Thomas Fischer – Über das Strafen. Recht und Sicherheit in der demokratischen Gesellschaft. – Rezensiert von: Holger Plank

Fischer, Thomas Prof. Dr. [1]; Über das Strafen. Recht und Sicherheit in der demokratischen Gesellschaft. [2]; ISBN: 978-3-426-27687-7, 375 Seiten, Droemer Verlag, München, 2018, 22,99 €)

Prof. Dr. Thomas Fischer ist ein profunder Kenner des Strafrechts, vor allem auch der Strafrechtspraxis. Bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2017 war er Vorsitzender Richter des 2. Strafsenats des BGH, er ist nach wie vor Herausgeber und Kommentator des nach wie vor in der Praxis gebräuchlichsten „Kurz-Kommentars“ zum Strafgesetzbuch (C. H. Beck Verlag, 66. Auflage 2019), er ist scharfzüngiger, wortgewaltiger, gelegentlich zur „Überpointierung“ neigender Kolumnist und damit streitbarer, mitunter auch „umstrittener“ Kolumnist (u. a. bei ZEIT Online / Reihe „Fischer im Recht“, beim Online-Portal MEEDIA.de / Reihe „Fischers kleine Presseschau“, und aktuell bei Spiegel online / Reihe „Recht haben“), er ist als Honorarprofessor für Straf- und Strafprozessrecht an der Universität Würzburg tätig und macht sich inzwischen als erfolgreicher Autor einiger populär­wissenschaftlicher Bücher mit dem Schwerpunkt materielles / formelles Strafrecht „einen Namen“. Dabei zeigt er sich als ebenso kritischer wie kluger und daher gefürchteter Kommentator zeitaktueller strafrechtspolitischer und -praktischer Entwick­lungen. Mit unablässiger Verve, mitunter provozierend direkt – auch gegenüber der eigenen beruflichen Provenienz, z. B. im Rahmen deutlicher Kritik an unzureichender richterlicher Rechtsfortbildung bzw. -auslegung -, legt er regelmäßig den Finger „in die offenen Wunden“ seiner Meinung nach evidenter legislativer / judikativer Verletzungen strafrechtlicher Dogmatik und dadurch erzeugter Wertungswidersprüche.

In seinem neuen Buch demaskiert er die legislativ intendierte, gleichwohl kritische Vorstellung, mit dem zunehmenden Einsatz von Strafrecht ließen sich „gesellschaftliche Wertvorstellungen prägen und soziales Verhalten umfassend steuern.“ Dabei behandelt er intensiv das Spanungsfeld zwischen dem unzweifelhaft notwendigen Schutz „höchstpersönlicher Rechtsgüter“ und der zunehmenden „Symbolik“ das Strafrechts am Rande und zu einem nicht unerheblichen Teil über die Grenze des verfassungsrechtlich gebotenen „Ultima-Ratio-Gedankens“ für den Einsatz des Strafrechts als „schärfstes Schwert des Rechtsstaates“ hinaus. Besonders eindrücklich erscheint mir in diesem Zusammenhang seine praktische Darlegung der inzwischen auftretenden „Paradoxien“ des Geldwäschetatbestandes, § 261 StGB (S. 273 ff.). Dennoch, Fischer stellt folgerichtig fest, dass das „Strafrecht stets und per se einen hohen Anteil an Symbolik und Moral enthält“, (ja dass es) sich derart geradezu als „geronnene Kommunikation über Wahrheit, Macht, Gewalt und Freiheit“ darstelle. Sein Lösungsansatz dieses scheinbaren Widerspruchs ist eine rechts­soziologisch entwickelte Empfehlung. Man solle „Strafrecht nicht als (statisches) formelles System, sondern vielmehr als ‚kommunikative‘ Struktur“ verstehen. Insofern sei Strafrecht auch eine der „wichtigsten Institutionen für die Herstellung gesellschaftlicher Rationalität, ein System, das als Gradmesser und Aktionsfeld sozialer Sinn-Produktion“ gut funk­tionieren könne.

