Banks, James; Gambling, Crime and Society; Palgrave Macmillan /Springer Nature, London, ISBN 978-1-137-57993-5, 243 S., 96,29 Euro (Hardcover)
Als das Buch auf meinem Schreibtisch landete, dachte ich zuerst an einen Irrtum des Verlages. Einen Liebesroman hatte ich nicht zur Besprechung bestellt, auch kein Liebesdrama, bei dem sich das Herz erst dreht, dann zerplatzt (s. Cover; die schlechte Qualität der Grafik hier ist dem Verlag zuzurechnen, der leider keine bessere Vorlage zur Verfügung stellt, und auch das auf der website http://www.palgrave.com/de/book/9781137579935 angekündigte „Free Preview“ funktioniert nicht). Diese schlechte Betreuung hat das Buch eigentlich nicht verdient, und auch nicht den horrenden Preis, den der Verlag dafür verlangt. Man könnte fast glauben, dass man nicht will, dass sich dieses Buch verbreitet – um so der Wett- und Spiele-Industrie entgegenzukommen. Denn diese wird sicherlich jede Zeile genau lesen, um Verlag und/oder Autor zu belangen, wenn etwas falsch dargestellt oder zitiert wird. So ging es zumindest dem Autor dieser Besprechung, als er auf verschiedenen Vorträgen (u.a. für FBI und Interpol) aus dem Bochumer Strafverfahren gegen Ante Sapina[1] und den damit verbundenen Spiel- und Wettmanipulationen berichtete. Ein weltweit tätiger Anbieter von Wetten meinte mich über meine private und nicht allgemein verfügbare Telefonnummer darüber informieren zu müssen, dass ich doch besser den Namen des Wettanbieters aus meinen Präsentationen herausnehmen sollte (obwohl er im Strafverfahren mehrmals genannt wurde)[2].
Aber zur Sache: Das Buch, von einem kritisch-radikalen Kriminologen der Sheffield Hallam University[3] verfasst, bietet eine überaus nützliche Quelle für alle, die sich über den Stand der Forschung und über Zahlen zum Bereich Wetten, Sport, Korruption und Kriminalität informieren wollen. Zwar werden die deutschen und auch französischen Studien zu diesem Themenkomplex fast nicht rezipiert, aber das ist man leider von englischsprachiger Literatur gewohnt. Und auch die verfügbaren englischsprachigen Berichte und Bücher (z.B. Haberfeld und Sheehan[4], in dem Beiträge einer von Interpol und FIFA 2012 (ausgerechnet) in Singapur organisierten Tagung zusammengestellt sind), werden nicht vollständig verarbeitet. Schade auch, dass die umfangreichen Studien der Universität Paris 1 Pantéon-Sorbonne und des International Centre for Sport Security nur rudimentär behandelt werden (z.B. auf S. 147). Das mag auch daran liegen, dass die Studienergebnisse nur auf Umwegen verfügbar sind – warum auch immer[5]. Dabei zeigten diese Studien, dass ca. 80% der Sportwetten über illegale Transaktionen laufen, die nur sehr schwer aufzudecken sind. Zwischen 160 und 400 Milliarden Pfund, bzw. 2% des weltweiten Bruttosozialproduktes, wird jedes Jahr verwettet.[6] Das sind Beträge, die für die Organisierte Kriminalität interessant sind, nicht nur, aber auch bei der Geldwäsche. Mehr als 100 Milliarden Euro sollen jedes Jahr über Sportwetten „gewaschen“ werden[7]. Auch wenn die Wettanbieter dies bestreiten: Natürlich sind Wetten selbst dann für die Geldwäsche attraktiv, wenn kein Wettbetrug im Hintergrund steht. Denn wenn man beispielsweise bei bestimmten Quoten (dort, wo der Ausgang eines Spieles eher unsicher ist) 100.000 Euro oder jeden beliebigen anderen Betrag auf alle drei möglichen Resultate setzt, verliert man max. 15% (s. Abbildung). Üblicherweise muss man aber mit Verlusten von 35-40% rechnen, wenn man Geld, das aus illegalen Aktivitäten wie Menschen-, Drogen- oder Waffenhandel oder Schutzgelderpressung stammt, waschen will.
