Kay Waechter – Sicherheit und Freiheit in der Rechtsphilosophie

Waechter, Kay[1]; Sicherheit und Freiheit in der Rechtsphilosophie.[2]; ISBN: 978-3-16-154529-0, 110 Seiten, Mohr Siebeck Verlag, Tübingen, 2016, 39.- €)

Kay Waechter hat ein kurzes, dennoch sehr inhaltsreiches Kompendium der (Rechts-)Phi­lo­sophiegeschichte zum Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit, vor allem aber zu den im zeitgeschichtlichen Verständnis unabdingbaren Ingredenzien der beiden staats- und gesellschaftstheoretisch unabdingbaren Grundpfeiler  jeder „Polis“ vorgelegt. Er arbeitet sich zusammen mit einigen (längst nicht allen, wie er selbst zugesteht) anerkannten politischen Philosophen durch das unterschiedliche Begriffsverständnis von Staatlichkeit verschiedener Epochen, beginnend bei Platon und seinem Schüler Aristoteles, über die Gesellschafts- und Herrschaftsvertragstheoretiker Hobbes und Locke, Baruch de Spinoza, dem (nicht ganz so bekannten) deutschen Universalgelehrten und Juristen Christian Wolff, dem Aufklärer Rousseau und natürlich den deutschen Aufklärungsphilosophen Immanuel Kant, Johann Gottlob Fichte, Wilhelm v. Humboldt und zuletzt Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Dabei werden nicht nur die theoretischen Unterschiede der verschiedenen politischen Ansätze sondern auch die Folgen hieraus für das Freiheits- und Sicherheitsverständnis sehr gut herausgearbeitet.

Es ist daher bereits ein Verdienst Waechters, in kurzer, geraffter aber dennoch hinreichend kategorisierender Weise aus dem jeweiligen Begriffsverständnis  erwachsende Interdependenzen zwischen naturrechtlichen wie auch vertragstheoretischen und letztlich subjektiv-rechtlichen Freiheitssphären bzw. -garantien und der unterschiedlichen Reichweite und Tiefe der darauf aufbauenden (staatlichen organisierten) Sicher­heitsgewährleistung dargelegt zu haben. Trotz „im Übrigen klugerweise selten auf Detailfragen der Sicherheitsgewährleistung eingehender rechtsphilosophischer Positionierung“ (S. 96), verbindet er diese Leistung – darauf aufbauend – jedoch zusätzlich mit der Erläuterung und Auslegung der jeweiligen materiellen, funktionalen, organisationellen bzw. auch operativen Polizeibegriffe. Somit wird das Werk mit dieser Kontextualisierung auch grundlegend polizeiwissenschaftlich interessant und – trotz Prägnanz – durchaus bedeutsam. Die unterschiedlichen philosophischen Grundlegungen der genannten Protagonisten legen nämlich bis heute unterschiedlich stark ausgeprägte Spuren in das Polizeiverständnis und deren Rollenbeschreibung, auch in unserem verfassungsrechtlich geprägten, demokratischen Rechts- und Sozialstaat. Dies erfährt bei Waechter unter anderem konkrete Erläuterung, wie bspw. verdeckte polizeiliche Maßnahmen, ggf. sogar unterstützt durch V-Personen, rechtsphilosophisch zu rechtfertigen sind? Nach Kant geht dies nur, wenn man Recht und Moral im staatlichen Wirken voneinander trennt! Oder aber, wie lässt sich, neben der bei allen Philosophen anlassbezogen in unterschiedlicher Weise gerechtfertigten repressiven staatlichen Intervention, notwendig auf einen nur schwer prognostizierbaren kritischen Erfolgseintritt „dissozialen“ Verhaltens oder gar nur „technischen“ Versagens in der (unterschiedlich fern definierten) Zukunft generalklauselartig gestaltetes Gefahrenab­wehrrecht und die immer weiter in das Vorfeld der konkreten Gefahr verlegte Erheblichkeitsschwelle „mutmaßlich“ (!) gefährlichen Verhaltens darlegen? „Die Generalklausel bestimmt (nämlich in atypischer Weise nur) das Ziel, lässt aber die Mittel offen und beschreibt die Anwendungssituation lediglich durch die Erforderlichkeit für die Erreichung des Zieles“, wodurch die Maßnahmen der Polizei in kritischer Weise für die Gesellschaft nur schwer absehbar werden (S. 106) und nur durch eine weit gefasste Verhältnismäßigkeitsprüfung in hinreichender Weise eingehegt werden können. Trotz der Notwendigkeit, im Gefahrenabwehrrecht mangels (homogener) Eindeutigkeit gefahren­verursachenden Verhaltens erforderlicher Ausrichtung an einem drohenden Erfolg setzt die Unbestimmbarkeit der gefahrenauslösenden Situation natürliche und rechtliche Grenzen, insbesondere im Hinblick auf die einsetzbaren Mittel. Hinzu kommt, dass die Entscheidung in einer derartigen Situation vielfach (je nach Erheblichkeitsschwelle des Eingriffs) zunächst nur durch eine „subjektive Wertung“ des Amtsträgers substantiiert wird. Wie lässt sich ferner der ungenaue Begriff der in einigen Polizeigesetzen nach wie vor als Schutzgut verankerten „öffentlichen Ordnung“ philosophisch einordnen und auslegen und können in zunehmend pluralen Gesellschaften darauf gar typische oder sogar atypische polizeiliche Maßnahmen begründet werden? Insbesondere beim (seit den 1970er Jahren ganz erheblichen) Ausbau des Präventionsrechts zur Abwehr von Kriminalität durch den Gesetzgeber sieht Waechter deshalb auch die Erkenntnisse der Kriminologie gefordert (S. 98), sodass man in Anlehnung an das repressiv geprägte Kategoriemuster einer „Gesamten Strafrechtswissenschaft“ auch eine weitergehende Betrachtung unter dem Leitbegriff „Gesamtes Sicherheitsrecht“ initiieren könnte. Dieser Ausbau sei s. E. nämlich nur dann gerechtfertigt, wenn „die Kriminologie insofern die Freiwilligkeit der Gefahrenverursachung bestreiten würde.“