Das Buch ist kein klassisches Lehrbuch. Dennoch versucht Fischer beispielhaft mit lebensnahen und mit für ihn charakteristischen sprachlichen Arabesken pointiert dargebotenen Beispielen die Grundlagen von sozialer (De-) Kon­struktion, strafprozessualer Erzeugung von „Wirklichkeit und Wahrheit“, von Moral, Schuld und individueller (objektiver) Zurechnung, Gerechtigkeit und der zunehmend präventiven Verschränkung des Strafrechts darzulegen. Hierbei bemüht er sich schon einleitend intensiv um die Konturierung der Begriff­lichkeiten und Rahmenbedingungen der Strafrechts­systematik und -dogmatik, legt damit sehr anschaulich wichtige Teile des Allgemeinen Teils dar, vom Rechtsgüterschutz über das Wesen und die Bedeutung von Tatbestands­merkmalen hin zur Rechtswidrigkeit und Schuld unter dem verbindenden, jedoch begrifflich weitreichenden Postulat der Kausalität. Kapitel zu den Themen „Strafrechtspolitik“ und deren mitunter fehlgeleiteten sozialen Steuerungs­impulsen ohne durchgängig begleitende Bereitschaft evaluativ begründeter legislativer Fehlerkorrektur, zur „Strafrechtspraxis“ und ihren Organen sowie zu den „Perspektiven“ für das Strafrecht schließen das trotz der Fachthematik kurzweilige und sehr lesenswerte Buch ab.

Ausführlich widmet sich Fischer immer wieder der oftmals kritischen, wenig akzentuierten, einfachste dogmatische Regeln fehlinterpretierenden öffentlichen / medialen Kommunikation über das / zum Strafrecht und dessen Zweckorientierung und markiert damit das „hohe (aber weitgehend unreflektierte) Meinungspotenzial“ der Materie und arbeitet derart kritische Aspekte und mögliche Gefahren an der „Oberfläche sozialer Prozesse“ sehr anschaulich heraus. Das macht das Buch – obgleich wie bereits erwähnt ausdrücklich nicht als Lehrbuch intendiert – gleichermaßen für jüngere Semester der Sozial- und Rechtswissenschaft, nicht nur hinsichtlich des adäquaten gesellschaftlichen Umgangs mit Delinquenz, mit der „Strafbedürftigkeit“ sozialer Abweichung und mit wünschenswerten wie auch nicht beabsichtigten Wechselwirkungen staatlicher Strafgewalt, sondern auch für eine breitere rechts­philosophisch bzw. -soziologisch interessierte Leserschaft interessant.

Fischer bearbeitet gut nachvollziehbar sowohl die „Veränderung der Anforderungs- und Erwartungsqualität im Zusammenhang mit dem weitreichenden und unkonturierten Begriff der Sicherheit“ wie auch die bemerkenswerte Dynamik dieses gesellschaftlichen Phänomens. Somit wird das rechtsstaatlich ungemein bedeutsame Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit, hier an der Schnittstelle rechtsstaatlichen Strafrechts, zu einem bedeutsamen Teil des Buches. Strafrecht, so der Autor, könne man durchaus auch als „geronnene Kommunikation über Wahrheit, Macht, Gewalt und Freiheit“ betrachten. Schon deshalb ist es wichtig, parallel die damit verbundene kommunikative gesetzgeberische Semantik kritisch zu reflektieren. Deutlich wird dies z. B. an der seit geraumer Zeit gebräuchlichen einleitenden Kategorisierung der Strafrechtsänderungsgesetze unter Verwendung der stets gleichlautenden Formel „Gesetz zur Bekämpfung (…).“ Diese beschreibt eigentlich eine typisch präventive, polizeiliche Begrifflichkeit und Handlungssphäre. An dieser repressiven Schnittstelle zwischen Freiheit und Sicherheit ist sie daher semantisch unpassend, ja sogar unangemessen. Eine derart formelhaft zum Ausdruck gebrachte Zweckbestimmung, vielleicht sogar durchgängige Intention des Gesetzgebers, in der repressiven Handlungssphäre passender ausgedrückt sollte es eigentlich „Gesetz zur Verfolgung (…)“ heißen, „überlastet und überfordert nämlich (konsequent zu Ende gedacht) das Strafrecht, schwächt dieses zugleich und erniedrigt es zum bloßen Effektivitätskriterium von Präventionspolitik.“

Brevi manu, Fischer legt mit seinem Buch sehr eindringlich den Wesenskern, die „Ultima Ratio“ staatlichen Strafens frei. Er konturiert somit auch die durchaus vorhandenen Gefahren für die dauerhaft notwendige gesellschaftliche Legiti­mation und „Steuerungskraft“ materiellen Strafrechts, bei dem inzwischen an vielen Stellen die dogmatisch erforderliche Demar­kationslinie zwischen zweckgerichtet notwendiger Repression und deutlich darüber hinausreichender Prävention in Form einer zum Teil überzogenen Vorverlegung von Strafbarkeit immer weiter verschwimmt. Hierfür bietet Fischer zahlreiche Beispiele zur Verdeutlichung dieser Symptomatik an.

[1] Website Prof. Dr. Thomas Fischer, zuletzt abge­rufen am 27.12.2018.

[2] Vgl. Website Droemer Verlag, zuletzt abgerufen am 27.12.2018.

Rezensiert von: Holger Plank