Patrizia Schlosser – Im Untergrund. Der Arsch von Franz Josef Strauß, die RAF, mein Vater und ich. – Rezensiert von: Thomas Feltes

Schlosser, Patrizia; Im Untergrund. Der Arsch von Franz Josef Strauß, die RAF, mein Vater und ich.; ISBN 978-3-455-00649-0, Verlag Hoffmann und Campe, 256 S., Hamburg 2019, 18.- Euro

Mit folgender Inhaltsangabe wird sowohl für das Buch, als auch für den (inhaltlich wohl identischen) Podcast[1] geworben: „Sie leben seit mehr als 25 Jahren im Untergrund: Ernst-Volker Staub, Daniela Klette und Burkhard Garweg. Sie sind die letzten Überreste der Roten Armee Fraktion, die im deutschen Herbst die BRD terrorisierte. Obwohl sich die RAF längst aufgelöst hat, geistern die Drei noch immer mit bewaffneten Raubüberfällen durch die Republik. Wo verstecken sie sich? Warum stellen sie sich nicht der Polizei? Und was hat sie überhaupt in den Terror und den Untergrund getrieben? Die Journalistin Patrizia Schlosser will das herausfinden und beginnt die Suche. Mit dabei: ihr Vater, der in der RAF-Ära Polizist war und den Terror hautnah miterlebte.“

Wow, so denkt man, ein richtiges Stück investigativer Journalismus, in Buchform verpackt. Mutige Autorin, ganz großes Kino. Am Ende bleibt dann leider nur noch der Eindruck, dass der Mut der Autorin vor allem darin besteht, dieses Buch zu veröffentlichen. Als Podcast mag die Geschichte ja, durch die O-Töne und die dadurch entstehende Authentizität, noch spannend sein. In Buchform wird es schnell langweilig, trotz (oder vielleicht auch gerade weil) die Autorin die einzelnen Handlungsstränge nicht zusammen präsentiert, sondern sie immer wieder unterbricht und an anderen Stellen weitermacht. Wenn eine/r der Rezensenten des Podcast auf der Website anmerkt, dass man sich bei dem Anhören und der Lektüre die Frage stellt: „Zeitgeschichte oder Familienaufstellung?“, so liegt er/sie durchaus richtig. Tatsächlich hat man an vielen Stellen des Buches das Gefühl, dass es eher um die Beziehung Vater-Tochter geht, als um die RAF. Das wäre auch nicht weiter zu kritisieren, wäre da nicht der Titel des Buches und der rote Stern auf dem Cover, den ich in meinem Tweed vom 26.09.2019 bereits angesprochen hatte.

Und die Autorin sieht das wohl auch selbst so. In einem Spiegel-Interview sagt sie: „Die Geschichte hätte ohne meinen Vater nicht funktioniert. Er würde sagen, ich bin an die Recherche herangegangen wie eine linksgrünversiffte Träumerin. Ich fand, er war ein piefiger, grantiger Beamter mit einer sehr konservativen Sicht auf alles Linke. Der Kern der Geschichte ist die Auseinandersetzung zwischen meinem Vater und mir, das hat sich im Laufe der Recherche so entwickelt. Wir mussten uns ständig über unterschiedliche politische Positionen verständigen“.[2]

Hinzu kommt, dass einige andere Rezensenten zu recht angemerkt haben, dass sich eines wie ein roter Faden durch Podcast und Buch zieht: „Eine amateurhafte, unstrukturierte Herangehensweise an das eigentliche Thema, Stichwort Schülerzeitung“. Und weiter: „Wer die Suchmaschine seines Vertrauens bemüht kann ein Video der Autorin ausfindig machen[3] in dem sie über Job-Nomaden berichtet, und genau so kommt auch diese Produktion rüber, mehr oder weniger spontan am Küchentisch, in der Bahn, im Café und im Auto entstanden, ohne großes Konzept, aber mit viel Eigeninitiative und Naivität, nach dem Credo „einfach mal machen“ umgesetzt“.