Die interessanteste Frage, die Waechter m. E. aufwirft, ist in besonderer Weise in der Pluralität und der zunehmenden (die Freiheit bedrohende) „Virtualität“ der eigenen Persönlichkeit in unseren (post-)modernen Gesellschaften angelegt. Die „Reduktion der Freiheit auf die Verfügungsbefugnis über die personenbezogenen Informationen“ ist demnach ein weiterer Schritt der „Virtualisierung der Freiheit“. Hier ist ein neuer Schwundprozess der Freiheit des Privatbereichs, vorwiegend ausgelöst durch Private und nicht so sehr durch den „Wächterstaat“, angelegt. Die Ursache liegt darin, dass „einerseits privates Verhalten aufgrund erkannter Wechselwirkungen zunehmend gesellschaftlich relevant und andererseits informationell weitgehend verfügbar wird“, wodurch eine „nochmalige (weitere) Verschiebung des Bereichs der Freiheit in einen anderen staatsfernen Sachbereich (nurmehr) schwer vorstellbar  erscheint“, aber „wo soll dann noch ihr Asylort sein!“ fragt Waechter deshalb zurecht.

Das Buch ist eine sehr gute und auch für Nicht-Philosophen sehr verständlich formulierte, da von methodischen philosophischen Begriffen weitgehend befreite, interdisziplinäre, im Kern aber rechtsphilosophische Handreichung mit polizeiwissenschaftlichen und auch kriminologischen Bezügen. Es eignet sich als Lektüre „zwischendurch“, insbesondere ist es aber immer wieder als Nachschlagewerk (freiheits- und sicherheits-)philosophischer Leitlinien dienlich. Das Preis-Leistungsverhältnis stimmt deswegen trotz schnell abgegriffenen Soft-Covereinbands in besonderer Weise.

[1] Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Leibniz-Universität Hannover, vgl. https://www.jura.uni-hannover.de/422.html, 12.12.2016.

[2] https://www.mohr.de/buch/sicherheit-und-freiheit-in-der-rechtsphilosophie-9783161545290, Darstellung des Werks auf der Website des Verlages

Rezensiert von: Holger Plank