Hans Woller: Gerd Müller oder Wie das große Geld in den Fußball kam. Rezensiert von Thomas Feltes

Hans Woller: Gerd Müller oder Wie das große Geld in den Fußball kam. C.H. Beck Verlag, München 2019, ISBN 9783406741517, 352 Seiten, 22,95 Euro (3. Auflage 2020)

Was hat eine Fußballer-Biografie im Buch-Blog des Polizei-Newsletter verloren? Eigentlich natürlich nichts, es sei denn es geht um Steuerhinterziehung in großem Umfang (die dazu passende! Biografie muss jedoch noch geschrieben werden), oder um ein Buch, das mehr bietet als bunte Geschichten aus Umkleidekabinen und Schlafzimmern. Und dieses Buch bietet mehr. Wenn ein Buch dann noch innerhalb weniger Monate in der 3. Auflage erscheint, so wird auch der Rezensent neugierig. Schwarzgeldzahlungen und Steuerhinterziehung unter den Augen der CSU und der bayerischen Staatsregierung – verjährt? Juristisch vielleicht, moralisch und wissenschaftlich sicher nicht.

Sie nannten ihn das „achte Fußball-Weltwunder“ – und meinten damit Gerd Müller, der als Torjäger noch heute alle Rekorde hält. Wer war dieser Mann, der vom Provinzkicker aus ärmlichsten Verhältnissen zum Weltstar aufstieg, reich wurde und dann nach einem Ausflug in das Fußballentwicklungsland Amerika alkoholsüchtig in der Gosse landete? Der Historiker Hans Woller schildert die Etappen dieser ungewöhnlichen Karriere. Die Geschichte des FC Bayern München ist dabei stets präsent. Müllers Verein etablierte sich in den 1960er und 1970er Jahren an der Spitze des europäischen Fußballs, bewegte sich aber immer am Rande des finanziellen Ruins. Wie die Insolvenz abgewendet werden konnte, welche zwielichtige Rolle dabei die bayerische Staatsregierung und die CSU spielten und in welchem Maße Superstars wie Müller oder Beckenbauer von diesen Machenschaften profitierten, ist bisher noch nie so dargestellt worden“ – so der Klappentext zu dem Buch.

Mit erheblichem Rechercheaufwand (s.u.) arbeitet Hans Woller einen wenig bekannten Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte auf, indem er die Legende Müller in einer Zeit der schwarzen Kassen und politischer Protegierung von Steuerkriminalität en gros betrachtet. In seiner Besprechung in der FAZ schreibt Haneke dazu: „die ganze Liga fußte damals auf einem System von schwarzen Zahlungen. … Um die Gemeinnützigkeit zu bewahren, wurden Gehälter und Ablösesummen streng gedeckelt – und waren damit weit entfernt von dem tatsächlichen Wert, den die Stars in einer entstehenden Medienwelt entwickelten. Beinahe logische Folge dieser Kluft zwischen tatsächlichem Wert und realen Gehältern war ein System schwarzer Kassen und Zulagen“. Auf seinen Reisen kassierte der Manager Schwan (der auch mit einer anderen deutlich schillernderen Figur des deutschen Fußballs, Franz Beckenbauer lange gemeinsame Sache machte)[1] hohe Summen ein, immer in bar und nie regulär verbucht. „Der größte Anteil ging in Briefumschlägen direkt an die Spieler, mit „dicken Bündeln“ seien sie zurückgekehrt, berichtete Beckenbauer später. Alles lief diskret, auch die regelmäßigen Zwischenlandungen in Zürich, wo ein Teil der Einnahmen sicher verblieb. Für alle Fälle sei regelmäßig „politischer Begleitschutz in Gestalt von Staatssekretär Erich Kiesl aus dem Innenministerium“ dabei gewesen“, schreibt Woller. Die Nähe zur CSU half den Bayern-Spielern laut Woller auch später noch, als die Finanzämter Mitte der siebziger Jahre Teile der jüngeren Vergangenheit aufarbeiten. „Dass manche Helden von damals noch heute gewisse Anpassungsschwierigkeiten an die allgemeingültige Steuermoral haben, ist da beinahe verständlich“.

Haneke weit auch darauf hin, dass trotz Wollers Recherchen hier noch vieles im Dunklen liegt, siehe Beckenbauer. Das Steuergeheimnis schützt die Akten in den Archiven und die damals Handelnden in Sport und Politik. Gerhard „Gerd“ Müller war schnell zum großen Star aufgestiegen, fühlte sich aber auf dem gesellschaftlichen Parkett jenseits des Rasens nie wohl. Nach der Trennung von Bayern München und einem Versuch in den Vereinigten Staaten kamen der wirtschaftliche und gesundheitliche Abstieg, als er sein Geld durch zwielichtige Berater und aussichtslose Investments verlor.

Am Beispiel der Person von Gerd Müller (und deshalb ist das Buch auch und gerade für Kriminologen wichtig) wird erstmals hineingeleuchtet in das soziale, politische und kulturelle (und auch kriminelle) Milieu des Profifußballs der 1960er und 1970er Jahre. Das Buch fragt nach der politischen Vergangenheit des damaligen Leitungspersonals ebenso wie nach politischen Verwicklungen. „Machenschaften weit jenseits der Legalität waren im Fußball an der Tagesordnung“ (S. 11). Vergangenheit? Fraglich, denn noch muss das „Sommermärchen“ nicht nur juristisch aufgearbeitet werden: Aufgrund seines angeblich sehr schlechten Gesundheitszustands entgeht Franz Beckenbauer im Verfahren um die WM 2006 allem Anschein nach einer Anklage. Wie der „Spiegel“ berichtet, haben die Anwälte Atteste von Beckenbauers Ärzten vorgelegt, wonach jede Aufregung für ihn lebensgefährlich sein könne[2].

