Sammelbesprechung: Wolf, Norbert[1]; Fälle zur Kriminalistik und Kriminaltechnik[2]; von der Grün, Ursula-Isabel[3]; Verdeckte Ermittlungen[4]; ISBN: 978-3-406-71968-4, 224 Seiten, C. H. Beck Verlag, München, 2018, Reihe: Verwaltung und Recht, 22,90 € sowie b. ISBN 978-3-406-71967-7, 216 Seiten, C. H. Beck Verlag, München, Reihe: Verwaltung und Recht, 22,90 €)
Zunächst zu Norbert Wolf. Er präsentiert in didaktisch gelungener Weise 30 praxisrelevante Fallgestaltungen und führt den Leser mit Vorgehens- und Lösungshinweisen sachgerecht zum Ziel, einer möglichst sachgerechten, kriminaltaktisch angemessenen und vorschriftenkonformen Bewertung.
Das Buch ist chronologisch zwar speziell auf das Curriculum der Fächer Kriminalistik / Kriminaltechnik innerhalb der Modulstruktur des Studiengangs „Polizeivollzugsdienst“ an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung (FHöV) in NRW abgestimmt, ist jedoch kasuistisch grds. für das Studium an polizeilichen Fachhochschulen recht gut nutz- und verwertbar. Ein besonderer Mehrwert für die Studierenden ergibt sich über die die drei Kapitel des Werks (Grundstudium, Hauptstudium 1.2 und Hauptstudium 2.1) jeweils abschließenden insgesamt fünf Musterklausuren, die mit kurzen Hinweisen zur Bearbeitungssystematik versehen sind. Die entwickelten Fälle orientieren sich am Kompetenzprofil der Studierenden in der polizeilichen „Einheitslaufbahn“[5]. Sie behandeln berufsalltagstypische Situation in den Kategorien
- „Kriminalistische Fallanalyse“[6] (9 Fälle)
- Anzeigenaufnahme (2 Fälle)
- Tatort und Sicherungsangriff (3 Fälle)
- Auswerteangriff (2 Fälle)
- Vernehmung (3 Fälle)
- Haftsachenbearbeitung (1 Fall)
- Gewalt im sozialen Nahraum (2 Fälle)
- Sachbearbeitung – Wiedererkennungsverfahren (1 Fall)
- Erster Angriff u. Sachbearbeitung bei Sexualdelikten (1 Fall)
- Sachbearbeitung bei Betäubungsmitteldelikten (1 Fall)
- Sachbearbeitung IuK-Kriminalität (1 Fall)
- Vermisste (1 Fall)
- Todesermittlungen (2 Fälle)
- Erster Angriff bei Branddelikten (1 Fall).
Das Buch ist in der Anlage polizeipraktisch ausgerichtet und leitet andererseits die Studierenden hinsichtlich der Darstellungssystematik bei Leistungsnachweisen während des Studiums sehr sachgerecht an. Das ist durchaus notwendig und wird von den Studierenden explizit gewünscht, so der Autor, unterscheidet sich die Kriminalistik und ihre Falllösungssystematik schematisch doch z. T. erheblich von den rechtswissenschaftlichen Fächergruppen. Eine vertiefte fachliche Auseinandersetzung, insbesondere mit Bezug auf relevante Eingriffstatbestände, wird deshalb nicht angeboten. Das ist aber nicht schädlich, bleibt das Buch doch damit gut lesbar und als Lernhilfe nützlich, da das eingriffsrechtliche Themenfeld einigen weiteren Bänden der Beck‘ schen Reihe „Verwaltung und Recht“, bezogen auf die Kriminalwissenschaften insbesondere dem von Wolf gemeinsam mit Dr. Monika Pientka[7] Band „Kriminalwissenschaften I“[8] und dem von Pientka allein herausgegebenen Band Kriminalwissenschaften II[9] vorbehalten ist. Insofern ist diese Reihe an den Schnittstellen der Kriminalwissenschaften gut aufeinander abgestimmt.
Das Buch wird deshalb sowohl systematisch, didaktisch wie auch inhaltlich dem Anspruch des Herausgebers und auch den Erfordernissen des Studiums gerecht und ist auch für den (schutzpolizeilichen – weniger für den kriminalpolizeilichen) Praktiker lesenswert.
Überhaupt ist die Fachhochschule NRW (nicht nur) im Bereich der kriminalwissenschaftlichen Literatur sehr aktiv, wie bspw. das ebenfalls 2018 im Eigenverlag herausgegebene Werk von Dr. Frank Kawelovski[10], „Kriminaltechnik für Studierende und Praktiker“ zeigt. Die Reihe „Verwaltung und Recht“ bietet darüber hinaus eine ganze Reihe anderer, auf das Bachelorstudium „Polizeivollzugsdienst“ v. a. an der FHöV NRW abgestimmte rechtswissenschaftlicher Bände[11].