Banks kritisiert die inzwischen leider auch bei uns übliche Praxis, dass Vereine (besonders Fußballvereine) und ehemalige Spieler wie Oliver Kahn für Sportwettanbieter werben[8]. Skandalisiert wird diese Praxis ebenso wie der gesamte „Geschäftsbereich“ dann eher von Journalisten, wie z.B. in einem guten Bericht des Deutschlandfunks vom November 2015[9].
Dennoch ist das Buch wichtig und sollte breit rezipiert werden. James Banks berichtet über einen in der Wissenschaft (und besonders auch der Kriminologie) oftmals unterschätzten Themenbereich, der auch von der Polizei meist übersehen wird – aus verschiedenen Gründen[10]. Hätte es in Deutschland nicht die Fälle Hoyzer und Sapina gegeben, dann würden wir hierzulande wohl noch immer glauben, dass Sportwetten eine Freizeitbeschäftigung für wohlhabende Rentner sind. Dabei trifft das genaue Gegenteil zu. Im Buch von Banks wird der „infamous Bochum case“ übrigens eher knapp auf zwei Seiten (S. 148 f.) behandelt, was auch wiederum an sprachlichen Barrieren liegen könnte.
Im Juli 2015 schrieb der Spiegel, dass es ist mehr als bedauerlich sei, dass nach „sechs wilden und kräftezehrenden Jahren im Kampf gegen die Wettmafia (…) die Einheit „Flankengott“ (so wurde die entsprechende Sonderkommission der Polizei Bochum genannt, TF) nun allmählich abgewickelt (wird). Es gibt keine offizielle Entscheidung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums oder der Bochumer Polizeipräsidentin, die Flankengötter abzuziehen. Das nicht. Eher ist es ein schleichendes Ende. Einst gehörten 20 Ermittler zu der Sondereinheit, jetzt sind es nur noch 2. Und die werden häufig ausgebremst. Dienstreisen werden nicht genehmigt, Zuständigkeiten hin- und hergeschoben. Warum immer Bochum, heißt es dann, können nicht auch mal die anderen ran, die Bayern, die Hessen, die Berliner? Der ganz normale Abnutzungskampf und Stellungskrieg im föderalen System der Bundesrepublik. Dabei gibt es einen klaren politischen Auftrag. Als CDU, CSU und SPD im Herbst 2013 den Koalitionsvertrag unterzeichneten, stand der Kampf gegen Doping und Spielmanipulation ganz oben auf der Agenda. Die „ethisch-moralischen Werte des Sports“ seien massiv gefährdet, heißt es in dem Papier, „deshalb werden wir weitergehende strafrechtliche Regelungen beim Kampf gegen Doping und Spielmanipulation schaffen.“[11]
Nun, stattdessen wurde im März 2017 das „Gesetz gegen Sportwettbetrug und Spielmanipulation“ beschlossen – und man glaubt wohl, sich damit seiner Verpflichtung entledigt zu haben. Dabei ist klar, dass es noch keinem Gesetz gelungen ist, Verhalten nachhaltig zu steuern. Das gilt besonders für kriminelles Verhalten, und ganz besonders für das Verhalten der Organisierten Kriminalität. Durch die neuen Straftatbestände sollen insbesondere die Integrität des Sports und dessen wirtschaftliche Bedeutung geschützt werden. Dabei besteht über bereits vorhandenen Sanktionsmöglichkeiten hinaus weder ein geeignetes, zu schützendes Rechtsgut noch eine besondere Strafwürdigkeit hinsichtlich der Manipulation von Sportwettbewerben. Im Hinblick auf die bereits bestehenden Sanktionsmöglichkeiten der Sportverbände, deren Kernaufgabe es ist, Regelverletzungen durch sonstige Manipulationen von Sportwettbewerben zu ahnden, ist ein weitergehendes Strafbedürfnis durch die Schaffung neuer Straftatbestände abzulehnen[12].
