Seiten, Duncker & Humblot, Berlin, Schriftenreihe der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, Band 236, 2018, 69,90 €

Von Fachministerkonferenzen[3] über Bund-Länder-Kommissionen bis hin zu den kooperativen sicherheitsrechtlichen Kooperationsplattformen des Ge­mein­samen Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ Berlin), des Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums (GETZ Köln), dem  hat der deutsche Föderalis­mus eine bunte Vielfalt ebenen- und behördenübergreifender Gremien hervor­gebracht. Die infor­matorische Rechtsstellung dieser föderalen Kooperations­gre­mien war (zumindestens bis zum vorliegenden Gutachten) bislang ein weit­gehend „weißer Fleck auf der Landkarte des Informationsrechts“. In ihrem „apo­kryphen Charakter fügen sie sich nicht bruchlos in die Verpflichtungsstruktur ein, an welche die Systematik der Informations- und Kontrollrechte der Ver­fassungen so­wie der Presse- und Informationsfreiheitsgesetze anknüpft“.

Am Beispiel und im Auftrag der in heutiger Form und Organisation im Jahre 1954 ins Leben gerufenen Innenministerkonferenz[4] (IMK) als „Impulsgeber eines ko­operativen Föderalismus“ (S. 21), unter jährlich wechselndem Vorsitz (derzeit Schles­wig-Holstein), als wichtiger Drehscheibe des intraföderalen si­cher­heits­recht­lichen Dialogs (S. 20), erstellte Martini bereits im Jahr 2015 ein Gutachten zu der Frage, inwie­fern die Beschlüsse der Konferenz, insbesondere die nicht freigegebenen Be­schlüsse[5], Auskunfts- und Herausgabeansprüchen Dritter (Par­la­­ments­abge­ordne­te, Private und Datenschutzbeauftragte) ausgesetzt sind. Die Anfragen, so der Verfasser, steigen kontinuierlich an, weswegen diese tief­grei­fende gutachtliche Ausarbeitung sehr bedeutsam ist und schon deshalb per Beschluss der IMK (siehe unten, a. a. O.) auch an alle anderen Geschäftsstellen der Fach­ministerkonferenzen und der Ministerpräsidentenkonferenz z. K. weitergegeben wurde. Dieses Gut­achten bildet in wesentlichen Teilen auch die Grundlage der vorliegenden Mono­graphie.

Die IMK bezog in ihrer 202. Sitzung[6] zu dem vorgelegten Gutachten in Form eines Be­schlusses Stellung, welcher nachfolgend in Auszügen dargestellt wird:

  • Es gilt grds. das „Öffentlichkeitsprinzip“ (vgl. Beschluss zu TOP 41 der 161. Sitzung vom 05.05.2000), wenngleich „sicherheitspolitische Aufga­benstel­lungen der Innen­ressorts immer wieder dazu zwingen, von einer Ver­öffentlichung der gefassten Beschlüsse und vor allem der Berichte abzusehen“.
  • „(…) das Gutachten bestätigt im Ergebnis die bisherige Praxis der IMK (…)“, sodass ein wesentlicher Änderungsbedarf an der Verwaltungspraxis nicht angezeigt ist.
  • „(…) auch in Zukunft (bedarf es aber in jedem Einzelfall) einer sorgfältigen Prüfung“. Hinsichtlich des Beschlusses hierüber gilt das Einstimmig­keits­prinzip („Vetorecht“).[7]
  • Nichtfreigabebeschlüsse werden regelmäßig, „in der Regel frühestens nach zwei Jahren“, überprüft.
  • (…)

Martini begibt sich in seinem Gutachten akribisch und sehr feinsinnig auf die Suche nach dem exakten Grenzverlauf zwischen dem Informations­interesse der Öffentlichkeit und nach (notwendig) geschützten Räumen informellen behör­dlichen Aus­tauschs. Eine schwierige kasuistische Frage, mit der sich auch das Bundes­verfassungsgericht bereits mehrfach, zuletzt mit Urteil des Zweiten Senats vom 07. November 2017 (2 BvE 2/11, BVerfGE 147, 50 – 184), am Beispiel der Bundesregierung auseinanderzusetzen hatte.