Etwas näher eingehen möchte ich noch auf einen weiteren interessanten Band der Reihe „Verwaltung und Recht“ mit dem Titel „Verdeckte Ermittlungen“ (vgl. Fn. 4), 2018 von Ursula-Isabel von der Grün herausgegeben.
Das Buch folgt einem ähnlichen didaktischen Ansatz wie das Werk von Wolf und richtet sich daher auch in erster Linie an Studierende, schon weil es im 2. Teil zwei Übungsklausuren mit stichpunktartigen Lösungsskizzen anbietet. Das Buch bietet aber auch dem interessierten Berufspraktiker einen ersten schnellen, gleichermaßen in die grundlegende Systematik verdeckter Maßnahmen einführenden wie auch praxisnahen Einstieg in diese schon angesichts der Fülle des diesbezüglichen Maßnahmenspektrums und dessen möglicher Implikationen immer wichtiger werdende Thematik. Kasuistisch wird man in der Praxis allerdings nicht ohne eine Literatur- und Rechtsprechungsvertiefung ans Werk gehen können.
Zudem sind, ein maßgeblicher Verknüpfungsaspekt des Werks, die meisten verdeckten Informationsgewinnungseingriffe inzwischen auch präventiv in den jeweiligen Länderpolizeigesetzen verankert. Kaum ein sicherheitsbehördliches Verfahren, jedenfalls im repressiven Bereich mittelschwerer und schwerer Kriminalität, kommt heute im Rahmen der Verdachtsgewinnungsstrategien ohne verdeckt angelegte Maßnahmen aus. Diese finden in der Regel in einer sehr frühen Phase des Ermittlungsverfahrens mit dem Ziel statt, mit einem bereits hinreichend konturierten Rahmen des mutmaßlichen strafbaren Anlassgeschehens in die „offene Phase“ gegenüber den Verfahrensbeteiligten eintreten zu können.
Im Rahmen sicherheitsbehördlicher „Doppelfunktionalität“ und der „Schwerpunkttheorie“ können Sicherheitsbehörden zudem durchaus auch zur gar nicht so seltenen Einschätzung gelangen, dass relevante Handlungen eine konkrete, unmittelbar abzuwendende Gefahr für Schutzgüter der sehr weitreichenden „öffentliche Sicherheit“ bedeuten und im Rahmen einer „Dominanzentscheidung“ primär das Polizeirecht zur Abwehr der Gefahr zu Anwendung kommt. Die hierbei gewonnen Erkenntnisse können i. d. R. jedoch im nächsten Schritt und ohne unüberwindbare rechtliche Schranken in ein Strafverfahren überführt werden. Diese präventiven Parallelvorschriften greift die Autorin gleich für mehrere Bundesländer[12] auf.
Egal in welcher Rechtssphäre, in diesem „verdeckten“ Stadium des Gefahrenabwehr- bzw. Ermittlungsverfahrens sind dem Betroffenen naturgemäß wesentliche Beteiligtenrechte verwehrt, weshalb die Tatbestandsvoraussetzungen besonders restriktiv, vor allem hinreichend bestimmt gefasst sein sollten, anwenderseitig exakt ausgelegt und in strikt verhältnismäßiger Anwendung angewandt werden müssen, was gut herausgearbeitet wird. Zudem bedarf es schon wegen der staatlichen Pflicht, die grundrechtlich geschützten Freiheiten als autonome Sphäre des Einzelnen, insbesondere den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zu respektieren, zusätzlicher Regelungen, bspw. weitreichender Benachrichtigungspflichten, damit Betroffene ihr Rechtsschutzbedürfnis überhaupt wahrnehmen können. Diese Umstände werden von der Autorin im Fortgang der Zielgruppe des Werks ansprechend, zugleich geordnet wie auch prägnant präsentiert und unter Darlegung wesentlicher höchstrichterlicher Auslegung auch im Rahmen des Gesamtumfangs des Buches hinreichend problematisiert.
Das Buch ist in zwei Abschnitte (vgl. hierzu auch das Inhaltsverzeichnis, verlinkt in der Fn. 4) gegliedert und enthält zudem einen Anhang, in welchen den intensiver behandelten repressiven Eingriffsbefugnissen ländergefahrenabwehrrechtliche Äquivalente gegenübergestellt werden. Der erste Teil gliedert sich in dreizehn Kapitel, neben einer kurzen Einführung in die bis zum Jahr 1968 den Geheimdiensten vorbehaltene Historie[13] und die Besonderheiten „verdeckter Ermittlungen“, werden in den folgenden zwölf Kapiteln alle in der Praxis bedeutsamen verdeckten Ermittlungs- bzw. Informationserhebungsbefugnisse behandelt. In den einzelnen Kapiteln finden sich auch immer wieder kleinere Übungsfälle mit kurzen Lösungsskizzen zur Vertiefung. Besonders relevante Umstände werden zudem über farblich gekennzeichnete Kästchen hervorgehoben. Jedes Kapitel wird jeweils durch einen Blick in gefahrenabwehrrechtliche Parallelvorschriften der genannten Bundesländer (vgl. Fn. 13) abgerundet. Der zweite Abschnitt enthält 2. Übungsklausuren, über die das erworbene Wissen systematisch in eine Klausurlösungssystematik überführt werden kann.