Das internationale Geschäft der Sportwetten ist in fester Hand von weltweit agierenden Konzernen, deren Nähe zur Organisierten Kriminalität so offensichtlich ist, dass viele es entweder nicht für notwendig halten, darauf einzugehen, oder sich nicht trauen (s.o.). Die Beziehung zwischen „gambling and crime is complex and dynamic“ (so Banks, S. 227), was aber nicht bedeutet, dass sie nicht erforscht werden kann. Und dass Wetten und auch Automatenspiele, vor allem aber zunehmend Internetspiele und –wetten ein lukratives Geschäftsmodell darstellen, wird schon an den jährlichen Einnahme in Höhe von 423 Milliarden US-Dollar deutlich, die im Bereich des „gambling“ erzielt werden (Banks S. 2). Casinos (real existierende, keine Internet-Casinos) sind die zwölftgrößte Industrie auf der Welt, mit Einnahmen alleine in Höhe von 146 Milliarden US-Dollar. Lotterien, Sportwetten und zunehmend eben Automatenspiel und Internet-Wetten machen den Rest unter sich aus.
Bleibt man beim Thema Wettbetrug, dann werden auch hier die immer wiederkehrenden Berichte[13] mehr oder weniger ignoriert, ähnlich wie die Doping-Berichte, zuletzt in Verbindung mit den Leichtathletik-Weltmeisterschaften. Man möchte eben die hochlukrativen Events im Bereich des Sports nicht stören. Erst im Februar 2017 brachte eine Studie drei Schiedsrichter aus der Fußball-Bundesliga mit auffälligen Wetteinsätzen in Verbindung[14]. Die Autoren der Universitäten Bielefeld, Pennsylvania und West Virginia sahen Hinweise auf möglichen Betrug und Korruption, und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) widersprach pflichtgemäß. Denn würde das Vertrauen in den Fußball durch solche Manipulationen verloren gehen (wie dies in einigen Ländern z.B. in Osteuropa bereits der Fall ist), dann hätte dies massive finanzielle Verluste für die Vereine und natürlich auch für DFB und DFL zur Folge. Und da FIFA[15] und DFB selbst im Fokus von Korruptionsvorwürfen stehen, kann man diese weitere Baustelle nicht gebrauchen und verweist gerne auf „Sportradar“, eine Einrichtung, die geschaffen wurde, um Wett- und Spielmanipulationen zu entdecken, deren Erfolge aber eher im Stollen verbleiben (bzw. gehalten werden), so sie denn da sind.
Die Studie von Banks ist breit angelegt, vielleicht auch zu breit. Sie reicht von den Casinos der Mohawks “First Nation“ in Kanada (Kahnawake[16]), denen aufgrund ihrer jahrhundertelangen Unterdrückung das Recht zugesprochen wurde, Casinos zu betreiben bzw. Lizenzen zu vergeben, bis hin zu den „Einarmigen Banditen“ und den Spielhallen, die in Deutschland nach wie vor eine große Herausforderung darstellen[17]. Dabei kommt der Tatsache, dass die Fäden der (meist illegalen) Sportwetten praktisch alle nach Asien führen, zu wenig Bedeutung zu (s. S. 123 f.) – zumindest im Vergleich zur Thematisierung de familiären Gewalt im Kontext von Wetten (S. 87).
Aber letztlich ist diese Kritik nicht dem Autor zuzurechnen, denn er konnte nur das zusammenstellen und auswerten, was vorliegt. Dies hat er – mit Ausnahmen – gut gemacht. Dass die Forschungslage insgesamt unbefriedigend ist, liegt nicht an ihm. Aber denjenigen, die diesen dunklen Fleck aufhellen wollen, bietet das Buch eine gute Einführung.