Beckenbauer sagt nichts mehr. Er taucht nirgends mehr auf, sondern ab. Seine Ärzte hat er ausrichten lassen, dass sein Gesundheitszustand keine weiteren Wortmeldungen mehr erlaube, auch nicht vor Gericht bezüglich der WM-Affäre 2006. Immer noch ungeklärt ist da der Verbleib jener dubiosen 6,7 Millionen, aber die Schweizer Staatsanwaltschaft wird Beckenbauers Verfahren abtrennen und nächsten April wegen Verjährung vermutlich beenden, denn das Attest verweist auf zwei Herz-Operationen, eine künstliche Hüfte und einen Augeninfarkt, das Urteilsvermögen des Kaisers ist eingeschränkt, das Gedächtnis getrübt – also bleibt sein letzter großer Auftritt vermutlich der bei seinem Golfturnier „Kaiser-Cup“ in Bad Griesbach“[3]. Nun denn, das Verfahren gegen Schmidt, Zwanziger und Niersbach läuft seit August 2019[4], und man darf auf die Ergebnisse gespannt sein.

Wichtig ist auch der übergreifende wissenschaftliche Aspekt. Woller betont selbst, dass Fußball in den Darstellungen zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert keine große Rolle spielt, allerdings sei er als gesellschaftliches Phänomen viel zu wichtig, um ihn und seine Geschichte als separate Parallelveranstaltung zur «eigentlichen» Geschichte zu betrachten, ohne Bezug zu den Haupt- und Staatsaktionen und zu den sozioökonomischen und kulturellen Basisprozessen. Woller macht auch deutlich, wie schwierig Recherchen in diesem Themenbereich sind, auch weil es an einer durchgängigen wissenschaftlichen Begleitung und Aufarbeitung gefehlt hat. Ob diese seit einiger Zeit gewährleistet ist, nachdem Publikationen zum Bereich des Umfeldes von Fußballspielen und dort vor allem zu Ultras deutlich mehr geworden sind, mag man bezweifeln. Denn in den engen (und geheimen!) Kernbereich der Organisation des deutschen Fußballs durch DFL und DFB kann kaum einer vordringen, zumal dort alles darangesetzt wird, niemanden, der (zu) kritisch werden könnte, zu nahe an sich heranzulassen – wovon der Autor dieser Rezension selbst berichten kann.

Weitere, wichtige Unterlagen bleiben verschlossen: Quellen zum FC Bayern und seinen Stars sind wegen des sog. „Steuergeheimnisses“ noch für viele Jahre gesperrt – auch für Wissenschaftler, was Woller zurecht als sachlich nicht nachvollziehbar bezeichnet. Für ihn ist das bayerische Finanzministerium „einer der letzten dunklen Flecken bundesdeutscher Aufarbeitungskultur“ (S. 15).

Auch ein anderes, von Wissenschaftlern immer wieder benutzte Methode ist in diesem Bereich schwierig umzusetzen: die sog. „Oral History“. Woller schreibt, dass es bei seinen Recherchen bei den Zeitzeugen nicht viel besser aussah als bei den schriftlichen Dokumenten. „Die Ereignisse liegen dreißig, vierzig Jahre zurück, die eigene Erfahrung wird durch spätere Erkenntnisse und Informationen überlagert und verfälscht. Hinzu kommt, dass viele von ihnen zwar mit mir redeten – mehr als 60, einige mehrmals und über Stunden -, aber wenig sagten. Aus zwei guten Gründen: Gerd Müller ist nicht nur ein Mythos, sondern auch ein kranker Mann, der Mitgefühl verdient und geschont werden muss. Und der FC Bayern München ist nach wie vor ihr Verein, im Erinnerungsdepot vieler Veteranen sogar ihre Schöpfung, die im schönsten Licht erhalten bleiben soll. Unergiebig waren diese Gespräche dennoch nicht. Denn abgesehen davon, dass auch Ausflüchte und Abwehrstrategien subtile Botschaften enthalten, ergaben sich noch aus dem trockensten Interview neue Einsichten und wertvolle Mosaiksteinchen“ (S. 14).

Und: „Nicht zu ahnen war, dass ich bald in ein Labyrinth von Machenschaften und Manipulationen gelangen würde, in dem an Spitzbuben größeren und kleineren Formats kein Mangel herrschte“ (S. 16). Nun ja, Spitzbuben sind ja ganz nett, aber zumindest teilweise haben wir es hier mit (organisierten) Kriminellen zu tun.

Thomas Feltes, Februar 2020

 

[1] Zitat Schwan: „Ich kenne nur zwei intelligente Menschen: Schwan am Vormittag und Schwan am Nachmittag.“ Quelle. S. FN 3.

[2] https://www.spiegel.de/sport/sonst/franz-beckenbauer-atteste-fuer-massiv-verschlechterten-gesundheitszustand-a-1279152.html

[3] https://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_sport/article197612595/Goetterdaemmerung-im-deutschen-Fussball.html

[4] https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-75991.html