Jens Meyer-Ladewig / Martin Nettesheim / Stefan Raumer (Hsrg.) – EMRK Europäische Menschenrechtskonvention

Meyer-Ladewig, Jens/ Nettesheim, Martin / Raumer, Stefan (Hsrg.); EMRK Europäische Menschenrechtskonvention; Handkommentar 4. Auflage 2017, 858 S., Gebunden, ISBN 978-3-8487-1076-8, 118.- Euro

Die „Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms„, also die Konvention zum Schutze der Menschen­rechte und Grundfreiheiten (kurz EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention), wurde bereits im Jahr 1950 vom Europarat verabschiedet und ist drei Jahre später, am 3. September 1953, in Kraft getreten. Mit der Europäischen Menschenrechtskonvention wurde erstmals in Europa ein völkerrechtlich verbindlicher Grundrechteschutz geschaffen, der von Jedermann einklagbar ist. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist damit das wichtigste Menschenrechtsübereinkommen in Europa. Die EMRK regelt u.a. im I. Abschnitt „Rechte und Grundfreiheiten“ (Art. 2–18; die einzelnen, durch die Konvention geschützten Menschenrechte). Darunter befinden sich grundsätzlich die klassischen Freiheitsrechte, daneben auch teilweise wirtschaftliche, kulturelle und politische Rechte die in der Konvention selbst bzw. in den sie ergänzenden Protokollen ihren Niederschlag gefunden haben. Der II. Abschnitt „Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte“ (Art. 19–51), enthält die Regelungen über die Zusammensetzung und das Verfahren des Gerichtshofs. Der Abschnitt III.  „Verschiedene Bestimmungen“ (Art. 52–59) enthält u. a. Art. 53, nach dem die Konvention nicht so ausgelegt werden darf, als beschränke oder beeinträchtige sie Menschenrechte und Grundfreiheiten, die in den Gesetzen einer der Vertragsparteien oder in einer anderen Übereinkunft, deren Vertragspartei sie ist, anerkannt werden.

Insgesamt gibt die EMRK lediglich einen Mindeststandard des Menschenrechtsschutzes vor, der von Vertragsstaaten erweitert werden darf[1].

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), an den Verstöße gegen die EMRK herangetragen werden können (von jedem Bürger eines Europarat-Mitgliedstaates nach Ausschöpfung der nationalen Rechtsmittel) legt die in der EMRK festgelegten Menschenrechtsnormen nicht auf der Grundlage von historischen, sondern von aktuellen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen aus und wendet sie entsprechend an.

Viele seiner Urteile gelten als wegweisend für Europa, aber seine dynamische Auslegung der EMRK stößt auch auf Widerstand, und zwar dort, wo sie im Namen des Menschenrechtsschutzes von einer Gesellschaft zivilisatorische Anpassungsleistungen verlangt, welche diese (noch) nicht zu leisten bereit oder imstande ist.

In durchaus mehr Fällen, als gemeinhin geglaubt wird, ist auch die Bundesrepublik Deutschland vor dem EGMR verklagt worden[2]. Jährlich legt das Bundesministerium der Justiz einen Bericht über die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und die Umsetzung seiner Urteile in Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland vor[3].

Der mehr als 850 Seiten umfassende Kommentar zur EMRK beschreibt den Grundrechtsschutz durch eine Interpretation der Europäischen Menschenrechtskonvention. Sämtliche Artikel der EMRK einschließlich der Vorschriften der Protokolle werden an der Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die maßgeblich die deutsche Rechtspraxis beeinflusst, orientiert erläutert. Für den Anwalt sind die Beschreibungen der Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sowie die prozessuale Durchsetzung der Konvention entscheidend, die u.a. durch eine Musterbeschwerde, Hinweise für die Antragsformulierung sowie zahlreiche Beispiele aus der Rechtsprechung des EGMR unterlegt werden.

Die 4. Auflage berücksichtigt die wichtigen Neuerungen in der Verfahrensordnung des EGMR, sowie   die neueste Spruchpraxis des EGMR.

Für den Polizeipraktiker sind besonders die Kommentierungen zum Polizeigewahrsam (Artikel 5, Rdnr. 43) sowie zur Polizeigewalt (Art. 3, Rdnr. 60 f.) und zur Organisation der Polizei (Art. 2, Rdnr. 4) relevant. Dort wird u.a. darauf hingewiesen, dass eine Polizeioperation so geregelt und organisiert sein muss, dass sie Gefahren für Leib und Leben mindert. Hier liegt eine Entscheidung des EGMR zugrunde, in der es um bei einer Polizeioperation acht Personen getötet worden waren. Art. 2 (Recht auf Leben) kann nach der Auffassung des Gerichts auch angewendet werden, wenn die Polizei nicht töten wollte und nicht getötet hat, z.B. wenn Polizei einen PKW durch Schüsse stoppt (S. 66). Ob Vergleichbares auch für Anhalteaktionen gilt, die das Leben oder die körperliche Integrität des Anzuhaltenden gefährden, wurde bislang noch nicht entschieden. Jedenfalls sollte die Polizei gerade bei den immer wieder in der Kritik stehenden Verfolgungsfahrten (zuletzt wieder Anfang Mai 2017 im Raum Oldenburg[4] oder im August 2013, wo bei einer Verfolgungsjagd ein 5-jähriges Mädchen getötet wurde[5]) sehr genau auf die Rechtsprechung des EGMR achten. Und die Tatsache, dass solche Verfolgungsfahrten (angeblich, s. FN 5) im Fahrsimulator geübt werden, entbindet nicht von der Prüfung der Frage, ob der Anlass der Verfolgungsfahrt die damit verbundenen Risiken rechtfertigt.

Auch Artikel 3, Verbot der Folter, kann für die Polizei relevant werden, wenn es bspw. um exzessive Polzeigewalt geht. Die Beispiele, die Entscheidungen zugrunde lagen reichen von Schlagstockeinsatz bei einer Identitätskontrolle über Einsatz von Tränengas gegenüber einer bereits verhafteten Person bis hin zur Penetration einer festgenommenen Person mit einem Knüppel – ein Vorgang, wie er sich zuletzt im Februar 2017 in Frankreich abspielte. Auch zum Haftgrund des hinreichenden Tatverdachtes hatte sich das Gericht schon einmal in einem deutschen Fall geäußert.

[1] S. die Übersicht unter https://www.menschenrechtskonvention.eu/

[2] Eine Übersicht findet sich z.B. hier: http://www.bmjv.de/DE/Themen/Menschenrechte/EntscheidungenEGMR/EntscheidungenEGMR_node.html

[3] Den letzten Bericht findet man hier http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF/Bericht_ueber_die_Rechtssprechung_des_EGMR_2015_DE.pdf?__blob=publicationFile&v=3

[4] https://www.nwzonline.de/blaulicht/41-jaehriger-liefert-sich-verfolgungsjagd-mit-polizei_a_31,2,3933601323.html

[5] http://www.focus.de/panorama/welt/tid-32715/auto-kracht-in-waschsalon-fuenfjaehrige-stirbt-nach-der-toedlichen-verfolgungsjagd-der-fahrer-soll-nie-wieder-gluecklich-werden_aid_1061381.html

Rezensiert von: Thomas Feltes