[1] S. die Berichte unter http://www.spiegel.de/thema/ante_sapina/ ; alle Internetquellen sind auf dem Stand vom 05.05.2017
[2] Ich habe das dann auch getan. Die „kastrierten“ Vorträge finden sich hier: http://www.thomasfeltes.de/vortraege.php. Ein Wissenschaftler kann es sich aus naheliegenden Gründen nicht leisten, mit der Rechtsabteilung eines weltweiten Konzerns in Konflikt zu geraten.
[3] https://www.shu.ac.uk/about-us/our-people/staff-profiles/james-banks
[4] Match Fixing in international Sports, Springer 2013 http://www.springer.com/de/book/9783319025810 (übrigens ist auch hier die Vorschau nicht verfügbar bzw. beschränkt sich auf zwei Zeilen).
[5] S. den Bericht “Protecting the Integrity of Sport Competition. The Last Bet for Modern Sport. An executive summary of the Sorbonne-ICSS Integrity Report Sport Integrity Research Programme, 2012-14”. Verfügbar unter http://www.theicss.org/wp-content/themes/icss-corp/pdf/SIF14/Sorbonne-ICSS%20Report%20Executive%20Summary_WEB.pdf?lbisphpreq=1 Interessanterweise ist der Bericht auf der Website des ICSS nicht gelistet und auch nicht auf der Website verlinkt, auf der auf das Projekt und den 1.600 Seiten umfassenden Bericht hingewiesen wird: http://www.theicss.org/en/expertise/view/sorbonne-icss-research-programme Will man da etwas verbergen?
[6] http://www.bbc.com/sport/27422078
[7] http://www.handelsblatt.com/sport/fussball/mehr-als-100-milliarden-euro-geldwaesche-ueber-sportwetten-in-erschreckendem-ausmass/9899624.html
[8] S. die Übersichten bei http://www.wettanalyst.com/sportwetten-werbung-in-der-bundesliga-201314-eine-analyse/. Eine Übersicht aller Anbieter von Sportwetten findet sich hier: https://www.sportwettenanbieter.com/sponsoren/
[9] http://www.deutschlandfunkkultur.de/wetten-zocken-tippen-das-geschaeft-mit-dem-gluecksspiel.976.de.html?dram:article_id=337715
[10] Sieht man einmal von der Polizei und der Staatsanwaltschaft in Bochum ab, die sich – nachdem sie eher durch einen Zufallsfund bei einer Telefonabhöraktion von den Manipulationen Kenntnis bekommen hatte – überaus intensiv mit der Thematik befasst und ein europaweites Netzwerk von Ermittlern zum Wettbetrug aufgebaut hat.
[11] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-135800986.html
[12] Vgl. Feltes/Kabuth: Die Politik schützt den Sport vor Wettmanipulation. Warum? Eine kritische Betrachtung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zur Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation berufssportlicher Wettbewerbe. In: Neue Kriminalpolitik, 2017, S. 91 ff.
[13] Z.B. hier: http://www.zeit.de/sport/2017-01/wettbetrug-fussball-sportradar-andreas-krannich oder hier:
[14] Die Studie findet sich hier: http://www.sas.upenn.edu/ppe-repec/ppc/wpaper/0008.pdf
[15] S. http://www.deutschlandfunkkultur.de/korruptionsskandal-die-fifa-ist-ein-korrupter-haufen.1008.de.html?dram:article_id=321027
[16] http://www.gamingcommission.ca/ “The Kahnawake Gaming Commission (the “Commission”) is the official licensing and regulating authority for gaming activity within and from the Mohawk Territory of Kahnawake.” “Mohawk Internet Technologies (MIT), a local data center located within the territory, hosts and manages many Internet gambling websites, and provides high-tech employment to its people. MIT is the closest and fastest source for „legally hosted“ gambling websites for North American players. Established in 1998, MIT by 2006 had become a „remarkably profitable“ enterprise”. https://en.wikipedia.org/wiki/Kahnawake#Gambling.2Fgaming
[17] Vgl. Feltes, Spielhallen. Kriminologische Risiken und Nebenwirkungen eines expandierenden Gewerbes. Holzkirchen 2011.
Rezensiert von: Thomas Feltes