Edith Huber – Cybercrime. Eine Einführung – Rezensiert von: Holger Plank

Huber, Edith[1]; Cybercrime. Eine Einführung [2]; ISBN: 978-3-658-26150-4, 162 Seiten, Springer VS Verlag, Wiesbaden, 2019, 22.90 € [für die Besprechung habe ich das eBook genutzt, welches 16,99 € kostet]

Edith Huber gehört zu den wenigen Forscherinnen im deutschsprachigen Raum, die sich um die Phänomenologie der Cyberkriminalität große Ver­dienste erworben hat. Zuletzt hat sie sich bspw. auf Grundlage einer um­fänglichen Aktenauswertung des Gerichts­bezirks Wien[3] mit den Besonderheiten / der Typologie der (ermittelten und verurteilten) Täter sowie der im Kern („Cybercrime im engeren Sinne“) allgemein eher losen, zufälligen Täter-Opfer-Beziehungen / -Auswahl bzw. sonstiger viktimologischer Be­son­derheiten beschäftigt. Fundierte Erkenntnisse hierzu sind nach wie vor im deutschen Schrifttum nur vereinzelt zu finden. Sie deckt mit ihrer Herangehensweise somit auch einen bedeutenden Aspekt einer noch jungen, gerade im Entstehen begriffenen subkategorialen Ergänzung der Kriminologie, der „Cyberkriminologie“ ab.

Im September 2019 ist nun ihr neues Lehrbuch, „Cybercrime. Eine Einführung“ im Verlag Springer VS erschienen, welches sich einführend mit dem nach wie vor (begrifflich / inhaltlich) unscharfen Phänomen im Schwerpunkt aus kri­mi­nologischer Perspektive beschäftigt. Dabei legt das sehr übersichtlich in zehn Kapitel gegliederte Werk ansehnliche phänomenologische und einige theoriegestützte atiologische Grund­lagen. Schon beim ersten Überblick fällt sehr angenehm auf, dass Huber sich dabei – einem Grund­lagenwerk entsprechend – nicht zu sehr in Technik und IT-basiertem bzw. juristischem Fachvokabular verliert. Es ist hierbei auch keinesfalls schädlich, dass die Autorin bei der Betrachtung einiger ausgewählter Phänomene, wie z. B. „Malware“ (Kap. 6), „Identitätsdiebstahl“ (Kap. 7), „Cyberstalking“ (Kap. 8) und zuletzt „Kinder­pornografie im Internet“ (Kap. 8) die jeweils ausschnittsweise und daher „kondensiert“ dargelegten strafrechtsdogmatischen Aspekte „nur“ aus österreichischer Perspektive darlegt. Gerade mit Blick auf die aktuelle kriminalpolitische Diskussion hinsichtlich einer möglichen Ausweitung von Straftatbeständen in Deutschland sind diese länder­übergreifenden strafrechtsvergleichenden Hinweise mitunter sogar befruchtend. Nur mit Blick auf das zur Zeit gerade am Beispiel vir­tueller sozialer Netzwerke kontrovers diskutierte Span­nungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und strafbarer, ehrverletzender Devianz[4] hat Österreich z. B. bereits zum 01.01.2016 mit einem § 107c StGB[5]  reagiert. Diese Vorschrift wird – folgt man der Autorin (S. 114) mit Hinweis auf die Krimi­nalstatistik – wohl auch durchaus „rege“ in der polizeilichen bzw. staats­anwalt­schaftlichen Praxis angewandt. Ergänzende Angaben zur spezial­präventiven Wirksamkeit der Vorschrift, etwa Verurteiltendaten aus der Strafverfol­gungs­statistik, fehlen allerdings. Ein länderübergreifender Blick auf die „Rechtstatsächlichkeit“ lohnt aber gerade bei diesem Phänomen allemal, wird doch gerade hier ständig Änderungsbedarf diskutiert und evidenzbasierte Rechtstatsachen helfen dabei, den Blick auf das absolut Notwendige zu schärfen. Die eher zufällige Auswahl der besprochenen vier Phänomene, die zudem nicht durchgängig der „Cybercrime im engeren Sinne“ zuzuordnen sind, ist m. E. unschädlich, ja zeigt viel­mehr die phänomenologische Bandbreite und hieraus folgende Abgrenzungsprobleme treffend auf.

