Da es sich bei der Ingewahrsamnahme um eine der einschneidendsten polizeilichen Standardmaßnahmen handelt – nämlich um eine die Freiheit der Person nicht nur beschränkende, sondern aufhebende Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 Abs. 2 GG, die zugleich einen Eingriff in die Freiheit der Person im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und damit in ein Grundrecht von hohem Rang darstellt ist bei der Anwendung des § 18 Abs. 1 Nr. 2 a) Nds. SOG ein strenger Maßstab anzulegen. So reicht es insbesondere nicht aus, dass die Begehung einer Straftat durch irgendjemanden unmittelbar bevorsteht. Die Begehung muss gerade durch diejenige Person drohen, die in Gewahrsam genommen werden soll. (Rn. 35)
Anhaltspunkte für die Begehung einer zukünftigen Straftat können etwa die Ankündigung oder Aufforderung zu einer Straftat sein, sowie das Mitführen von Waffen, Werkzeugen oder sonstigen Gegenständen, die ersichtlich zur Tatbegehung bestimmt sind oder erfahrungsgemäß bei derartigen Straftaten verwendet werden. Weitere Erkenntnisse, die bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind, können sich außerdem u.a. aus Ermittlungs- oder Strafverfahren ergeben, die im Zusammenhang mit solchen Straftaten geführt wurden, deren erneute Begehung befürchtet wird. Dabei können in die präventiv-polizeiliche Gefahrenprognose auch solche Vorfälle einbezogen werden, die zu keiner bußgeld- oder strafrechtlichen Ahndung geführt haben, sondern etwa nach §§ 153, 153 a StPO oder 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurden. Gleiches gilt für zum Zeitpunkt der Prognoseentscheidung noch anhängige Ermittlungsverfahren sowie für solche Vorkommnisse, die nicht zur Einleitung eines Strafverfahrens geführt haben, aber gleichwohl in einem inneren Zusammenhang mit denjenigen Straftaten stehen, deren zukünftige Begehung durch die Ingewahrsamnahme verhindert werden soll, und die somit Rückschlüsse auf ein zukünftiges strafrechtlich relevantes Verhalten zulassen. Dementsprechend können auch Hinweise auf die Begehung einer zukünftigen Straftat oder die unmittelbar bevorstehende Teilnahme an einer gewalttätigen Auseinandersetzung als Mitglied einer Gruppe für die Gefahrenprognose berücksichtigt werden. Letzteres ist vor allem dann bedeutsam, wenn es um Straftaten geht, die typischerweise aus einer gewaltbereiten Gruppe heraus initiiert und gesteigert werden, die ein unterstützendes Umfeld von Gleichgesinnten benötigt, und schon die Gegenwart von Gleichgesinnten zur Gewaltbereitschaft derjenigen beiträgt, die ihrem Kernbereich zuzurechnen sind und aus der Anonymität der Gruppe heraus agieren. Soweit dabei aus dem Mitführen von deliktspezifischen Gegenständen Rückschlüsse auf eine unmittelbar bevorstehende Straftatbegehung gezogen werden, ist allerdings zu beachten, dass das Mitführen von verdächtigen Gegenständen durch einzelne Personen nicht ohne Weiteres anderen Personen angelastet werden kann. Für die Annahme einer unmittelbar bevorstehenden Straftatbegehung durch eine bestimmte Person reicht es daher grundsätzlich nicht aus, wenn nur deren Begleiter verdächtige Gegenstände mit sich führen. (Rn. 37)
Anders als vom Verwaltungsgericht angenommen kann auch nicht darauf abgestellt werden, dass die Klägerin „als Mitglied der hannoverschen Ultras oder Hooligans“ einem Personenkreis angehört, der regelmäßig durch Gewaltbereitschaft insbesondere gegenüber ebenfalls gewaltbereiten Fans einzelner anderer Fußballmannschaften auffällt. (Rn. 39)
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts lagen im Fall der Klägerin auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme eines sog. kollektiven Vorsatzes vor. Dabei lässt der Senat ausdrücklich offen, ob und ggf. in welchen Fallkonstellationen die Annahme eines sog. kollektiven Vorsatzes dazu führen kann, dass bei aus einer Gruppe drohenden strafbaren Handlungen Tatabsichten einzelner Gruppenmitglieder anderen Gruppenmitgliedern zugerechnet werden können. Denn selbst wenn man vorliegend mit der Beklagten davon ausgeht, dass sich auf dem Baumarktparkplatz eine Gruppe gewaltbereiter Fußballfans versammelt hatte, um zeitnah eine sog. Drittortauseinandersetzung mit rivalisierenden, ebenfalls gewaltbereiten Fußballfans durchzuführen, fehlte es, wie ausgeführt, an hinreichend konkreten Anhaltspunkten, dass es sich bei der Klägerin überhaupt um einen gewaltbereiten Fußballfan und somit um ein Mitglied dieser Gruppe handelte. Ohne die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe kommt jedoch die Zurechnung eines Gruppenverhaltens bereits im Ausgangspunkt nicht in Betracht. (Rn. 41)
Volltext:
http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod?feed=bsnd-r-vwg&showdoccase=1%C2%B6mfromHL=true&doc.id=MWRE190003575#focuspoint
(wie immer Dank an C. Arzt, Berlin)