Frevel (Hrsg.): Wer kontrolliert die Polizei? Rezensiert von Holger Plank

Frevel, Bernhard[1] (Hrsg.): „Wer kontrolliert die Polizei? Juristische und sozialwissenschaftliche Analysen von Strukturen und Kompetenzen“[2]. ISBN 978-3-86676-826-0, 136 Seiten, Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt a. M., Schriftenreihe Polizei & Wissenschaft, 2023, 24,90 €

Kaum eine Woche vergeht, ohne dass schwerwiegende straf- und / oder disziplinarrechtlich relevante Verfehlungen von Polizeibeamten und -beamtinnen öffentlich werden. Das Spektrum der Verdachtsfälle[3] ist breit und reicht von unrechtmäßiger Gewaltanwendung in Ausübung des Amtes, Korruption, Ge­heimnisverrat, Strafvereitelung im Amt bis hin zur Mitgliedschaft in (Chat-) Gruppen, in welchen extremistische / diskriminierende Meinungen / Inhalte geteilt werden. Die Anzahl der Fälle ist nicht unerheblich, auch wenn sie in Relation zur Gesamtzahl der Beamtinnen und Beamten bei den Polizeien des Bundes und der Länder insgesamt als „gering“ erscheinen mag.

Allerdings gilt bei einer handlungsmächtigen Institution wie der Polizei im Besonderen der Grundsatz „wehret den Anfängen!“ und man muss bei der Problemanalyse u. a. folgende Aspekte berücksichtigen:

  • Auch wenn – wie mitunter zu lesen – kein „Muster“ erkennbar ist, die häufig strapazierte Individuali­sierungs-These („Einzelfallproblematik“) ist angesichts der Empirie wohl kaum noch seriös vertretbar,
  • die Polizei als wesentliche Sachwalterin des staatlichen Gewaltmonopols verfügt über sehr weitreichende, elementar in individuelle Rechte eingreifende Befugnisse und (Zwangs-) Mittel zur Durchsetzung derselben,
  • schon deshalb muss die Polizei selbst unter dem Aspekt der Qualitätssicherung ein elementares Interesse an um­fänglicher Transparenz ihres Handelns und einer möglichst effektiven formellen und informellen (zivilgesellschaftlichen) Kontrolle und Aufsicht entwickeln, denn
  • „die Gesellschaft muss auf die Polizei, auf jede einzelne Polizistin / jeden einzelnen Polizisten vertrauen können“[4], was soziodemographisch jeden­falls im Moment immer noch in hohem Maße zutrifft.[5]

Die Anzahl der jüngeren Veröffentlichungen rund um das Thema Kontrolle der bzw. Aufsicht über die Polizei ist beachtlich, insgesamt jedoch ungeordnet und daher recht unübersichtlich. Der Ende 2023 von Frevel herausgegebene Sammelband unter der Fragestellung: „Wer kontrolliert die Polizei?“ versucht sich an einer themenzentrierten Systematisierung der multiperspektivischen The­matik. Die Beiträge vereinen verwaltungs-, sozial-, rechts- und sozialwis­senschaftliche und progressive berufsständische Perspektiven. Besonders inter­essant ist der Umstand, dass viele bereits in der Literatur beschriebene Er­kenntnisse in einem komparativen (europäischen) Ansatz auf Grundlage mehrerer – bislang selbst der Fachöffentlichkeit nicht durchgängig en détail bekannter, vom UNDP ausgeschriebener und von der EU geförderter transnationaler Untersuchungs- und Beratungsprojekte[6] – in dem Werk systematisch beschrieben und vertieft werden.

Zu Wort kommen u. a. die dt. Projektbeteiligten Bernhard Frevel (multiple polizeiliche Perspektive), Frank Braun (justizielle Perspektive), Vanessa Salzmann (verwaltungsbehördliche Perspektive) und der vergleichende Polizei­forscher und europäische Projektkoordinator Sebastian Roché vom CNRS der Universität Grenoble. Arrondiert wird der Sammelband mit Beiträgen des langjährigen MdB und derzeitigen Hochschullehrers Patrick Sensburg (zusammen mit Frevel zu parlamentarischen Kontrollrechten), der Darstellung zivilgesellschaftlicher Perspektiven und anhaltend diskutierter Lösungsmög­lichkeiten hierbei durch Norbert Pütter (Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit e. V., Mitherausgeber der Zeitschrift Cilip) sowie einem differen­zierten, erfrischend progressiven und deshalb lesenswerten Nachwort von einer langjährigen (inzwischen pensionierten) polizeilichen Führungskraft aus NRW, Udo Behrendes.