Das – schon titelgebend als einführende, also eher grundlegende phänomenologische Darstellung gekennzeichnete – Werk ist inhaltlich insgesamt schlüssig aufgebaut. Die einzelnen Kapitel[6] sind zudem übersichtlich, stets mit einem kurzen „Überblick“ beginnend und jeweils mit einer „Zusammenfassung“ der wichtigsten Erkenntnisse nebst weiterführenden kapitelbezogenen Literaturhinweisen abschließend, didaktisch ansprechend untergliedert. Wenn man überhaupt noch etwas anmerken möchte, ein Stichwortverzeichnis oder auch ein Glossar, in dem die über das Buch verteilten Begriffserläuterungen nochmals gesammelt dargeboten werden, könnten für ein „Lehrbuch“ ergänzend hilfreich sein und wären für die zweite Auflage daher vielleicht überlegenswert.

Die Ausführungen Hubers machen – schon in den nach der Einleitung beiden ersten Kapiteln „Von der Online-Kriminalität zu Cybercrime – eine historische Entwicklung“ (Kap. 2) und „Cybercrime“ (Kap. 3) – erneut deutlich: Ein einheitliches (kriminal-) statistisches, strafrechts­dogmatisches, kriminologisches bzw. kriminal­politisches Begriffsverständnis des Phänomens, von der „Cybercrime im engeren Sinne“ über „Cybercrime im weiteren Sinne“ bis hin zum kriminalstatistisch relevanten, gesondert gekennzeichneten Feld des „Tatmittels Internet“ sowie dem breiten Überschneidungs­bereich der „E-Commerce-Delikte“, fehlt als Grundlage für Überlegungen / Planungen nach wie vor. Klare, trennscharfe Definitionen sind aber notwendig. Ohne diese Grundlagen ist mindestens ein länderübergreifender Vergleich schwierig. Die Autorin erkennt diesen Umstand aber und geht auch explizit im Unterkapitel 3.2.1, „Andere Länder andere Sitten“, hierauf ein. Ein definitorischer „Königsweg“ ist derzeit aller­dings nicht zu erkennen. Das ruft naturgemäß Unschärfen (relatives Dunkelfeld, mangelnde Vergleichbarkeit …) hervor und erleichtert kriminalstrategische und -operative Planungen wie auch kriminalpolitisch erforderliche Diskussionen im sensiblen Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit im virtuellen Raum und Ausmaß und Reichweite des strafrechtsdogmatischen „Ultima-Ratio-Prinzips“ nicht gerade.

Sehr zielführend und informativ sind insbesondere zwei Aspekte des Lehrbuchs gestaltet. Zum einen ein auf eigener Forschung aufbauender, evidenzbasierter Blick auf Täter und Opfer im Allgemeinen (Kap. 4 – „Relevante Akteure im Umfeld der Cyber-Krimi­nalität“ – dort v. a. der „Hacker“), welcher anschließend einerseits phäno­menbezogen (in den Kap. 6 – 9, vgl. oben), andererseits im abschließenden Kap. 10, „Cybercrime in Österreich 2006 – 2016 – am Fallbeispiel der Stadt Wien“ mit den konkreten Ergebnissen der umfänglichen „Wiener Untersuchung“ der Autorin vertieft und mit einigen bewusst wertenden Aussagen zum „typischen Cyber-Kriminellen“ angereichert wird. Derlei gewonnene Evidenzen sind leider immer noch selten. Ob angesichts dieser ohne Zweifel aufwändigen und akribischen Akten­auswertung am Beispiel des Gerichtsbezirks Wien – dabei handelte es sich nur um ermittelte oder den Strafverfolgungsbehörden sonst bekannt gewordene Tatverdächtige, deren Fehlver­halten Grundlage einer gerichtlichen Hauptverhandlung[7] war und es bleibt grds. bei einem nach wie vor signifikant hohen allgemeinen Dunkelfeld – die hierbei gewonnenen Erkenntnisse einfach abstrahiert werden können[8], ist dabei eine ganz andere, qualitativ forschungslogische Frage. Dennoch haben Huber und Pospisil mit ihrer Studie er­freulicherweise Pionierarbeit im deutschsprachigen Raum geleistet und die akten­gestützt gewonnenen Erkenntnisse sind als Ausgangshypothesen für weitere qualitative Untersuchungen „Gold wert“!