Das Werk ist m. E. didaktisch gelungen, trotz seiner Prägnanz ausreichend facetten- und konturenreich, sehr übersichtlich gegliedert und berücksichtigt die laufbahnprüfungsrelevanten Bedürfnisse der Zielgruppe, insbesondere der FH-Studierenden in den Bachelor-Studiengängen „Polizeivollzugsdienst“ des Bundes und der Länder in sehr ansprechender Weise.
Mit dem inzwischen ansehnlichen Portfolio der eingangs erwähnten Reihe entsteht eine wirklich praxis- bzw. ausbildungsrelevante Plattform für die Zielgruppe mit ausreichenden Hinweisen und Verweisungen auf vertiefende Literatur. Allerdings, dieses sehr dynamische Feld bedarf wohl auch künftig enger Beobachtung und Begleitung. Ich gehe daher jedenfalls für das im Schwerpunkt rechtswissenschaftliche Angebot der Reihe davon aus, dass nach dieser gelungenen, weil grundlegenden „Kärrnerarbeit“ in relativ kurzen Zeiträumen weitere Auflagen unter Berücksichtigung aktueller Rechtsprechung folgen müssen. Davon muss man wohl schon aufgrund zahlreicher anhängiger Verfassungsbeschwerden gegen die Mehrzahl der besprochenen Maßnahmenkategorien (und zwar in repressiver wie auch vor allem präventiver Ausrichtung) ausgehen.
[1] Leitender Kriminaldirektor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in NRW, Fachbereich Polizei, Landesfachkoordinator Kriminalistik und Kriminaltechnik, vgl. Website der FHöV NRW.
[2] Siehe Website des Verlags und Inhaltsverzeichnis.
[3] Prof. Dr. iur. an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg, Fakultät III Rechtswissenschaften.
[4] Vgl. Website des Verlags und Inhaltsverzeichnis.
[5] Zum Begriff vgl § 2 Abs. 1 LVOPol NRW vom 04.01.1995. Insbesondere wird in diesem Modell kein eigenständiger, auf die spätere Verwendung bei der Schutz- bzw. Kriminalpolizei ausgerichteter Ausbildungs- bzw. Studiengang angeboten. Eine vertiefte kriminalistische Heuristik / Syllogistik bleibt daher anderen Werken vorbehalten.
[6] Soll helfen, Anwendungssicherheit im Rahmen der „kriminalistischen Verdachtslehre“ auf polizeilich relevante Sachverhalte zu erlangen
[7] Kriminaldirektorin i. R., bis 2018 Sprecherin des Fachbereichs Polizei an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in NRW, Geschäftsführerin „talakademie“, Beraterin und Coach.
[8] Vgl. Website C. H. Beck Verlag, 3. Auflage 2017, nebst Inhaltsverzeichnis.
[9] Vgl. Website C. H. Beck Verlag, 2. Auflage 2018, nebst Inhaltsverzeichnis.
[10] Kriminalhauptkommissar an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in NRW, Fachbereich Polizei, Außenstelle Mühlheim a. d. Ruhr; vgl. auch die Website des Autors „Polizeigeschichte Info-Pool“. Der Autor bietet das Buch auf seiner Website zum kostenlosen Download an.
[11] Z. B. den Band „Eingriffsrecht“, in der 4. Auflage 2018 herausgegeben von KHK Jörg Bialon und PD Uwe Springer bzw. die Bände zum Grund– und Hauptstudium Strafrecht etc., beide 2019 erschienen, herausgegeben von Prof. Dr. Waltraud Nolden et. al. bzw. von Ltd. Regierungsdirekor Ralf Holzberg et al. und zahlreiche andere Werke.
[12] Behandelt werden die Ländergefahrenabwehr- bzw. Polizeigesetze der Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, wenngleich in einigen Fällen aufgrund der inzwischen erfolgten Novellierung der entsprechenden Vorschriften nicht immer auf dem aktuellsten Stand.
[13] Im Rahmen der Notstandsgesetzgebung wurde 1968 – also vor gut 50 Jahren – mit der TKÜ die erste „verdeckte Ermittlungsmaßnahme“ in die StPO aufgenommen. Insofern erschien das Buch sozusagen in einem „Jubiläumsjahr“!
Rezensiert von: Holger Plank