In dem Sammelband unberücksichtigt (vgl. Frevel, S. 31) bleiben (leider) zwei kom­plementäre Bereiche informeller Polizei-Kontrolle, nämlich

  • Die Rolle der Medien hierbei und
  • die vertiefte Betrachtung des Beitrags der (Polizei-) Wissenschaft und -forschung.

Nach einer thematischen Einordnung und der Begrenzung des Forschungsfeldes durch den Herausgeber versuchen die Projektbeteiligten an der dt. Fallstudie der europäischen Projekte (Fn. 6) in drei Beiträgen bestehende Kontroll- und Aufsichtsmechanismen sowie potenzielle Defizite hierbei jeweils aus einer Teilperspektive zu skizzieren. Frevel (S. 13 – 34) nähert sich dabei aus multipler, im Schwerpunkt jedoch polizeilicher Perspektive und weist in diesem Kontext zunächst auf höchst unterschiedliche strukturell-organisatorische begriffliche Be­sonderheiten innerhalb der föderalen Sicherheitsarchitektur und die dadurch allenfalls bedingte Vergleichbarkeit der Voraussetzungen von Kontrolle und Aufsicht hin. Er stellt fest, dass unter den „formalen Bedingungen“ der inner- und interbehördlichen Rechts- und Fachaufsicht (Begrifflichkeiten, die in der Folge von Braun und Salzmann noch vertieft behandelt werden) bereits zahlreiche etablierte Kontrollmöglichkeiten bestehen, jedoch bei den „informellen Mög­lichkeiten der Kontrolle des Polizeihandelns im Rahmen eines ‚Interagency Policing‘[7] (oder des) Monitorings durch zivilgesellschaftliche Akteure“ noch „Entwicklungspotenzial“ erkennbar sei. Z. T. spiegelt sich hierbei möglicherweise eine ablehnende Grundhaltung, denn für die Polizei in ihrer Rolle als gesellschaftliche Kontrollinstanz ist es vice versa „nicht immer leicht und angenehm, selbst einer externen Kontrolle ausgeliefert zu sein, auf fachliche, personale, organisationale und strukturelle Defizite hingewiesen zu werden.“

Braun (S. 35 – 58) vertieft im Anschluss im Schwerpunkt den justiziellen Anteil formeller Polizeikontrolle mit Exkursen zu komplementär mittelbar wirksamen Topoi

  • der personellen Zuordnung rechtswidrigen polizeilichen Handelns durch bestehende (und denkbare) Kennzeichnungspflichten,
  • der Möglichkeiten und Grenzen des z. T. bereits vorhandenen Instituts „unabhängiger Polizeibeauftragter“ im Kontext bereits laufender justi­zieller Aufarbeitung,
  • eines (institutionell defizitären) proaktiven Menschenrechtsschutzes durch unabhängige nationale Institutionen, etwa der „nationalen Stelle zur Verhütung von Folter“ bzw. dem „Deutschen Institut für Menschenrechte“ (DIMR) und schließlich
  • einer lesenswerten Darstellung von Friktionen und dadurch verursachtem „Kontrollverlust“ durch eine weitreichende Modifikation des präventiven Sicherheitsrechts und seiner verfahrenstypischen Spezifika.

Salzmann (S. 59 – 74) beschäftigt sich anschließend systematisch mit den (be­kannten) Instrumenten formeller verwaltungsinterner Rechts- und Fachaufsicht, hieraus entstehenden disziplinarrechtlichen Implikationen und den Folgen z. T. defizitärer individueller und organisationaler Leistungsdarstellung und -messung. „Deutschland verfüge über ein rechtlich ausgefeiltes Kontrollsystem der Polizei, das in seiner Dezidiertheit sicher nicht viele europäische Vergleichspartner finde“, so ihre Feststellung (S. 73). Allerdings sei dieses System „überwiegend rechtlich determiniert (…)“ und „die Kontrollmöglichkeiten enden häufig in der Exekutive selbst“ (S. 72). „Das werfe Fragen auf und provoziere permanente öffentliche Kritik“ (S. 73).