Zum anderen versucht sich Huber im Kap. 5, „Aspekte der Kriminologie“, sowohl an der Konturierung eines forensisch-psychologischen „Täterprofilings“ als auch an der Übertragung einiger weniger, analog hinreichend experimentell erprobter psycholo­gischer, lerntheoretischer und kriminalsoziologischer Kriminalitätserklärungs­ansätze in den „virtuellen Raum“. In einer weiteren Vertiefung dieser Problematik könnte im Übrigen auch eine bedeutende zukünftige Aufgabe und ein geeigneter Gegen­standsbereich einer derzeit zwar denominativ im deutschen Sprachraum vereinzelt nachweisbaren, tat­sächlich aber noch erheblich ausbaubedürftigen „Cyberkriminologie“ in grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung liegen.

Kurz zusammengefasst: Das Lehrbuch ist sehr informativ und lässt sich ob der klaren Sprache zügig lesen. Die Prägnanz der Darstellung und die innere Schlüssigkeit des Werkes tragen für die erwähnte Zielgruppe sicher signifikant zum disziplinären phänomenologischen Verständnis bei. Die weiterführenden Literaturangaben sind für ein in die Thematik „einführendes“ Werk völlig ausreichend. Das Buch rundet das thematisch relevante, sehr umfangreiche Literaturangebot zu diesem Phänomen und seinen einzelnen Aspekten auf dem Markt, wie auch offenkundig so von der Autorin beabsichtigt, passgenau „nach unten ab“ ohne dabei jedoch „trivial“ zu wirken. Als Lehrbuch, etwa für Bach­e­lorstudiengänge der Sicherheitsinstitutionen oder aber auch als grundlegende Einführung und solide Plattform für vertiefende kriminologische bzw. juristische Betrachtungen des Phänomens im Allgemeinen halte ich das Format, den Aufbau und Inhalt des Werkes für gut gelungen und daher unbedingt empfehlenswert. Das mir zur Besprechung vorliegende eBook-Format fällt zudem in angenehmer Weise durch seine hilfreichen und logischen Verlinkungen / Verknüpfungen auf. Die Arbeit mit diesem Format gestaltete sich daher sehr angenehm.

Der sehr positive Gesamteindruck des Buches wird allerdings – diese Anmerkung sei ohne „pedantische“ Attitüde des Rezensenten erlaubt – optisch ein wenig durch einige vermeidbare semantische, grammatikalische bzw. orthografische „Flüchtig­keitsfehler getrübt“. Diese sind wohl beim offensichtlich dem näher rückenden Abgabetermin geschuldeten eiligen Schlusslektorat übersehen worden und sollten in der nächsten Auflage, die das Buch unbedingt verdient (!), beseitigt werden.

[1] Mag. Dr. phil. (Sozialwissenschaft) Edith Huber, Leiterin der Stabsstelle Forschungsservice & Internationales an der Donau-Universität Krems.

[2] Siehe Website des Springer VS Verlags nebst Inhaltsverzeichnis.

[3] Huber et al. (2018): Die Cyber-Kriminellen in Wien: Eine Analyse von 2006-2016. Edition Donau-Universität Krems an der Donau (bei Google Books als .pdf zum Download verfügbar). Vgl. hierzu auch Fn. 7.

[4] Nicht zuletzt nach dem vieldiskutierten Abweisungsbeschluss der 27. Zivilkammer des LG Berlin in dem Verfahren Künast vs. Facebook vom 09. September 2019 (27 AR 17/19).

[5] „Fortgesetzte Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems“, auf der Themenseite „oesterreich.gv.at“ auch mit der Überschrift „Cyber-Mobbing“ kategorisiert.

[6] Vgl. Inhaltsverzeichnis auf der Website des Springer VS Verlags.

[7] Grundbetrachtung 5.400 Akten der Staatsanwaltschaft und des jeweiligen Gerichts in Wien; Grundlage für die Bearbeitung der Forschungsfragen war allerdings nur ein Ausschnitt hieraus (N=399 Gerichtsakten), nämlich den Fällen, in denen es zu einer Hauptverhandlung kam.

[8] So berichtet z. B. Jan Weisensee auf der Online-Plattform Golem.de am 03. Dezember 2018 von der Konferenz „Deepsec 2018“, auf der die Autorin ihre Forschung vorgestellt hat, titelgebend und m. E. relativ unreflektiert: „Der typische Onlinekriminelle ist ein 34-jähriger Mann“.

Rezensiert von: Holger Plank