Tatsächlich hat man an vielen Stellen des Buches das Gefühl, dass die Autorin erst einmal losläuft und dann recherchiert. Das ist ansatzweise auch als Methode in der empirischen Sozialforschung durchaus zulässig (Stichwort: Vorbereitung von qualitativen Interviews), aber auch dort ist es unabdingbar, dass man sich erst einmal kundig macht, welches Themenfeld man genau beleuchten und untersuchen will, und was dazu bereits bekannt und beschrieben ist. Vor allem letzteres hat die Autorin ganz offensichtlich nicht getan – warum? Vielleiht funktioniert Journalismus heute so? Jedenfalls kann ich mich bei manchen Anfragen von Journalisten nicht des Eindrucks erwehren, dass man lieber erst einmal jemanden anruft und ausfragt, bevor man selbst recherchiert. Wäre ja auch aufwändig und mühsam… So ist vieles, was in dem Buch teilweise ausführlich dargestellt wird, bekannt – zumindest denjenigen, für die „RAF“ nicht die Royal Air Force[4] ist. Und vor allem ist es bereits anderweitig und zudem besser und intensiver beschrieben und analysiert.

Hier wird das wenige, was man über die RAF erfährt, in den Kontext einer „Dreifaltigkeit“ des Buches gestellt: Ein Drittel RAF-Geschichte (überaus lückenhaft, unvollständig und oberflächlich), ein Drittel Lebensgeschichte des Vaters, vor allem mit seinem Einsatz bei der Geiselnahme während der Olympischen Spiele 1972 in München und ein Drittel die (im Ergebnis vergebliche) Suche nach den untergetauchten angeblich letzten „drei aktiven Mitgliedern der RAF“, Daniela Klette, Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg. Vielleicht das einzig wichtige Ergebnis dieser Recherche der Autorin besteht darin, dass sie am Ende die Frage aufwirft, ob es sich dabei tatsächlich um die letzten drei „aktiven“ Mitglieder der RAF handelt, oder ob diese drei Personen nicht einfach untergetaucht sind, weil sie keinen Bock darauf hatten, verhaftet und einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt zu sein. Darauf jedenfalls deutet die Tatsache hin, dass die ihnen zugeschriebenen Raubüberfälle der letzten Jahre, die – so die These der Autorin und der Ermittlungsbehörden, ihrem Unterhalt dienen sollen, sämtlich ohne Bekennerschreiben durchgeführt wurden.

Viele, die damals Plakate klebten und dann wegen „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ nach § 129 a StGB verhaftet und in Untersuchungshaft genommen wurden, dürfen ähnlich gedacht haben[5]. Welche Hysterie auch noch Jahre später in diesem Kontext herrschte, habe ich in meiner Besprechung der Biografie von Heinrich Böll versucht deutlich zu machen[6].

Den (zumindest den nicht mehr ganz so jungen) Leser überrascht es dann doch, wie blauäugig und naiv die Autorin die Aussagen der wenigen Personen, die sie wirklich getroffen hat, aufnimmt. Dabei spielt im Ergebnis die Suche nach den sich noch im Untergrund befindlichen RAF (Ex-)Terroristen eher eine Nebenrolle. Die Autorin muss sich schnell selbst eingestehen, dass es nicht so einfach ist wie sie (!) gedacht hatte, die Untergetauchten ausfindig zu machen. Auch ihre Annahme, mit (ehemaligen) Sympathisanten, egal wo und wie sie jetzt leben, einfach mal ein Interview führen zu können, ist ebenso naiv wie dumm – spätestens, wenn man sich als Leser darüber wundert, wie verwundert die Autorin darüber ist, dass diese Menschen nicht mit ihr reden wollen.

Die Suche (sie habe die drei „natürlich“ nicht gefunden, sagt Schlosser) gerät so schnell in den Hintergrund und verläuft am Ende völlig im Sande. Was aber weder die Autorin, noch den Verlag daran gehindert haben, mit dem drei Buchstaben „RAF“, dem roten Stern (schade, dass sie die RAF damals kein Copyright darauf hat geben lassen…) und dem „Arsch von Franz Josef Strauß“ auf dem Titel zu werden. Ach ja, dieser Arsch: Er kommt tatsächlich im Buch vor, wenn auch nur knapp am Ende des Buches, und zwar während der versuchten Befreiung der Geiseln bei der Olympiade in München. Der Vater der Autorin ist dort als Polizist eingesetzt und zufällig im Tower auf dem Flughafen, als sich der Schusswechsel ereignet, der zum Tod aller elf israelischen Geiseln, von fünf Geiselnehmern und eines Polizisten führt. Franz Josef Strauß ist auch dort (warum, wird nicht aufgeklärt, denn er war damals weder Innenminister noch Ministerpräsident), und der Vater beschreibt dies wie folgt: „Die Terroristen haben zurückgeschossen und dabei auf den Tower gezielt. Die Glasdecke ist geborsten und die Splitter sind auf uns runtergeregnet. … Und als das Glas runtergesplittert ist, hab ich bloß einen riesen Arsch g’sehen, und das war dem Strauß sein Arsch. Der ist auf Händen und Füßen die Treppe runtergekrochen. Vom Tower runter. Das Bild werd ich nicht vergessen, wie dieser riesen Arsch verschwunden ist“ (S. 199).