Sensburg und Frevel (S. 75 – 87) schließen den Teil des Buches, der sich systematisch mit den formellen Kontrollmechanismen beschäftigt, mit ihrem Beitrag zu parlamentarischen Kontrollrechten ggü. exekutivem Handeln der Sicherheitsbehörden ab.

Es folgt ein historischer Aufriss von Pütter (S. 88 – 111) über vier Jahrzehnte der Entwicklung und des „Scheiterns“ von Initiativen zivilgesellschaftlicher informeller Kontrolle der Polizei und den zahllosen hieran beteiligten Akteuren mit z. T. heterogenen Zielvorstellungen. Auch wenn er abschließend mit einiger Ernüchterung den Impact dieser Bemühungen bilanziert, zarte Pflänzchen sind durchaus erwachsen, die ohne dieses zivilgesellschaftliche Engagement nicht gewurzelt hätten. Sei es die weitgehende Verankerung von Polizeibeauftragten im Bund und in den Ländern, weit verbreitete sowohl individuelle als auch gruppen- bzw. einheitsbezogene Kennzeichnungspflichten oder die verfassungsgericht­liche Einhegung / Begrenzung sicherheitsrechtlicher Befugnisnormen auf Initiative von NGO wie bspw. der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Gänzlich ohne Wirkung ist das bürgerschaftliche Engagement also beileibe nicht geblieben.

Der Band schließt mit zwei interessanten Beiträgen. Zu erwähnen ist zunächst die komparative europäische Perspektive, aus der sich Roché der übergreifenden Fragestellung des Sammelbandes nähert und als europäischer Projektkoordinator[8] die Festlegung, das definitorische Verständnis und die Schwierigkeiten einer homogenen begrifflichen Auslegung standardisierter (Sub-) Items zur ver­gleichenden transnationalen komparativen Vermessung von „Police regulation laws and mechanisms in comparative perspective. An Overview of national configurations“[9] und das hierauf begründete Länderranking in unterschiedlichen Kategorien beispielhaft unter dem Oberbegriff „comparative policing“[10] sehr eingängig beschreibt. Dabei wird zweierlei deutlich, einerseits die strukturelle, organisationale, begriffliche und zuständigkeitsbezogene Heterogenität des Policing in den untersuchten Ländern (Fn. 6), die einen validen itemisierten inhaltlichen Vergleich schon in der Planungs- und erst recht in der Operationaliserungs- und Auswertephase erschwert. Andererseits liegt Deut­schland unter diesen (eingeschränkt vergleichbaren Bedingungen) in nahezu allen der untersuchten zehn Kategorien bestenfalls im Mittelfeld. Insbesondere „regarding the role of independent oversight and transparency of (the) police” (S. 122) liegt Deutschland in der transnationalen Vergleichsskala sogar weit zurück. Es ist also nicht nur bei diesem Item signifikantes Ausbaupotenzial vorhanden. Trotz der von Roché eingeräumten systemischen Mängel beim Untersuchungs­design, insbesondere bei der vergleichenden Auslegung und Bewertung der (Sub-)Items, was die Validität und Reliabilität der Ergebnisse beeinflusst, ist der vergleichende Ansatz im Grunde „bestechend“. „Comparative policing remains an emerging sub-field of policing“, so Roché nachvollziehbar. Dieser Aussage kann man zustimmen, obgleich die „üblichen Verdächtigen“ beim Studium der bislang selbst in der Fachliteratur nur vereinzelt erwähnten key findings die Studie wahrscheinlich wie üblich als unwissenschaftlich, hinsichtlich der wissen­schaftlichen Gütekriterien als nicht reliabel und damit ohne substanzielle Aussagekraft bewerten werden, ohne auf den komparativen Kern der Kritik überhaupt ernsthaft einzugehen. Der Sammelband schließt mit einem erfrischend progressiven Nachwort von Behrendes, der (als inzwischen im Ruhestand befindlicher ehemaliger) leitender Polizeibeamter mit fundierter praktischer Expertise auf den Feldern „police accountability“, „police transparency“ und „procedural justice“ unter Hinweis auf Art. 20 Abs. 2 und 3 GG der Feststellung einer „Kontrolle als ständiges anlassunabhängiges zivilgesellschaftliches Moni­toring (…) als dauerhafte Begleitung der Polizei durch ihren Auftraggeber“ (das Volk, S. 131) aufgeschlossen und mit eigenen Vorschlägen auf Grundlage dogmatisch bekannter und etablierter „restorative justice“ – Mechanismen (jedenfalls für einfach gelagerte Fälle) angereichert begegnet. Kontrolle und Aufsicht der Polizei seien essenzielle Anforderungen an den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat. Diese grundsätzliche Feststellung decke sich im Übrigen vollständig „mit dem verbindlich fixierten Rollen- und Selbstverständnis der deutschen Polizei“, wie es in der bundesweit gültigen Polizeidienstvorschrift 100 zu Führung und Einsatz der Polizei einleitend festgehalten ist: „Die Polizei ist wesentlicher Garant für die Innere Sicherheit und unterliegt insbesondere als Trägerin des Gewaltmonopols einer umfassenden öffentlichen Kontrolle. Ihre Integrität ist unabdingbare Voraussetzung für das Vertrauen des Bürgers in seine Polizei.“ Die durch die Vorschriftenkommission bewusst gewählte und von der IMK so beschlossene Formulierung „umfassende öffentliche Kontrolle“ geht klar über die Ansicht hinaus, die Polizei habe sich lediglich der Kontrolle innerhalb der Staatsgewalt, also von Parlament, Justiz und innerhalb der Exekutive selbst zu stellen. Hier seien noch ausfüllungsbedürftige Spielräume vorhanden, etwa im Rahmen von „Mediations- und Schlichtungsinstanzen analog den Regelungen von Vergleichsstellen im Privatklageverfahren gem. § 380 StPO.“ Es sollte für die Akzeptanz externer Beschwerde- und Schlichtungsstellen polizeiintern intensiv geworben werden, so Behrendes, schließlich müsse die deutsche Polizei „im Hinblick auf ihre demokratisch-rechtsstaatliche Verankerung, ihren Ausbildungsstand und ihre Professionalität keinen internationalen Vergleich scheuen“ und könne von einer Offenheit ggü. derartigen kommunikativ-mediativen Elementen nur profitieren.