Informationsansprüche Dritter könnten sich grds. aus dem „parlamentarischen Kontrollrecht“, dem „allgemeinen Informationsfreiheitsrecht des Bundes und der Länder“, den „besonderen Befugnissen der Datenschutzbeauftragten“ oder auch aus „medienrechtlichen Normen“ ergeben. Diese Prüfungsgrundlagen bilden hier­bei zugleich in wesentlichen Teilen die innere Gliederung des Werks, welches hierzu in der Anlage zudem auch eine sehr gute Übersicht über alle spezifischen länder­verfassungs-, infor­ma­tionsfreiheits- wie auch presserechtliche Bestim­mungen anbietet. Ein sehr guter Service!

Im Verhältnis zu dem o. g. Gutachten hat die Monographie eine nachhaltige inhaltliche Ergänzung, Anpassung und Aktualisierung mit Rechtsstand August 2017 erfahren. So entsteht ein sehr genauer Wegweiser durch das Dickicht der öffentlichen Kontrolle im kooperativen Föderalismus, der fein zwischen dem hohen Gut der Transparenz politischer Entscheidungen im demokratischen öffentlichen Raum (am Bsp. der IMK, aber im Grunde durchaus generaliserbar) und im Einzelfall begründeten Geheimhaltungsbedürfnissen abwägt und hierbei ver­sucht, dogmatische und tatsächliche Grenzen in einem akribischen Abwä­gungsprozess auszutarieren.

[1] Prof. Dr. iur. Mario Martini, Rechtswissenschaftler, seit 2010 Inhaber des Lehrstuhls für Ver­waltungswissenschaft, Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Europarecht an der Universität Speyer, zuvor Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht an der LMU München.

[2] Vgl. Verlags-Website inkl. eines Inhaltsverzeichnisses zu dem Band.

[3] Eine verlinkte Übersicht aller bundesdeutschen Fachministerkonferenzen bietet bspw. die Agrarministerkonferenz auf ihrer Website, Stand 2019.

[4] Vorher als „Arbeitsgemeinschaft“ existent. Die genaue Bezeichnung des aktuellen „Formats“ ist „Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder“, wonach klar wird, dass der Bundesminister des Innern „nur“ als „ständiger Gast“, zwar mit Rede- und Antrags-, je­doch ohne Stimmrecht, teilnimmt. Die Konferenz mit ständiger Geschäftsstelle beim Bun­desrat in Berlin trifft sich zwei Mal jährlich und wird durch sechs ständige Arbeitskreise (AK), bestehend aus den jeweiligen Abteilungsleitern der Innenressorts der Länder und des Bundes (im AK II, „Innere Sicherheit“, sind außerdem die Präsidenten des BKA und der DHPol, im AK IV, „Verfassungsschutz“, der Präsident des BfV regelmäßige Teilnehmer).

[5] Die TOP der in der Regel beiden jährlichen („Frühjahrs- und Herbsttagung“) Sitzungen wer­den von der Geschäftsstelle der IMK beim Bundesrat jeweils veröffentlicht. Hinzu kommt eine zusammenfassende Aufstellung der „freigegebenen“ Beschlüsse, hier am Bsp. der 209. und damit letzten Sitzung der IMK im November 2018 illustriert.

[6] TOP 23 (nebst Beschluss und Anlage Gutachten hierzu) der 202. IMK-Sitzung im Juni 2015.

[7] Konkretisierende Regeln, wann als vertraulich eingestufte oder nicht zur Veröffentlichung freigegebene Beschlüsse bzw. Bericht für die interessierte Öffentlichkeit verfügbar sein sollten, hat die IMK zuletzt im Jahr 2011 erlassen. Hierbei lehnt sich das Gremium an die Verschlusssachenanweisung des Bundes (VSA Bund) an, belässt das Entscheidungsrecht in der Verantwortung der für die Herausgabe angefragten Stelle und beschließt zudem, dass „Beschlüsse und Dokumente ohne VS-Einstufung, welche die IMK nicht im Rahmen ihrer Beschlussfassung freigegeben hat, (…) spätestens nach einer Frist von 30 Jahren als für die Öffentlichkeit freigegeben behandelt“.

Rezensiert von: Holger Plank