Raphael Schwegmann – Nacht-Orte. Eine kulturelle Geographie der Ökonomie.

355) Schwegmann, Raphael; Nacht-Orte. Eine kulturelle Geographie der Ökonomie.; 2016, 180 Seiten, transcript-Verlag Bielefeld, ISBN 978-3-8376-3256-9, 24,99 Euro

nachtorte

Die Nacht hat die Menschen schon immer fasziniert. Angst und Dunkelheit, Angst und Nacht gehören für uns zusammen: Nachts geht niemand gerne über einen Friedhof, und auch durch einen dunklen Wald bei Nacht spazieren zu gehen wird kaum jemandem einfallen. Warum? Das „objektive Risiko“, dort Opfer einer Straftat zu werden oder von Vampiren oder Geistern belästigt zu werden, ist gleich null. Das Böse lauert gerade nicht im Dunkeln hinter Bäumen, Büschen oder in Unterführungen, sondern ist an anderen Stellen zu orten, wo man es eigentlich am allerwenigsten vermutet. Dennoch ist diese Angst vor der und in der Dunkelheit vorhanden, wenn auch individuell unterschiedlich ausgeprägt. Angst gepaart mit Faszination – mit diesem Phänomen beschäftigt sich auch das Buch von Schwegmann, das „Nacht-Orte“ in einen soziologischen Kontext stellt.

Leider wird das Soziologische in diesem Buch wieder mal an vielen Stellen übertrieben. Verquarzte Sprache steht nicht für Wissenschaftlichkeit (Mike Davis zeigt übrigens in „City of Quartz“ (sic!), dass es auch anders geht), das sollten auch die Lektoren des Verlages sich einmal vor Augen führen. Beispiel gefällig? „Die dunkle Seite der Nacht interpretiere ich durch den Bezug auf Qumas (2013) Konzept der Tat-Orte. Polysemer Verunordnung infolge diametraler Machtasymetrien unterliegend, gipfelt die Magie der Großstadtnacht in verschiedensten Topoi, welche sich wiederum als durch (auch diskursive) Praktiken hervorgerufene Plätze der Ver(un)sicherheitlichung in semantisch produzierten und performativ reproduzierten Problem-Plätzen, Angst-Orten und Protest-Plätzen ergießen“ (S. 135).

Dennoch lohnt das Buch von Schwegmann, denn es macht deutlich, zu welchem Konsumfaktor die Nacht und die entsprechenden „Nacht-Orte“ inzwischen geworden sind und welche Rolle der „Nachtmarkt“ in unserer postmodernen Wirklichkeit spielt. Auch wenn er der Kernfrage, warum das so ist und warum bspw. vor allem junge Menschen zunehmend nachts unterwegs sind, nicht nachgeht (es fällt mal das Stichwort: „Work hard, play hard“, S. 71), so beschreibt er doch eindringlich (leider aber wenig anschaulich) die Phänomene, die von „Nachtsauna“ über „Geisterwanderungen“ bis hin zu „Nacht der Wissenschaft“ reichen. Die Zunahme sozialräumlicher Polarisierungen (S. 98), die Schwegmann beschreibt, wird von ihm leider nicht tief genug analysiert, denn dazu hätte er sich intensiver mit sozialräumlichen Analysen sozialer Entwicklungen beschäftigen müssen.

Schwegmanns „Geographien der Nacht“ (S. 69 ff.) machen auch deutlich, welchen Mehrgewinn die Verbindung von Geographie und Soziologie bringen kann. Zwischen Kultur und Ökonomie beschreibt er eine Szene, die vielen von uns nach wie vor verborgen bleibt und auch Angst einflößt.

Denn: Nacht und Dunkelheit haben einen besonderen Reiz: Um das „Nachtleben“ zu genießen, gehen wir abends aus. Ein Theater- oder Konzertbesuch am Sonntagnachmittag ist nicht mit einem am Abend zu vergleichen. Wir bummeln durch die entsprechenden Amüsier-Viertel und das Nachtleben einer Großstadt und vergnügen  uns dabei – wobei natürlich nur die anderen in die entsprechenden einschlägigen Etablissements dort gehen, wir nicht. In der urbanen Nacht liegt der eigentliche Ursprung der Moderne, wie Mike Davis in einem Beitrag in der ZEIT schrieb:[1] Der Mensch am Beginn des 20. Jahrhunderts lebte im Rhythmus der dunklen Stadt: Dichter und Maler, Revolutionäre und Kriminelle, Prostituierte und Professoren (zumindest einige, die „mitten im Leben“ sein wollten), Taxifahrer, Musiker und Journalisten: Sie alle lebten von dem Kontrast zwischen hell und dunkel, Tag und Nacht, Normalität und Extrovertiertheit. Mike Davis beschreibt das wie folgt: „In der Sicherheit warmer Wohnzimmer fühlte sich die Mittelschicht sowohl erregt als auch erschreckt durch die Geschichten von Klassen, die erst nach Einbruch der Dunkelheit aus ihren Verstecken kamen. So diente die Nachtwelt bald als erotische Folie für das Tagesgeschäft des Rechnens und Geldscheffelns. Die dunkle Stadt als Negativ der gewöhnlichen Welt: Dieser Kontrast zeigt sich schon in den Theaterdramen der Restauration …“

Schwegmann´s “Nacht-Orte” sind – so der Verlag – das Ergebnis einer längeren Beschäftigung des Autors mit dem Thema. Das wird auch im Buch (leider) immer wieder deutlich, wenn er an allen passenden und manchen unpassenden Stellen auf seine Bachelor- und Masterarbeit verweist. Dennoch: Seine Beschreibungen und Analyse der Geografie der Nacht sind nicht nur für Geografen spannend zu lesen, sondern für jeden, der sich einmal näher mit dem Phänomen beschäftigen und dabei der Frage nachgehen will, warum die Nacht eine solche Faszination ausübt und warum sich zunehmend der Lebensrhythmus junger Menschen zeitlich in die Nacht hinein verschiebt.

[1] Davis, Mike (2002): Die Nacht ist lang. In: Die Zeit, 52, 2002

Reznesiert von: Thomas Feltes