Trotz der dargelegten inhaltlichen Lücken (s. o.) bietet der kleine, gleichwohl recht informative Sammelband eine fundierte, thematisch gut strukturierte und inhaltlich ansprechend systematisierte Situationsbeschreibung und Problem­analyse, weitet den Blick und bietet Orientierung für einen vorurteilsfreien Diskurs in der Sache.

Holger Plank (im Januar 2024)

[1] Professor Dr. Bernhard Frevel, HSPV NRW und Universität Münster, Institut für Politikwis­senschaft

[2] Siehe Verlags-Website.

[3] Die Berichterstattung erfolgt zumeist kurz nach dem Bekanntwerden, sodass die Bezugsfälle weder justiziell noch disziplinarrechtlich abschließend bewertet werden können.

[4] So bspw. zutreffend einleitend im Abschlussbericht der hessischen Expertenkommission „Verant­wortung der Polizei in einer pluralistischen Gesellschaft“, 2021, S. 5, zu lesen.

[5] Vgl. hierzu z. B. Eurobarometer der Europäischen Kommission, 2023.

[6] “Improvement of civilian oversight of internal security sector” (ICOISS), 2012-2014 (II) und 2019-2021 (III); Teilnehmerländer waren – neben der Türkei – die EU-Länder Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Niederlande, Polen, Portugal, Spanien und das UK. Das deutsche Team bildete Frevel, Braun und Salzmann (alle von der HSPV NRW), der europäische Projektkoordinator war Sebastian Roché – alle Beteiligten sind mit eigenen Beiträgen in dem Sammelband vertreten.

[7] Zum Begriff vgl. z. B. John, „Kooperative Sicherheitspolitik in der Stadt. Interagency Policing – Sicherheitsstrukturen im Wandel“, 2012

[8] Vgl. z. B. nur seinen Abschlussbericht „The Governance and Oversight of Internal Security Vorces in Turkey & 7 EU Countries”, 2015

[9] Vgl. z. B. nur seinen Beitrag „Cross-national research. A new frontier for police studies”, in: Policing & Society (32) 2022, 3, S 256 – 270, zusammen mit Fleming.

[10] Vgl. de Maillard & Roché, Comparative Policing, London : Routledge, 2022.