Nikola Hahn – Gefährderansprache und Vernehmung. Abgrenzung, rechtliche Probleme, Praxistipps.

356) Hahn, Nikola; Gefährderansprache und Vernehmung. Abgrenzung, rechtliche Probleme, Praxistipps.; aktualisierte und erweiterte Auflage. Thoni Verlag, Erfurt 2016, ISBN 978-3-944177-45-8, € 9,90, 105 Seiten. Taschenbuch

gefaehrderansprache

Übersicht:

Nikola Hahn entwickelte für die Fortbildung der hessischen Polizei ein Konzept „Werkzeugkoffer Vernehmung. Kriminalistisches Vernehmen“. Das vorliegende Büchlein ist ein Exkurs daraus, der seit 2013 als E-Book und somit in der 1. Auflage vorliegt. Der gedruckten 2. Auflage ging eine Überarbeitung unter Berücksichtigung aktueller Rechtsprechung und Literatur sowie Ergänzungen um tabellarische Übersichten voraus. Der Schwerpunkt dieses Taschenbuches liegt auf den rechtlichen Schnittstellen von präventiver Kommunikation mit Gefährdern und repressiven Vernehmungen. Taktische Überlegungen flossen in diese Publikation nicht ein (vergl. S. 9).

Inhalt:

Vorbemerkungen der Autorin zu vorliegendem Büchlein folgen Versuche der Differenzierung in der polizeilichen Kommunikation mit Gefährdern (Kap. I). Unterschieden wird dabei zwischen schlichten und appellativen Gefähderansprachen, allgemeinen Gefährdergesprächen sowie Gefährderbefragungen. Anschließend geht Nikola Hahn intensiv auf Rechtsgrundlagen und Gerichtsentscheide in der Gefährderkommunikation ein (Kap. II). Es folgen Antworten zu den Fragestellung, ob polizeirechtlich erhobene Daten in künftigen Strafverfahren Verwendung finden dürfen (Kap. III) und ob eine Gefährderbefragung eine doppelfunktionale Maßnahme sein kann (Kap. IV). Anschließend werden Übergänge von einer Gefährderkommunikation zur Vernehmung aufgezeigt (Kap. V) und dann die Kapitel III bis V zusammengefasst (Kap. VI).

Dem Ganzen folgen Übersichten zu Definitionen, Zielen, Abgrenzungsproblemen (Übersichten 1.1 bis 1.4), Voraussetzungen, Maßnahmen, Befugnisse (Übersicht 2) sowie polizeirechtlichen Vorschriften in der BRD (Übersicht 3) auf insgesamt 18 Seiten.

Ein Artikel von Nikola Hahn aus der hessischen Polizeirundschau Nr. 5/2012 über den o.g. Werkzeugkoffer Vernehmung rundet das Werk ab, gefolgt von Bildnachweis/Dank, Literaturverzeichnis/Quellen, Abkürzungs- und Schlagwortverzeichnis und Impressum.

Diskussion und Fazit:

Nikola Hahn ist ein übersichtliches Nachschlagewerk zu einem rechtlich komplexen Bereich gelungen, der zunehmend in der polizeilichen Praxis Bedeutung gewinnt. Das präventive Instrument eines Gesprächs mit vermuteten Störern der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, um eben dieser Vermutung vorzubeugen, ist zwischenzeitlich ein häufig angewendetes, gleich ob es einen warnenden („Die Polizei hat ein Auge auf Dich!“) oder einen Informationsgewinnungscharakter zur Gefahreneinschätzung hat. „Eine strikte Trennung zwischen polizeirechtlichen und strafprozessualen Maßnahmen ist […] nicht immer möglich, und in dem Maße, wie das (polizeirechtliche) Instrument der >>Gefährderansprache<< an Bedeutung gewonnen hat, rücken Problemstellungen in den Blickpunkt, die bis vor einigen Jahren noch kaum Bedeutung für die Praxis hatten“ (S. 7). Nikola Hahn bringt hierzu Beispiele, wie sie in der polizeilichen Praxis zu finden sind, ob dies nun Gespräche mit Hooligans vor einem Fußballspiel oder solche mit bekannten Sexualstraftätern bzw. politischen Extremisten sind. Es gefällt dabei der Fokus auf die rechtlichen Aspekte solcher Gespräche, die taktischen Überlegungen vorwegzustellen sind. Zunächst ist das (Rechts-)Mittel zu prüfen und dann kann erst der Zweck der Maßnahme erreicht werden[1].

Die Autorin verwendet für diesen rechtlichen Ratgeber für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte eine klare Sprache, die sich auf das Wesentliche und Notwendige konzentriert. Es stört dabei nicht, dass polizeirechtliche Bewertungen auf dem Hessischen Polizeigesetz fußen, da die Erkenntnisse einfach auf polizeiliche Vorschriften anderer Bundesländer übertragbar sind.

Die Übergänge von einer (polizeirechtlichen) Kommunikation mit Gefährdern hin zur ordentlichen Vernehmung im Strafverfahren werden deutlich.

Der Beginn des Kapitel IV, Gefährderbefragung als Doppelfunktionale Maßnahme, und dort die Unterscheidung zwischen Repression und Prävention ist etwas unverständlich formuliert (S. 43). Insgesamt ist das Büchlein aber sehr gelungen, gerade die Übersichten gefallen, bringen Sie doch bestimmte Zusammenhänge auf den Punkt und komplettieren dabei das Büchlein als Nachlagewerk.

Spannend wäre es nun, diesem rechtlichen Ratgeber einen polizeitaktischen zur Seite zu stellen, der auch kommunikationspsychologische Aspekte berücksichtigt. Denn unabhängig von der Rechtslage – der Adressat im Gefährdergespräch wird die Polizei und deren Besuch schon allein aus ihrer mächtigen Rolle heraus als Drohung verstehen. Und ist das nicht auch gerade so von der einschreitenden Polizei gewollt, zumindest billigend in Kauf genommen?

[1] In Anlehnung und Umkehrung(!) des Sprichworts, „der Zweck heiligt die Mittel“.

Rezensiert von: Rüdiger Schilling