Tatsächlich finden sich in dem Buch durchaus Ansätze (leider aber nicht mehr als Ansätze) zu grundlegenden Fragen im Umgang mit dem sog. „Terrorismus“ – damals wie heute. In dem Spiegel-Interview sagt Schlosser beispielsweise auf die Frage, wann sie gemerkt habe, dass ihre Suche erfolglos bleiben würde: „Nach etwa einem halben Jahr, nach dem Gespräch mit den Ex-Sympathisanten in Niedersachsen. Niemand würde auspacken, auch wenn er etwas wüsste. Zugleich wurde die Geschichte immer besser. Weil ich das Gefühl hatte, es gab über wichtige Fragen viel herauszufinden: Wie weit darf der Staat gehen, wenn er Terror bekämpft? Welcher Widerstand ist legitim?“ Wieso die Geschichte aber „immer besser“ wurde, obwohl die Fragen, die sie sich danach stellte, mit den Interviews eigentlich nur sehr bedingt etwas zu tun haben, bleibt ihr Geheimnis.

Nachtrag 1: Keine Ahnung, was Jan Böhmermann zu der folgenden Bewertung des Buches veranlasst hat: »Ein sehr zu empfehlendes Buch.« (ZDF Neo Magazin Royal, 10.10.2019). Vielleicht hat er es nicht gelesen? Oder er brauchte für seine Sendung „Heute bei „Ohne Not die Hose aus“ noch eine Schlagzeile? „Voll Untergrund un so … Patrizia Schlosser – aka PO1Z1STENT0CHTER (so im Original, TF) – zu ihrer Recherche in Sachen untergetauchte Terroristen im NEO MAGAZIN ROYALE mit Jan Böhmermann[7].

Nachtrag 2: Wie man es anders machen kann, wenn man sich mit der Geschichte einer Entwicklung beschäftigt, hat Christian Pross in dem Buch „Wir wollten ins Verderben rennen. Die Geschichte des Sozialistischen Patientenkollektivs Heidelberg“ beschrieben[8].

[1] Der Podcast kann für 9,95 Euro gekauft werden unter https://www.audible.de/pd/Im-Untergrund-Original-Podcast-Hoerbuch/B0786MYV6D?gclid=EAIaIQobChMImcG015HJ5QIVkeR3Ch2Zbgr4EAAYASAAEgLujPD_BwE&source_code=GAWFAPSH08171790AB&s_kwcid=AL%21647%213%21344062583434%21e%21%21g%21%21im+untergrund&ef_id=EAIaIQobChMImcG015HJ5QIVkeR3Ch2Zbgr4EAAYASAAEgLujPD_BwE%3AG%3As

[2] https://www.spiegel.de/kultur/literatur/rote-armee-fraktion-wie-eine-journalistin-die-raf-rentner-finden-wollte-a-1285347.html

[3] Hier: https://www.youtube.com/watch?v=qI6puBLezfw

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Royal_Air_Force#RAF_Germany

[5] Eine gute Übersicht über die Veränderungen der Vorschrift im Laufe der Zeit findet sich hier: https://www.bpb.de/dialog/232724/erst-verschaerft-dann-wieder-entschaerft-die-entwicklung-von-129a-stgb?type=galerie&show=image&i=232740

[6] https://polizei-newsletter.de/wordpress/?p=1297

[7] https://www.zdf.de/comedy/neo-magazin-mit-jan-boehmermann/onlineteaser-mit-patrizia-schlosser-100.html

[8] Siehe dazu meine Besprechung im Polizei-Newsletter https://polizei-newsletter.de/wordpress/?p=865

Rezensiert von: Thomas Feltes